Wie läuft der deutsche Wahlkampf drei Wochen vor der Bundestagswahl? Langweilig, sagt Journalist Markus Wiegand. Und das sei Merkels Verdienst.
Wie läuft der deutsche Wahlkampf drei Wochen vor der Bundestagswahl? Wir fragten Markus Wiegand, er leitete bis Ende 2015 die Zeitschrift "Schweizer Journalist".
Jetzt ist Wiegand zurück in Deutschland, wo er als Chefredaktor des Branchenmagazins "Kress Pro" die Kommunikationsbranche kritisch beäugt.
Es ist ruhig in Deutschland. Stimmt der Eindruck?
Markus Wiegand: Ja, das hat aber auch terminliche Gründe, in den bevölkerungsreichen Bundesländern sind noch Sommerferien.
Das führt zur Frage, warum der Wahltermin so gesetzt wurde. Wenn der Wahlkampf kurz ist, hilft das immer dem Amtsinhaber.
Was ist mit
Schulz hat ein Problem. Wer einen Wechsel will, braucht eine Wechselstimmung, also ein Thema, das sich dafür eignet.
Die naheliegende Option wäre, auf
Darum macht das die AfD. Schulz hat kein Thema, er hat nur sich als Person.
Und diese scheint an Strahlkraft verloren zu haben.
Als Martin Schulz angetreten ist, sprangen seine Umfragewerte innerhalb von Wochen hoch, es war kaum zu glauben. Das war aber ein Medienphänomen.
Die professionellen Politikbeobachter in Berlin waren längst gelähmt durch die Langeweile, die sich schon vor vier oder acht Jahren manifestiert hatte. Dann kam Martin Schulz und alle dachten, endlich haben wir ein Rennen, es wird eng, spannend, man hat was zu berichten.
Es hat sich gegenseitig hochgeschaukelt, und als Schulz dann nachgelassen hat in den Umfragen, taten alle so, als sei es der Fehler von Schulz gewesen, obwohl die Medien an diesem Dreh mitverdient und mitgearbeitet haben.
Die deutschen Journalisten wünschten sich amerikanische Verhältnisse?
In den USA gab es ja ein echtes Duell zwischen Hillary und Trump. In Deutschland ist es die künstliche Inszenierung davon.
Es wird hier sehr viel über Personen geredet, obwohl wir gar keine Personen wählen, und das macht sich Merkel auch stark zunutze. Vor vier Jahren war der Satz, der hängenblieb: "Sie kennen mich."
Es gab keine dramatischen politischen Aussagen der Kanzlerin, sondern einfach nur: "Sie kennen mich." Das ist auch jetzt wieder der Kern ihres Wahlkampfs, sie sagt: "Mit mir können Sie nichts falsch machen."
Und es scheint zu funktionieren.
Ja, ich kenne unter den Politjournalisten niemanden, der ernsthaft damit rechnet, dass Schulz noch Kanzler wird, da auch keine Konstellation denkbar ist, in der das gelingen könnte.
Und weil das so ist, fehlt der Kampagne nun der Drive. Wenn ich heute mit Berlin-Korrespondenten spreche, berichten die: Selbst die Kader in der SPD wissen inzwischen, dass das Rennen längst gelaufen ist.
Darum also herrscht nun fast schon schweizerische Unaufgeregtheit?
Wenn ich die Wahlkämpfe in der Schweiz und Deutschland vergleiche, dann ist hier natürlich alles eine Nummer grösser, aber inhaltsleer.
Dadurch, dass Schweizer immer wieder Sachabstimmungen haben, sind sie gewöhnt, sich mit Themen auseinanderzusetzen. Wer den Umwandlungssatz einer Pensionskasse verstehen will, muss sich anstrengen.
Zum andern gilt natürlich auch: Die Schweiz wählt am Ende keinen Kanzler, sie wählt Parteien.
Tut sich da etwas, bei den deutschen Parteien?
Da bewegt sich was, und dies obwohl die Grünen durch die Landtagswahlen sehr gelähmt sind und ebenfalls ohne Thema dastehen.
Es gab zwar Dieselgate. Aber auch dieses Thema hat Merkel instinktiv sehr schnell besetzt.
Überraschend gut liegt hingegen die FDP im Rennen, und die AfD sammelt die Enttäuschten ein, die 7 bis 10 Prozent Rechtsaussen, die durch Flüchtlingspolitik und Eurorettung verunsichert wurden.
Es könnten nun aber auch mehr Enttäuschte sein. Merkel hat ihre Willkommenspolitik relativiert und viele Enttäuschte zurück zur CDU geholt.
Ja, sie hatte aber auch Glück, weil die Flüchtlingskrise mitten in der Legislatur passiert ist. Wenn das Flüchtlingsthema später nochmals hochgekommen wäre, hätte ihr das erheblich schaden können.
Das Kalkül von Merkel, dass der Flüchtlingsstrom und die Stimmung dagegen abebbt mit den Verträgen in der Türkei, das ging auf.
Dennoch: Dadurch, dass die CDU nach links ging, blieben ganz rechts etwa 10 Prozent stehen, die Merkel nun nicht mehr einsammeln kann. Gleichzeitig ist ihre CDU jetzt in der Mitte sehr stark, also dort, wo die SPD damals mit Schröder die Wahl gewonnen hat.
Ehe für alle? Für die CDU kein Problem. Atomausstieg? Für die CDU kein Problem. Diese Lücke ist nun dicht.
Das klingt, als habe hinter Merkels Werk stets Wahlkampf-Kalkül gesteckt.
Wofür steht Merkel? Dass sie den Mainstream aufnimmt und befriedigt, und dies durchaus auch wechselhaft. Das zeigte sich erstmals bei Fukushima, als sie die ganze Energiepolitik einer europäischen Industrienation innerhalb von Tagen gedreht hat, und zwar richtig in den Mainstream. Inzwischen hat sie diese Taktik perfektioniert.
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