Der Ukraine droht der Zusammenbruch, die USA rütteln am transatlantischen Bündnis – und Europa ist weitgehend auf sich alleingestellt. Ein zukünftiger Bundeskanzler Friedrich Merz stünde in der Aussenpolitik vor gewaltigen Herausforderungen. Auch im Bundestag sind die Erwartungen hoch.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Fabian Busch sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Wäre das Leben von Friedrich Merz ein James-Bond-Film, dann könnte der Titel für das nächste Kapitel lauten: Die Welt wartet nicht. Nach der Bundestagswahl ist relativ klar, dass der CDU-Vorsitzende der zehnte Bundeskanzler der Bundesrepublik wird. Und das Land durch die aktuelle Weltlage zu führen, dürfte für Merz in etwa so anspruchsvoll werden wie ein Auftrag Seiner Majestät für James Bond.

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Zäsur im Bündnis mit den USA

Der Ukraine droht nach drei Jahren Verteidigungskrieg gegen Russland der militärische Zusammenbruch. Gleichzeitig hat die neue US-Regierung unter Donald Trump dem angegriffenen Land praktisch die Unterstützung entzogen. Sie will stattdessen direkt mit Russland über das Schicksal der Ukraine verhandeln. Danach sollen die Europäer sich um das Thema kümmern – und um ihre eigene Sicherheit auch.

Das Bündnis zwischen den USA und Europa steht damit vor einer Zäsur. Der überzeugte Transatlantiker Merz hat die Situation am Sonntagabend in der "Elefantenrunde" nach der Wahl überraschend deutlich beschrieben: Es sei inzwischen klar, dass der amerikanischen Regierung "das Schicksal Europas weitgehend gleichgültig ist". Es geht also nicht nur um die Verteidigung der Ukraine, sondern auch Deutschlands und des Nato-Bündnisses.

CDU-Politiker Kiesewetter: "Merz wird Sicherheit in Europa koordinieren müssen"

Die Unionsparteien haben die Aussenpolitik der scheidenden Bundesregierung in den vergangenen Jahren immer wieder kritisiert, allen voran Bundeskanzler Olaf Scholz. Zu wenig beherzt sei er nach dem russischen Überfall auf die Ukraine aufgetreten, hiess es. Zu stark habe die Stellung Deutschlands in Europa gelitten. Zu viel Porzellan habe Scholz in den Beziehungen etwa zu Frankreich und Polen zerschlagen.

Jetzt werden Merz und die Union zeigen müssen, wie sie es besser machen. Auch in der eigenen Partei sind die Erwartungen gross.

Roderich Kiesewetter ist Obmann von CDU/CSU im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags. Er sieht Europas Sicherheit durch die sogenannten CRINK-Staaten bedroht: Die Abkürzung steht für China, Russland, Iran und Nordkorea. "Merz wird einerseits Sicherheit in Europa neu koordinieren und insbesondere die militärische Unterstützung der Ukraine wesentlich erhöhen müssen", sagt Kiesewetter unserer Redaktion. Deutschland müsse das Vertrauen der Partner in Nord-, Mittel- und Osteuropa zurückgewinnen sagt er: Sie hätten sich ein entschiedeneres Auftreten der Deutschen gegenüber Russland erhofft. "Deshalb wäre es klug, sich einer Koalition der Willigen anzuschliessen, um die Ukraine zu unterstützen", sagt Kiesewetter.

Deborah Düring: "Keine Anbiederung an Trump oder China"

Ähnliche Erwartungen hat Deborah Düring an den möglichen nächsten Kanzler. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete ist aussenpolitische Sprecherin ihrer Fraktion. "Friedrich Merz muss zeigen, ob er für eine Aussenpolitik mit Haltung steht, oder ob internationales Recht für ihn nur dann zählt, wenn es ins eigene Konzept passt", sagt sie. "Deutschland braucht keine Anbiederung an Trump oder China, sondern eine selbstbewusste Aussenpolitik, die auf europäische Partnerschaft, Diplomatie und Rechtsstaatlichkeit setzt."

Wie geht es weiter mit der Schuldenbremse?

Die aussenpolitische Herausforderung hat auch eine innenpolitische Komponente. Merz hat deutlich höhere Investitionen in die Verteidigung versprochen. Doch woher das Geld kommen soll, ist unklar. Viele Experten bezweifeln, dass Einsparungen im Haushalt (etwa beim Bürgergeld) reichen werden.

CDU-Politiker Kiesewetter zählt auf: Deutschland müsse potenzielle Angreifer glaubhaft abschrecken können, müsse die kritische Infrastruktur schützen und eine militärische Reserve für den Verteidigungsfall aufbauen. "Das kostet alles Geld und muss planungssicher finanziert sein", sagt Kiesewetter. Und dafür wiederum brauche es eine stabile Wirtschaft und Investitionen in die Infrastruktur.

Die Grünen fordern schnelle Entscheidungen, damit der Bund mehr Schulden aufnehmen kann. "Es braucht jetzt eine Aufhebung der Schuldenbremse, um den vielen aussenpolitischen Herausforderungen gerecht zu werden", sagt Deborah Düring. Auch die humanitäre Hilfe und Krisenprävention dürfe der Bund nicht vernachlässigen.

Merz hat Gesprächsbereitschaft angedeutet. Der Schritt wäre ohnehin schwierig: Die Schuldenbremse ist im Grundgesetz verankert. Um sie zu reformieren oder gar abzuschaffen, wäre im Bundestag eine Zweidrittelmehrheit nötig. Bei der neuen Sitzverteilung wäre eine neue Regierung dabei auf die Unterstützung von Linken oder AfD angewiesen. Mit denen will die Union aber nicht zusammenarbeiten. Und selbst wenn: Die Bereitschaft bei Linken und AfD, der Union diesen sehr grossen Gefallen zu tun, ist sehr gering. Deswegen steht nun die Möglichkeit im Raum, dass noch der alte Bundestag eine Reform der Schuldenbremse beschliesst. Auch ein gewagtes Projekt.

CDU-Politiker Kiesewetter sieht die Gefahr eines von den politischen Rändern blockierten Parlaments. "Es kommt deshalb auf strategische Führungskraft, klare Kommunikation und Integrationsfähigkeit wie auch klare Haltung an", sagt er mit Blick auf Merz. "Unserer Bevölkerung wird durch die neue Bundesregierung einiges zuzumuten sein, aber die Wahrheit ist den Menschen zumutbar, um Frieden in Freiheit und Selbstbestimmung zu sichern."

Verwendete Quellen

  • Stellungnahmen von Roderich Kiesewetter (CDU) und Deborah Düring (Bündnis 90/Die Grünen)
  • Tagesschau.de: Berliner Runde: Bundestagswahl 2025