Die Linke galt bereits als politisch erledigt, nachdem Sahra Wagenknecht die Partei verlassen hatte. Doch bei der Wahl gelingt den Genossen ein spektakuläres Comeback, während das BSW den Einzug in den Bundestag letztlich um Haaresbreite verpasst. Wie konnte das passieren?
Pfeifen, Klatschen, Jubeln: Die Anwesenden toben, als wäre ihr Lieblingsverein gerade aufgestiegen – oder als wäre
Das Kosmos Berlin ist in orange-rotes Licht getaucht. Es ist die Wahlparty des BSW – zu dem Zeitpunkt war noch nicht geklärt, ob es die Newcomer in den Bundestag geschafft haben. Diese Gewissheit gab es erst in den frühen Morgenstunden. Mit einem aus BSW-Sicht enttäuschenden Ergebnis.
Was für die Versammelten aber schon früh klar ist: "Es ist ein toller Wahlkampf gewesen", sagt Wagenknecht. Die Namensgeberin hat ihre politische Zukunft an das Abschneiden bei dieser Wahl geknüpft – ein Risikospiel. Sie dankt den Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfern – und wird immer wieder von lautem Jubel unterbrochen.
BSW ist im Feiermodus – und zittert um den Einzug
Es sei ein schwerer Wahlkampf gewesen, "es war der schwerste von allen fünf Wahlkämpfen", sagt sie und blickt zurück auf das vergangene Jahr – und darauf, dass die junge Partei sehr viel schneller in den Wahlkampfmodus schalten musste als erwartet. Der Underdog, so die Erzählung.
"Eigentlich fehlte uns alles, was man braucht", trotzdem liege das BSW nun bei Werten, die zumindest hoffen lassen, dass sie es reinschaffen. "Selbst wenn eine vier vor dem Komma steht, es hat sich gezeigt: Es gibt eine grosse Repräsentationslücke", ist Wagenknecht überzeugt.
Sie ist sich sicher: Neben der AfD werde das BSW die einzige Partei sein, die auch von denen gewählt würde, "die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen." Auch das sei eine enorme Verpflichtung. Jetzt müsse man schauen, wie es weitergeht. "Selbst wenn es nicht reicht, ist es eine Niederlage – aber es ist nicht das Ende des BSW", sagt Wagenknecht deutlich.
Dass es bei dieser Wahl womöglich nicht reichen könnte, liegt wohl auch daran, dass das grosse Thema Frieden durch die Präsidentschaft von
Für die Besucher der Wahlparty und die Parteiprominenz ist aber an diesem Abend schon klar: Der Wahlkampf und das Risiko der Parteigründung hat sich gelohnt. Seit 13 Monaten gibt es das Bündnis um Sahra Wagenknecht mittlerweile, der Gründungsparteitag hat im Januar 2024 ebenfalls im Kosmos Berlin stattgefunden. Mit den ersten Wahlen haben sich die Anhänger der Partei an den Erfolg gewöhnt: Aus dem Stand hat das BSW bei der Europawahl und den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg abgestaubt.
Deutschland hat gewählt: Friedrich Merz wird aller Voraussicht nach der nächste Bundeskanzler werden. Was erwarten Sie von seiner Kanzlerschaft und der kommenden Bundesregierung?
- Schreiben Sie uns! Mit Klick auf "Feedback" beziehungsweise "Feedback an die Redaktion" unter diesem Artikel können Sie uns Ihre Antwort zukommen lassen. Vergessen Sie dabei nicht anzukreuzen, dass wir Ihre Zuschrift veröffentlichen dürfen. Bitte geben Sie in Ihrer Nachricht an unsere Redaktion Ihren Vornamen, Ihr Alter und Ihren Wohnort an – wir veröffentlichen diese Angaben mit Ihrer Zuschrift und greifen nur Einreichungen auf, die diese Angaben enthalten.
Partystimmung bei der Linken
Auch zu Ungunsten der Linkspartei, die sich nach der Abspaltung von Wagenknecht und ihren Anhängern finden musste – und nun ihr Comeback feiert. Im Glashaus der Arena Berlin glückliche Gesichter. Bei melodischen Beats tanzen einige wenige Genossen auf dem Konfetti, das hier um 18 Uhr durch die Luft geflogen ist. Die Parteiprominenz steht währenddessen vor den Kameras und spricht mit der Presse. Die Stimmung: gelöst.
Dass es am Ende so gut ausgehen würde für die Linke, die vor wenigen Wochen noch totgesagt wurde, hätten sich Genossen und Anhängerschaft wohl selbst kaum vorstellen können. Bei 8,6 Prozent liegt die Partei den Hochrechnungen zufolge – und damit deutlich über der Fünf-Prozent-Hürde.
Wahlerfolg hat mehrere Ebenen
Der Erfolg der Linken, er hat mehrere Ebenen. Zum einen ist da natürlich das Popkultur-Phänomen
Da sind aber auch die selbsternannten "Silberlocken" – die Polit-Oldies
Als Drittes dürften auch die Angst vor einem Rechtsruck ein Grund gewesen sein, weshalb Menschen sich bei dieser Wahl für die Linke entschieden haben – und die Partei somit aus der Abstiegszone holten. Konkreter Auslöser dürfte die letzte Januarwoche gewesen sein, in der Union, FDP, BSW und AfD gemeinsam über asylverschärfende Anträge abgestimmt haben. In den Augen vieler ein Dammbruch. Die Rede Heidi Reichinneks im Anschluss an die Abstimmung wurde Millionenfach auf Social Media angeschaut.
"Silberlocke" Bodo Ramelow erscheint schlecht ausgeleuchtet auf der Leinwand hinter der Bühne. Er wird von der Wahlparty in Thüringen zugeschaltet. Die Genossen in Berlin versammeln sich davor und klatschen ihrem Direktkandidaten für Erfurt und Weimar zu. "Wir sagen dem Herrn Merz, er hat nicht alle Tassen im Schrank", sagt Ramelow zu Beginn seiner Ansprache. Ein Verweis auf die Merz-Aussage am Abend vor der Wahl, die Zeit der "linken Spinner" in Deutschland sei vorbei – nun werde wieder Politik für die gemacht, die "alle Tassen im Schrank" hätten.
Plötzlich taucht auch Gruppen-Chef und Direktkandidat Sören Pellmann auf der Leinwand auf. Mit einem kleinen Team steht er in einem Leipziger Büro und trägt rote Boxhandschuhe. Er hat ebenfalls seinen Wahlkreis im Leipziger Süden gewonnen. Die Genossen dort wirken glücklich und gelöst. Pellmann dankt dem ganzen Team und stimmt ein Lied an: "Wehrt euch, leistet Widerstand". Der Saal in Berlin steigt ein: "Gegen den Faschismus hier im Land. Auf die Barrikaden, auf die Barrikaden. Wehrt euch, leistet Widerstand." Sie recken die Fäuste in die Höhe und singen voller Innbrunst.
Irgendwo zwischen Erleichterung und der Sorge um die Zukunft. Denn: Dass Union und AfD gemeinsam knapp 50 Prozent der Stimmen eingefahren haben, gefällt hier in der Arena in Treptow niemandem.
Eins ist an diesem Abend schon klar: Die Linke ist zurück – mit einem Ergebnis, das noch vor wenigen Wochen niemand für möglich gehalten hätte. Und das BSW hat womöglich etwas geschafft, was zuvor noch keiner Partei gelungen ist: Nach der Gründung direkt in den Bundestag einzuziehen. Die früheren Genossen könnten nach ihrem toxischen Trennungsdrama nun nebeneinander auf der Oppositionsbank sitzen – und es der künftigen Regierung schwermachen.
Verwendete Quellen
- Besuch der Wahlpartys


"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.