SPD-Chef Sigmar Gabriel will offenbar Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten werden. Ist das eine gute Idee? Parteienforscher Werner Patzelt glaubt: In der Partei gibt es schlicht und einfach keinen anderen, der es machen würde.

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Ist es blinder Ehrgeiz? Selbstüberschätzung? Oder hat der gewiefte Taktiker schon einen Masterplan im Hinterkopf? Sigmar Gabriel hat sich offenbar entschieden, Kanzlerkandidat der SPD werden zu wollen. Das hatte wohl nicht jeder erwartet, die Parteijugend äussert sich bereits kritisch.

Ist es wirklich eine gute Idee, wenn der Wirtschaftsminister seine Partei in den Wahlkampf führt? Der Parteienforscher Werner Patzelt glaubt, dass Gabriel schlichtweg bewusst ist: Ausser ihm selbst wird es niemand in der SPD machen.

"Gabriel befindet sich jetzt auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn und weiss, dass diese Chance nur einmal da ist", sagt der Politikwissenschaftler an der TU Dresden im Gespräch mit unserer Redaktion. "Wenn er jetzt antritt, dann sicher auch, weil die SPD einfach einen Kanzlerkandidaten braucht."

Offizielle Entscheidung am 29. Januar

Die Parteispitze kommt an diesem Dienstag in Düsseldorf zusammen. Zuvor hatte die "Bild"-Zeitung gemeldet, dass Gabriel als Kanzlerkandidat antreten wolle – auch nach dem Zureden von Altkanzler Gerhard Schröder. Die Zeitung gilt in SPD-Interna als gut informiert. Der Parteivorstand twittert am Dienstagmorgen trotzdem fleissig. Die Botschaft: Noch sei gar nichts entschieden, es bleibe dabei, dass erst am 29. Januar eine Entscheidung fällt.

Die SPD-Jugend dagegen geht offenbar davon aus, dass schon alles in trockenen Tüchern ist – und äussert Kritik. Die Juso-Vorsitzende Johanna Uekermann sagt im ARD-Morgenmagazin, die Stimmung gegenüber Gabriel seit "kritisch".

Das gelte nicht nur für die Parteijugend, sondern für die gesamte Basis. "So richtig zeitgemäss ist die Entscheidung, wie sie jetzt fällt, nicht mehr", sagt die Juso-Chefin, die dafür gewesen wäre, dass die Mitglieder entscheiden.

Gabriel hat gerade dem linken Parteiflügel einiges zugemutet. Gegen das Murren der Basis setzte er sich für das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen CETA ein. Kindern von EU-Ausländern, die nicht in Deutschland leben, will er das Kindergeld kürzen.

Gleichzeitig konnte sich der umtriebige Vizekanzler und Wirtschaftsminister aber bei der Supermarktkette Kaiser's Tengelmann als Retter von Arbeitsplätzen feiern lassen. Gabriel gilt als impulsiv, gleichzeitig als kluger Stratege. 2013 konnte er eine Mehrheit seiner Parteimitglieder davon überzeugen, in die Grosse Koalition mit der Union einzutreten, und am Kabinettstisch hat die SPD danach wichtige Posten besetzt. Auch beim umstrittenen Thema CETA brachte er eine Mehrheit der Partei hinter sich.

Seinem Ruf als erfolgreicher Taktiker machte Gabriel schliesslich alle Ehre, als er SPD-Aussenminister Frank-Walter Steinmeier als Kandidaten der Grossen Koalition für das Amt des Bundespräsidenten durchsetzte.

Gabriel ist an der Basis umstritten

Klar ist trotzdem: Der Parteivorsitzende polarisiert, seine Basis liegt ihm nicht gerade zu Füssen. "Gabriel ist sicherlich nicht der beliebteste und angesehenste Vorsitzende, den die SPD je hatte", sagt Wissenschaftler Patzelt. Er gelte als sprunghaft, als jemand, der seine Entscheidungen nicht konsequent durchdenkt. Gleichzeitig sei der Niedersachse im persönlichen Umgang ein angenehmer Typ. "Und er hat immer wieder persönlichen und politischen Mut bewiesen – etwa als er sich mit Pegida-Anhängern getroffen, ihnen zugehört und sie danach rhetorisch zerlegt hat", sagt Patzelt.

Die SPD habe zu Gabriel derzeit einfach keine Alternative, glaubt der Parteienexperte. "Es gibt keinen anderen, der diesen Opfergang auf sich nehmen will." Aber war da nicht noch Martin Schulz? Der bisherige Präsident des Europäischen Parlaments will in die Bundespolitik wechseln.

Der 61-jährige Rheinländer hat sich in den vergangenen Jahren einen guten Ruf über die Grenzen seiner Partei hinaus erarbeitet. In Umfragen schneidet er besser ab als der Parteichef. Die Forschungsgruppe Wahlen kam in ihrem Politbarometer im November zu dem Schluss, dass sich 51 Prozent der Deutschen Schulz als Kanzlerkandidaten wünschen – nur 29 Prozent sprachen sich für Gabriel aus.

Parteienforscher Patzelt allerdings glaubt, dass Schulz seinen Hut ohnehin nicht in den Ring werfen will: "Er wird wohl kaum in die Bundespolitik wechseln, um dann als gescheiterter Kanzlerkandidat schnell wieder politisch verbrannt zu sein."

Denn der Wissenschaftler schätzt die Erfolgschancen der Sozialdemokraten als gering ein. "Ein Sieg für die SPD ist extrem unwahrscheinlich in einem Wahlkampf, dessen zentrales Thema wahrscheinlich die innere Sicherheit sein wird", so Patzelt.

Auch einen Lagerwahlkampf für Rot-Rot-Grün hält er für wenig aussichtsreich. Das Beste, was ein SPD-Kanzlerkandidat in so einer Situation erreichen könne, sei der Posten des Vizekanzlers in einer Grossen Koalition. Das würde für Gabriel immerhin heissen: Er behält die Aufgabe, die er jetzt schon hat.

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