Die Europawahl hat begonnen. Mehr als 400 Millionen Menschen sind in 28 Staaten zum Urnengang aufgerufen. An der "grösste grenzüberschreitende Wahl auf dem Planeten", nimmt auch Grossbritannien teil - obwohl das Land eigentlich aus der EU austreten will.
Die Europawahl hat begonnen - begleitet von Sorgen über ein Erstarken rechter Populisten und einer Zuspitzung der Brexit-Krise. Als Erste stimmten am Donnerstag die Niederländer und Briten ab, obwohl Letztere die Europäische Union Ende Oktober verlassen wollen.
Bis zum Sonntag können bei der Superwahl mehr als 400 Millionen Menschen in den 28 EU-Mitgliedsstaaten 751 neue EU-Abgeordnete bestimmen.
Eine Chance für das Volk
Deutschland wählt wie die meisten anderen EU-Staaten zum Abschluss am Sonntag. Bundesaussenminister
Der Sprecher der EU-Kommission, Margaritis Schinas, sagte, die Europawahl sei "die grösste grenzüberschreitende Wahl auf dem Planeten und eine Chance, über unsere Zukunft zu entscheiden". Nun sei die Stunde des Volkes, ergänzte er am Donnerstag.
Der Wahlausgang entscheidet nicht nur über die Sitzverteilung im EU-Parlament und die Chancen des Deutschen Manfred Weber auf den Posten des EU-Kommissionschefs.
Der bisherige Amtsinhaber
Auftrieb für Rechtspopulisten
Gerechnet wird diesmal mit hohen Stimmanteilen für EU-kritische und rechtspopulistische Parteien. Das könnte die Gesetzgebung und die Besetzung von Spitzenposten in Brüssel extrem kompliziert machen.
Die grossen Parteienfamilien der Christdemokraten und Sozialdemokraten müssen im Vergleich zur Wahl 2014 deutliche Verluste befürchten. Voraussichtlich werden sie im EU-Parlament zusammen keine Mehrheit mehr haben, sondern auf Liberale, Grüne oder Linke angewiesen sein.
Nach einer Projektion des Portals "Politico" kann die EVP im Parlament auf 171 Mandate hoffen, die Sozialdemokraten auf 144. Die Liberalen kämen zusammen mit der Partei LREM des französischen Präsidenten Emmanuel Macron auf 107 Mandate.
Die neue Allianz von Rechtsnationalen und Populisten würde mit 74 Sitzen Platz vier erreichen; die ebenfalls EU-kritische Fraktion EKR hätte weitere 57 Sitze. Danach folgen die Grünen mit 56 und die Linke mit 51 Mandaten.
In Grossbritannien zeichnete sich ein Triumph für die Brexit-Partei von Nigel Farage ab, die nach Umfragen bis zu 38 Prozent der Stimmen erhalten könnte. Auch die Liberaldemokraten und die Grünen, die sich gegen den EU-Austritt aussprechen, erleben Höhenflüge.
Wähler-Strafe für das Brexit-Chaos wird erwartet
Die Wähler scheinen die Gelegenheit nutzen zu wollen, die beiden grossen Parteien - Konservative und Labour - für das Chaos um den EU-Austritt abzustrafen. Für die konservativen Tories von Premierministerin
May steht unter massivem Druck, von ihrem Amt zurückzutreten. Spekulationen zufolge könnte sie bereits am Freitag gezwungen sein, ein Datum für ihren Abschied zu nennen.
Die Briten hatten vor fast drei Jahren in einem Referendum für den EU-Austritt gestimmt. Dass sie dennoch an der Wahl teilnehmen, liegt daran, dass die britische Regierung ihr mit der EU ausgehandeltes Austrittsabkommen nicht rechtzeitig durch ihr Parlament gebracht hat. Der EU-Austritt soll nun spätestens am 31. Oktober erfolgen, doch werden auch an diesem Termin Zweifel laut.
Überraschung zum Wahlauftakt
Überraschenderweise liegen in den Niederlanden nach einer Prognose die Sozialisten des europäischen Spitzenkandidaten Frans Timmermans bei der Europawahl vorn. Das berichtete am Donnerstagabend der staatliche Sender NOS nach Schliessung der Wahllokale unter Berufung auf Daten des Instituts Ipsos.
Die Sozialisten kamen demnach auf 18,4 Prozent der Stimmen, was fünf Sitze im EU-Parlament bedeuten würde. Gleichauf folgen demnach mit jeweils vier Sitzen die beiden Regierungsparteien, die VVD des liberalen Ministerpräsidenten Mark Rutte sowie die christlich-konservative CDA.
Thierry Baudet, die neue Zentralfigur der rechten Szene in dem Land, und sein Forum für Demokratie (FvD) kommen nach der Prognose auf drei Sitze. Das Abschneiden Baudets war mit Spannung erwartet worden.
Seine Partei will ein Referendum über die niederländische EU-Mitgliedschaft und hatte überraschend die jüngste Provinzwahl gewonnen. Bei der Europawahl 2014 existierte die Partei noch nicht.
Die offiziellen Ergebnisse werden erst am Sonntag nach Schliessung der letzten Wahllokale in Europa bekanntgegeben. In den Niederlanden waren knapp 13 Millionen Menschen zur Abstimmung aufgerufen. Die Wahlbeteiligung, die vor fünf Jahren in den Niederlanden noch bei bescheidenen 37,3 Prozent gelegen hatte, stieg nach der Prognose auf 41,2 Prozent.
Meuthen wirbt um Nigel Farage
Insgesamt erstreckt sich die Europawahl über vier Tage: Irland und Tschechien wählen Freitag, einige weitere Länder folgen am Samstag, der grosse Rest zum Abschluss am Sonntag.
Die geplante neue Fraktion der Rechtsnationalen und Populisten im EU-Parlament sieht in ihren Reihen noch Platz für die Brexit-Partei von Nigel Farage.
AfD-Chef
Meuthen ist Spitzenkandidat der eurokritischen AfD für die Europawahl. Er hatte am vergangenen Wochenende in Mailand gemeinsam mit dem Chef der italienischen Lega, Matteo Salvini, und weiteren rechtsnationalen Kräften die Bildung einer Fraktion mit dem Namen "Bündnis Europäische Allianz der Völker und Nationen" angekündigt.
Dieser sollen unter anderem auch die französische Partei Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen und die österreichische FPÖ angehören.
Reden zum Wahlkampf-Abschluss
Am Freitag sind hierzulande grosse Wahlkampf-Abschlusskundgebungen geplant. In München wollen nachmittags unter anderem EVP-Spitzenkandidat Weber, Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz reden.
In Berlin treten im Wahlkampfendspurt der Grünen die Spitzenkandidaten Ska Keller und Sven Giegold auf, zudem die Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck.
Die SPD trommelt in Bremen für sich, erwartet werden dort unter anderem Spitzenkandidatin Katarina Barley, Parteichefin Andrea Nahles, Vize-Kanzler Olaf Scholz sowie Bremens Regierungschef Carsten Sieling. Auch Linke, AfD und FDP planen grössere Kundgebungen. (dpa/thp) © dpa
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