Peter Magyar lehrt Viktor Orban das Fürchten: Der neue ungarische Oppositionsführer hat mit seiner jungen Partei bei der Europawahl aus dem Stand fast ein Drittel der Stimmen geholt. Die Partei des sonst so erfolgsverwöhnten Ministerpräsidenten hingegen schnitt so schlecht ab wie nie.
In Ungarn hat die Fidesz-Partei des rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Viktor Orban ihr bisher schlechtestes Ergebnis bei Europawahlen erzielt. Mit 44,6 Prozent der Stimmen bleibt sie zwar weiterhin stärkste politische Kraft in dem Land, wie die Wahlkommission nach Auszählung fast aller Stimmen bekannt gab. Doch für Aufsehen sorgte, dass die neue Partei Respekt und Freiheit (Tisza) des Orban-Herausforderers Peter Magyar aus dem Stand auf 29,7 Prozent kam.
Fidesz wird nach Angaben der Wahlkommission elf Abgeordnete – statt wie bisher 13 – nach Brüssel schicken. Magyars Tisza-Partei kann mit sieben Mandaten rechnen. Zwei Mandate entfielen auf ein sozialdemokratisches Parteienbündnis, eines auf die rechtsextreme Partei Unsere Heimat (Mi Hazank).
Der 43-jährige Magyar bezeichnete das Ergebnis als ein "Waterloo" für Orban. Es handele sich um "den Anfang vom Ende" für den langjährigen Regierungschef.
Mann des Systems ist plötzlich dessen grösster Feind
Ob das wirklich stimmt, wird sich erst noch zeigen. Klar ist: Magyar ist es binnen weniger Monate gelungen, die ungarische Politik komplett aufzumischen. Magyar war mit der ehemaligen Justizministerin Judit Varga verheiratet gewesen. Er hatte Positionen in Regierungsinstitutionen und staatsnahen Unternehmen bekleidet. Erst im Februar hat er seinen Bruch mit Orbans System angekündigt, nachdem die Regierung durch die Begnadigung eines in Kindesmissbrauch verwickelten Mannes erschüttert worden war.
Seither haben sich immer wieder Zehntausende Ungarn versammelt, um gegen das System Orban zu demonstrieren. Auch am Tag vor der Europawahl folgten Zehntausende Magyars Aufruf und jubelten ihm bei einer Kundgebung in Budapest zu. Magyar hat sich im Europa-Wahlkampf als konservativer Kämpfer gegen die Korruption und das von Orban als dienstältestem Regierungschef in der EU dominierte "System" präsentiert – und prompt gezeigt, dass er Fidesz gefährlich werden kann. Ein guter Ausgangspunkt für die nächsten Parlamentswahlen, die allerdings erst 2026 stattfinden.
Orban, der seit 2010 teilweise autoritär in Ungarn regiert, hatte enorme Ressourcen eingesetzt, um seine Wähler für die Europawahl zu mobilisieren und um Magyar mit Schmutz-Kampagnen zu verunglimpfen. Dabei schürte er auch Kriegsängste in der Bevölkerung – die Abwendung eines Dritten Weltkriegs hinge gewissermassen davon ab, dass Ungarn genügend Fidesz-Vertreter ins Europaparlament entsendet, behauptete er.
Weber hätte neue Partei gerne in der EVP
Ungarn ist derzeit in der EU weitgehend isoliert. Dass Orban seit Jahren systematisch den Rechtsstaat demontiert, kommt bei vielen seiner Amtskollegen in der Union ebenso wenig gut an, wie seine Russlandfreundlichkeit. Fidesz war lange Mitglied der christdemokratischen Parteienfamilie EVP, wurde dann aber wegen mutmasslicher Verstösse Ungarns gegen EU-Grundwerte suspendiert. 2021 trat die Partei schliesslich aus und ist seitdem fraktionslos.
Orban hofft, Fidesz im neuen Parlament in einer der Fraktionen unterzubringen, die sich rechts von der EVP bilden könnten. Magyars Partei wird derweil von der EVP mit offenen Armen empfangen. "Ungarn braucht eine starke Opposition, um den Rechtsstaat, den Kampf gegen Korruption und einen proeuropäischen Ansatz wiederherzustellen", sagte EVP-Chef
Parallel zur Europawahl fanden in Ungarn am Sonntag auch landesweite Kommunalwahlen statt. In den Grossstädten vermochte die Opposition die 2019 errungenen Bürgermeisterposten weitgehend zu halten. Zu einem Krimi entwickelte sich die Wahl des Budapester Oberbürgermeisters. Der links-grüne Amtsinhaber Gergely Karacsony gewann nach vollständiger Auszählung mit einem hauchdünnen Vorsprung von 324 Stimmen gegen seinen Herausforderer David Vitezy. Ihn hatte die kleine grüne Splitterpartei LMP aufgestellt, Orbans Fidesz unterstützte ihn. Vitezy forderte noch in der Wahlnacht eine Neuauszählung der Stimmen. (afp/dpa/mcf)
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