"Mandate sind Betriebsunfälle", sagt Martin Sonneborn - und doch will DIE PARTEI am 24. September in den Bundestag einziehen. Tja, so ist das eben mit dem Vorsitzenden einer Satirepartei: Spass und Ernst liegen verdammt nah beieinander. Ein Gespräch über geschmacklose Witze, Angela Merkels Flüchtlingspolitik und Helene Fischers Zukunft in Nordkorea.

Ein Interview

Herr Sonneborn, wen empfinden Sie als grösseren Konkurrenten, Mario Barth oder Angela Merkel?

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Eine harte Frage zum Einstieg. Aber die grössere Konkurrenz ist schon Merkel, weil sie intelligenter ist. Und weil sie besser aussieht.

Als Sie vor drei Jahren ins Europaparlament gewählt wurden, sagten Sie, Sie könnten nicht garantieren, dass sie "diesen gut dotierten Irrsinn" lange durchhalten. Warum sind sie noch immer dabei?

Ich habe damals auch gesagt, dass ich so lange bleibe, wie es interessant ist. Noch ist es das. Ich ärgere alte, weisse Männer, halte ab und zu grosse Reden vor meist leerem Parlament und dokumentiere die unseriösen Seiten der EU.

Die da wären?

Ich bin fraktionslos und gehöre zum Abschaum des Parlaments. Das bedeutet, dass ich in den hinteren Reihen sitze, mit illustren Gestalten wie Jean-Marie Le Pen oder dem polnischen Monarchisten Janusz Korwin-Mikke, der mit Polen aus der EU austreten und das Frauenwahlrecht abschaffen will.

Oder Renato Soru, einer der reichsten Italiener, der nicht nur über ein Vermögen von vier Milliarden Euro verfügt, sondern auch über eine fundierte Anzeige wegen Steuerhinterziehung.

Das ist die eine unseriöse Seite. Die andere ist die Europapolitik einer grossen Koalition, die sehr wirtschaftsfreundlich agiert und sich zu wenig um soziale Belange kümmert.

Das klingt ebenso wenig spassig, wie es die Arbeit der Delegation für die Beziehungen zur koreanischen Halbinsel sein dürfte, der Sie angehören.

Das stimmt. Aber ich bin aus Gründen in dieser Delegation. Wir wollen von Kim Jong Un lernen. Der hat ein Instrumentarium, um unliebsame Entscheidungen auch mal schneller durchsetzen zu können.

Bei uns kann die Atomindustrie den Staat auf Milliarden verklagen, weil der entschieden hat, die Kernkraftwerke abzuschalten. Kim würde von seiner Industrie keine Klage bekommen. Ausserdem interessiert mich natürlich die Möglichkeit, Sigmar Gabriel mit einer Flak hinrichten zu lassen.

Und was leisten Sie als Mitglied der Delegation?

Mein grösster Erfolg war sicherlich ein Deal mit dem nordkoreanischen Botschafter in Europa. Die slowenische Band Laibach war gerade in Nordkorea aufgetreten, als er zu Gast im Parlament war. Da habe ich ihn gefragt, ob das nun eine generelle kulturelle Öffnung seines Landes gen Europa bedeutet.

Als er dies bejaht hat, habe ich angeboten, dass wir die sehr, sehr gute deutsche Sängerin Helene Fischer sehr gerne auf eine sehr, sehr, sehr ausgedehnte Nordkorea-Tournee schicken würden.

Eine Win-Win-Situation, genau genommen sogar eine Win-Win-Win-Situation: Die Nordkoreaner haben Unterhaltung, wir sind diese Schlager-Altlast los und Helene Fischer hätte ein Publikum, das sie nicht auspfeift, sondern regungslos erträgt.

Ihre Arbeit für Europa scheint ja sehr fruchtbar. Haben Sie deshalb dem Kabarettisten Serdar Somuncu den Vortritt bei der Kanzlerkandidatur für DIE PARTEI gelassen?

Tatsächlich finde ich Europa derzeit interessanter. Ausserdem fanden wir es in Zeiten der AfD angebracht, einen Türken aufzustellen.

Er hat die Chance, in Berlin-Kreuzberg das Direktmandat zu gewinnen und ich würde mich sehr freuen, wenn sich Angela Merkel in der kommenden Legislaturperiode mit einem pöbelnden Serdar Somuncu herumschlagen müsste.

Vom Direktmandat einmal abgesehen: Anders als im Europaparlament gibt es im Bundestag die Fünf-Prozent-Hürde. Wenn ich meine Stimme der PARTEI gebe, verschenke ich sie also schlicht.

Ich betrachte eher Stimmen, die an die CDU vergeben werden, als verschenkt. Aber ich will jetzt nicht aktiv um Ihre Stimme werben - wir lassen unseren Wahlkampf von CDU, SPD und Grünen machen.

Je öfter die sich äussern, je mehr Plakate sie aufhängen und je mehr Wahlprogramme sie veröffentlichen, desto mehr Menschen wählen DIE PARTEI, weil sie nicht mehr wissen, was sie ankreuzen sollen.

Die PARTEI hat auch ein Wahlprogramm. Sie fordert darin unter anderem die Inhaftierung Erdogans, eine Bierpreisbremse und den Abstieg des HSV. Welches Ziel ist aus Ihrer Sicht das wichtigste?

In Bayern würde ich sagen, die Bierpreisbremse. Aber wenn ich an Deniz Yücel denke, der im Stich gelassen wird und schon viel Zeit in einem türkischen Gefängnis verbracht hat, ist mir die Einkerkerung Erdogans schon auch eine liebe Forderung. Wir wollen ihn gegen Yücel austauschen.

Serdar Somuncu hat eben jenes Wahlprogramm, das lediglich 16 Punkte umfasst und auf einem Din-A4-Blatt Platz hat, als "durchaus ernsthaft" bezeichnet. Das müssen Sie mir erklären.

Das Programm arbeitet mit der Methode der Satire, aber wir setzen uns durchaus mit ersten Themen auseinander. Wenn wir eine Obergrenze für Flüchtlinge fordern - in dem Sinn, dass Deutschland jährlich nicht mehr aufnehmen muss, als das Mittelmeer -, dann klingt das nach einem geschmacklosen Witz.

Der eine oder andere lacht vielleicht darüber, tatsächlich aber transportieren wir damit die Wirklichkeit, dass Menschen ertrinken, weil wir in Afrika oder im Nahen Osten ihre Lebensgrundlagen zerstören und sie nicht nach Europa lassen.

Das wird in unserer Gesellschaft nicht ausreichend thematisiert, auch, weil Angela Merkel uns im Wahlkampf einlullt, um ihren schmutzigen Deal mit der Türkei nicht zu gefährden.

Haben Sie auch zu anderen drängenden Themen so klare Positionen auf Lager? Trump, Terror, Klimawandel ...

Meine Partei ist noch nicht in der Situation, dass wir Rezepte für alles und jeden brauchen. Wir müssen erst einmal die Machtübernahme schaffen.

Aber den Klimawandel verbieten und gegen unseriöse Einflussnahme aus der Wirtschaft vorgehen, da werden wir nicht schlechter agieren als die derzeitige Regierung.

Jetzt haben Sie getan, was Sie am besten können: Ihre Polit-Kollegen kritisieren. Gibt es denn auch einen Politiker, den Sie so richtig schätzen?

Vor allem ist die EU eine Veranstaltung von dicken, weissen Männern, und oftmals sind es die Dümmsten, die wir nach Europa geschickt haben. Aber ja, es gibt ein paar junge Idealisten. Ich will da aber keine Namen nennen, das würde die betreffenden Kollegen nur verunsichern.

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