• Das Bundestagswahlprogramm der AfD beginnt mit einer Generalabrechnung: "Die Regierungspolitiker in Bund und Ländern haben mit ihrer Flüchtlings-, Europa- und Corona-Politik die Prinzipien der deutschen Staatlichkeit, des Rechts und der Verfassung vielfach verletzt."
  • Steuererleichterungen sowie härtere Asylpolitik sollen der Partei Stimmen einbringen.

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Der Satz ist ein Vorgeschmack auf die folgenden 209 Seiten, mit denen die beiden Spitzenkandidaten Alice Weidel und Tino Chrupalla in den Wahlkampf starten wollen – inhaltlich sowie im Sound. Weite Strecken des Programms sind in anklagendem Ton formuliert, der Bundesregierung wird Totalversagen vorgeworfen, regelmässig tauchen Signalwörter auf ("totalitäre Tendenzen", "Mainstream-Medien"). Inhaltlich hat die Partei den Fokus auf drei Themen gelegt: Die Forderung nach einem EU-Austritt Deutschlands, die Kritik an der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und an den Corona-Massnahmen.

Ursprünglich hatte die Parteispitze rund um den Co-Sprecher Jörg Meuthen einen milderen Ton anschlagen wollen. Ihr Leitantrag, der den Delegierten zum Bundesparteitag in Dresden vorgelegt worden war, wurde aber auf Betreiben des rechtsextremen Flügels deutlich nachgeschärft. Ein Beispiel: In der Ursprungsversion war zunächst von einem Nachzug für anerkannte Flüchtlinge "unter strengen Bedingungen" die Rede. Im finalen Programm wird nun "jeglicher Familiennachzug für Flüchtlinge" komplett ausgeschlossen.

Das Wahlprogramm der AfD

Wirtschaft und Steuern

Die AfD sieht den wirtschaftlichen Wohlstand in Gefahr, weil "politisch initiierte Umbrüche" – namentlich die Klimarettung – zahlreiche Branchen schädigten. Die Wirtschaft solle deshalb von "politisch herbeigeführten Belastungen komplett befreit" werden. Konkret schlägt die Partei einen "Blue-Deal-Entwicklungsplan" vor, der Investitionen in die deutsche "Technologieführerschaft" vorsieht und einen sogenannten Brain-Drain, also die Abwanderung von Entwicklern und Unternehmern ins Ausland, abwenden soll. Mehrmals ist von "fördern" und "entfesseln" die Rede: Die Förderung von MINT-Fächern in Schulen und Universitäten, die Förderung der "Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in Produkte" und die Förderung von "Selbstständigkeit und Erfindergeist". Was das konkret bedeutet und wie viel es kostet, bleibt offen. Gegenüber den Arbeitnehmern bekennt sich die Partei zur Tarifbindung und zur "Mitwirkung und Mitbestimmung" der Beschäftigten. Leiharbeitnehmer sollen Stammarbeitnehmern finanziell gleichgestellt werden, zudem bekennt sich die Partei zu einem nicht näher bezifferten Mindestlohn.

In der Finanzpolitik plädiert die AfD für die Abschaffung zahlreicher Steuern. Als Kronzeuge taucht der ehemalige Verfassungsrichter Paul Kirchhof auf ("gutes Beispiel für eine grosse Reform"), der im Wahlkampf 2005 als CDU-Wunderwaffe und Finanzminister im Schattenkabinett von Angela Merkel für seine Steuer-Reformvorschläge bekannt geworden war. Dessen Konzept sah unter anderem vor, den progressiven Einkommenssteuersatz durch einen Grenztarif von 15, 20 und 25 % zu ersetzen, was mit den Vorschlägen der AfD jedoch wenig gemein hat. Denn die AfD will bestehende Steuern nicht reformieren, sondern die meisten von ihnen abschaffen. So sollen zum Beispiel die Energiesteuer, die Grundsteuer, die Gewerbesteuer, die Vermögenssteuer und die Erbschaftssteuer weichen. Der Staat soll seine Einnahmen steuerseitig nur noch durch die Umsatz- und die Einkommenssteuer decken, sowie durch eine neue "Digitalsteuer für Tech-Riesen", bei dem die Besteuerung am Umsatz und nicht am Gewinn bemessen wird.

Klima

Die AfD lehnt die umfassende CO2-Vermeidung mit Verweis auf einen dafür nötigen Gesellschaftsumbau ab. Eine Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energien sei "unökologisch unrealistisch", Windenergieanlagen soll es nur bei breiter Zustimmung der betroffenen Bürger geben. Die Fokussierung auf den Wasserstoff als wichtige Energiequelle der Zukunft, für den zum Beispiel die CDU wirbt, erfordere ein "ökologisch, energetisch und ökonomisch unsinniges paralleles Infrastruktursystem". Festhalten will die AfD hingegen an der Fertigstellung der Gaspipeline Nord Stream 2 sowie an der Kohleverstromung. Was den Umgang mit dem Klimawandel betrifft, soll die Gesellschaft auf veränderte Bedingungen vorbereitet werden. Ob damit der Bau stabilerer Dämme oder die verpflichtende Ausrüstung mit Klimaanlagen gemeint ist, all das bleibt offen.

Eine vom Menschen gemachte "Klimakatastrophe", so heisst es, lasse sich durch den Verzicht auf Kohle, Öl und Gas nicht verhindern. Der Anstieg der Konzentration von CO2 in der Atmosphäre habe zu einem "Ergrünen der Erde" beigetragen. Zudem stellt die Partei auf vermeintlich positive Effekte des Klimawandels ab: "Die Menschheitsgeschichte belegt, dass Warmzeiten immer zu einer Blüte des Lebens und der Kulturen führten, während Kaltzeiten mit Not, Hunger und Kriegen verbunden waren". Ohne nähere Erläuterung fällt im Kapitel "Klima" auch das Stichwort vom "Great Reset" – einem unter Verschwörungstheoretikern verbreiteten Begriff, der auf die Behauptung zielt, "globale Finanzeliten" hätten die COVID-19-Pandemie geplant, um in einer neuen globalen Weltordnung die globale politische und wirtschaftliche Kontrolle zu übernehmen. Konkrete Forderungen leitet die Partei aus dieser Erwähnung nicht ab.

Islam & Migration

Ein vierseitiges Kapitel ist dem Islam gewidmet, das mit einem Bekenntnis der Partei zur Glaubensfreiheit beginnt. Keiner anderen Glaubensgemeinschaft wird in dem Wahlprogramm annähernd so viel Platz eingeräumt. Das Kapitel ähnelt einem Beipackzettel: Auf Risiken und Nebenwirkungen wird hingewiesen. So heisst es, jüdisches Leben werde zunehmend von "juden- und israelfeindlichen Muslimen" gefährdet. Die Terrorgefahr durch Terroristen sei eine "ständige Bedrohung unseres Lebens und Friedens". Minarett und Muezzinruf seien mit einem toleranten Nebeneinander der Religionen nicht vereinbar.

Das Asylsystem wird als "dysfunktional" beschrieben, weil es zu illegaler Migration, Schleuserkriminalität und zahlreichen Todesopfern im Mittelmeer führe. Die Genfer Flüchtlingskonvention soll durch ein "Schutzsystem des 21. Jahrhunderts" ersetzt werden. Demnach soll sich die Migrationspolitik vor allem auf humanitäre Hilfe in Krisenregionen fokussieren. Asylsuchende sollen schon bei der Einreise an der Grenze zurückgewiesen werden. Humanitäre Aufnahme soll es lediglich für vom Bundestag ausgewählte, besonders schutzbedürftige Personen, "für deren Auswahl ein mit der deutschen Werte- und Gesellschaftsordnung vereinbarer kultureller und religiöser Hintergrund ein wichtiges Kriterium ist", geben. Der Grenzschutz soll nicht mehr vollständig an die EU delegiert werden, was eine "moderne und wirksame Sicherung" an den deutschen Grenzen notwendig mache, wobei auch die Einführung von Grenzzäunen als eine Möglichkeit der Sicherung eingeführt wird. Deutschland sei, so heisst es, sei ein "Asylparadies". In einem ausführlichen 15-Punkte-Plan spricht sich die Partei gegen jede Form von Zuwanderungskontingenten aus, gegen eine Aufnahme von Flüchtlingen im Rahmen einer "europäischen Lösung" und gegen Umverteilungsquoten. Asylverfahren sollen nur bei nachgewiesener Identität aufgenommen und Falschangaben "streng bestraft" werden. Die Zahl sicherer Herkunftsstaaten soll ausgeweitet werden, konkret ist auch von Abschiebungen nach Afghanistan, Syrien und in den Irak die Rede. Wer als Asylberechtigter in sein Herkunftsland zurückreist, soll sein Aufenthaltsrecht verwirken.

Bildung & Soziales

In der Bildungspolitik konzentriert sich das Programm vor allem auf die Benennung von Defiziten. Kritisiert wird ein "Akademisierungswahn", der zu einem Absinken des Bildungsstandards führe. Das Bildungssystem müsse wieder auf das Niveau einer "führenden Wissenschafts- und Industrienation gehoben werden". Die AfD will das mehrgliedrige Schulsystem behalten, plädiert jedoch für mehr Durchlässigkeit zwischen den Schulformen. Zu hohe Abiturquoten gefährdeten den Nachwuchs in den Ausbildungsberufen, weshalb das Abitur "wieder zum Ausweis der Studierfähigkeit" werden müsse. Herausgehoben wird der Wert der beruflichen Bildung. Anders als die meisten Parteien blickt die AfD verhalten auf die Digitalisierung von Schulen. Dies müsse "stets unter den Prämissen der Sinnhaftigkeit und der Arbeitserleichterung betrachtet werden". Die ersten vier Schuljahre sollten ausdrücklich digitalfrei gehalten werden. An den Universitäten fordert die Partei die Abschaffung des Bachelor- und Mastersystems. Der Bologna-Prozess habe zu einer geringen Qualifikation von Bachelor-Absolventen geführt, weshalb Diplom- und Magisterstudiengänge wieder eingeführt werden sollten.

Die AfD bekennt sich zur Familie als "Keimzelle unserer Gesellschaft" und sieht zahlreiche Entlastungen vor. Eltern sollen eine Art Kinderbonus erhalten, in Form einer Rückzahlung entrichteter Rentenbeiträge in Höhe von 20.000 Euro oder als entsprechende Rückstellung. Für junge Familien sollen Erstanschaffungen bei Familiengründungen durch einen "Ehe-Start-Kredit" unterstützt werden, der Deutschen und EU-Bürgern, die mindestens 20 Jahre in Deutschland leben, gewährt wird. Der Wiedereinstieg von Eltern nach der Babypause soll für Arbeitgeber durch Lohnsubventionen vereinfacht, Bauland soll vergünstig an Familien abgegeben werden.

Verwendete Quelle:

  • Wahlprogramm der AfD zur Bundestagswahl 2021: Deutschland. Aber normal. Abgerufen am 28. Juli 2021
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