Der Doch-Noch-Verzicht Martin Schulz' auf das Aussenamt hat die SPD ins Chaos gestürzt. Anstatt sich über einen Koalitionsvertrag mit sozialdemokratischer Handschrift zu freuen, geht es bei den Genossen um Personalien und grosse Egos. Ein Blick in die Geschichte der SPD zeigt: Die Partei hat aus Fehlern von früher nicht gelernt.
Politiker brauchen Ellenbogen. Grabenkämpfe, Ränkespiele und Intrigen gehören häufig dazu, wenn um Ideen, Einfluss und Posten gestritten wird. Doch was aktuell in der SPD geschieht, lässt selbst die Leid erprobten Genossen fassungslos zurück.
Ein Genosse, der die Stimmungslage gut kennt, sagte "Spiegel Online", die Entwicklung mache ihn sehr traurig.
"Ich hab's satt", schrieb Ex-Juso-Chefin Johanna Uekermann bei Twitter: "Sagt Bescheid, wenn dieser Männerzirkus vorbei ist."
Mit Männerzirkus ist das Drama um Sigmar Gabriel und Martin Schulz gemeint. Der eine wollte gerne Aussenminister bleiben, der andere wollte Aussenminister werden. Der eine hat ein grosses Ego, der andere ein mindestens genau so grosses.
Der daraus resultierende Streit, stürzt die ohnehin schwächelnde Partei, die in Umfragen nur noch knapp vor der AfD liegt, endgültig ins Chaos.
"Ein Staat, dessen politische Vertreter sich wie in einer Bananenrepublik gegenseitig ins Aus kegeln, wird zur Lachnummer auf dem internationalen Parkett", kommentierte die TAZ.
"Dieser Egozentriker wollte um keinen Preis alleine stürzen"
Was war geschehen? Noch am Dienstag, nach der Einigung auf den neuen Koalitionsvertrag, kündigte Martin Schulz an, als Aussenminister in ein neues Kabinett Merkel eintreten zu wollen – entgegen seiner früheren Aussagen.
Die engere Parteiführung trug den Schritt mit. Der geschäftsführende Aussenminister
Die TAZ kommentierte Gabriels Attacke so: "Dieser Egozentriker wollte um keinen Preis alleine stürzen. Das hat Gabriel erreicht."
Jedoch war es nicht Gabriels Attacke allein, die
Die SPD-Führung schloss sich schliesslich dieser Einschätzung an – nur 48 Stunden nach der Entscheidung, Schulz zum Aussenminister zu küren. "Ein solches kollektives Führungsversagen gab es in der Parteigeschichte selten", kommentierte die "Welt" das Hin und Her.
Durch die Diskussion um seine Person sehe er das SPD-Mitgliedervotum "gefährdet", begründete Schulz am Freitagnachmittag seinen Rückzug. Den SPD-Vorsitz will er ohnehin an Andrea Nahles abgeben. Er wird also künftig nur noch einfacher Bundestagsabgeordneter sein.
Gute Ergebnisse, grosse Egos
Die Eskalation kommt für die SPD zur Unzeit. Die innerparteilichen Streitigkeiten überschatten einen Koalitionsvertrag, der aus Sicht der Genossen durchaus als Erfolg gewertet werden kann.
Die Sozialdemokraten haben einige ihrer Projekte untergebracht und sich trotz des historisch schlechten Wahlergebnisses die drei Schlüsselressorts Finanzen, Aussenamt sowie Arbeit und Soziales gesichert. "Die Lage ist kurios", kommentiert "Spiegel Online". "Eigentlich könnten die Sozialdemokraten hochzufrieden sein."
Das Gegenteil ist der Fall: Die Partei zerlegt sich selbst. "Ich kann nur hoffen, dass mit dieser Entscheidung von Martin Schulz sich jetzt alles auf die Inhalte konzentriert, die wir herausgearbeitet haben", sagte die designierte SPD-Chefin
Juso-Chef Kevin Kühnert hatte schon vor dem Schulz-Rückzug im "Spiegel" gefordert, sich mehr den Sachthemen zu widmen. "Da muss auch jedes noch so grosse Ego mal einen Moment zurückstehen können."
Intrigen sind bei der SPD nichts Neues
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Schon früher waren die Genossen selten um eine Intrige verlegen.
Berüchtigt sind die Worte des früheren Fraktionschefs Herbert Wehner, der über Willy Brand 1973 gesagt hatte: "Der Herr Bundeskanzler badet gerne lau" - eine Anspielung auf dessen schwindende Führungsstärke. Wenig später trat Brandt wegen der Guillaume-Affäre zurück.
In Erinnerung ist auch die Kampfabstimmung auf dem Parteitag 1995 geblieben, als Oscar Lafontaine den SPD-Vorsitz von Rudolf Scharping an sich riss.
Später kam es zum Bruch zwischen Lafontaine und Kanzler Gerd Schröder, unter anderem, weil der Saarländer den wirtschaftsfreundlichen Kurs Schröders nicht mittragen wollte. Lafontaine trat 1999 als Finanzminister zurück, legte später das Parteibuch ganz ab und arbeitete bei der Gründung der Linkspartei mit.
Schliesslich stürzte SPD-Chef Franz Müntefering 2005 über die eigenen Parteigenossen, weil er seinen Wunsch-Kandidaten für den Posten des Generalsekretärs in einer Abstimmung gegen Andrea Nahles nicht durchsetzen konnte.
Die SPD kommt nicht mehr zur Ruhe: Amtierten zwischen 1946 und 1991 nur vier Vorsitzende, waren es seit Anfang der 90er Jahre zehn.
Doris Harst, Schwester von Martin Schulz und selbst langjähriges Parteimitglied, sagt der "Welt am Sonntag", ihr Bruder habe die "Schlangengrube" völlig unterschätzt. Damit meinte sie: die SPD.
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