Mit 17 in die SPD, mit 26 ins Europaparlament: Delara Burkhardt glaubt daran, mit Politik etwas bewegen zu können. Wir haben Sie getroffen. Ein Einblick in ihr Leben zwischen Brüssel und Kiel, Paragrafen und Tiktok.

Eine Reportage
Dieser Text enthält neben Daten und Fakten auch die Eindrücke und Einschätzungen von Marie-Christine Sandler. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Gefrühstückt hat Delara Burkhardt um 10 Uhr noch nichts ("Intervallfasten"). Dafür hat sie aber schon drei Termine hinter sich. Und jetzt gibt's ein paar Baru-Nüsse, die ihr Indigene aus der brasilianischen Cerrado-Savanne eben geschenkt haben.

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"Wenn man so will, war das ein Lobby-Treffen", sagt Burkhardt, als wir uns auf der blauen Couch in ihrem Büro im Europäischen Parlament in Brüssel zusammensetzen. Im vergangenen Jahr hat sie an einer EU-Richtlinie gegen Entwaldung mitgearbeitet. Bestimmte Rohstoffe und Produkte dürfen jetzt in Europa nur noch verkauft werden, wenn sichergestellt ist, dass dafür keine Wälder geschädigt oder abgeholzt wurden. Doch jetzt, wo die Wälder besser geschützt sind, haben die Einwohner der Savannen die Sorge, dass künftig ihre Flächen herhalten müssen. Burkhardt will das im Blick behalten.

Verschiedene Nüsse und Lavendelseife von Indigenen aus der brasilianischen Cerrado-Savanne. Dass Lobbyisten den Abgeordneten Geschenke mitbringen oder schicken, ist gang und gäbe. © Marie-Christine Fischer

Seit fünf Jahren ist sie Mitglied des Europaparlaments und mit 31 Jahren Deutschlands jüngste Abgeordnete. Anfangs sei sie ständig für die Praktikantin gehalten worden, erzählt sie, in der Parlamentskantine habe man ihr den Studentenrabatt angeboten. Und auch jetzt komme es immer wieder vor, dass ihr Mitarbeiter als Abgeordneter begrüsst wird, nicht sie. "An manchen Tagen nervt das total", sagt Burkhardt. "An anderen denke ich: 'Dass ich unterschätzt werde, kann ich auch nutzen'."

Fragen über Fragen beim Start als EU-Abgeordnete

Burkhardt ist mit 17 in die SPD eingetreten, war im schleswig-holsteinischen Landesvorstand der Jusos und vier Jahre lang stellvertretenden Juso-Bundesvorsitzende. Sich im EU-Politbetrieb zurechtzufinden, sei trotz ihrer politischen Erfahrung zunächst nicht leicht gewesen. Begriffe, Orte, Gepflogenheiten – vieles war erst mal neu.

"Ich hätte im Vorfeld gerne einen Social-Media-Account wie meinen zur Verfügung gehabt", sagt Burkhardt. Einen, auf dem erklärt wird, was ein "Shadow Meeting" ist (ein Treffen, bei dem das Parlament seine Verhandlungen mit dem Rat und der Kommission vorbereitet). Einen, der Fragen von Followern beantwortet ("Kann man mit dem italienischen Pass wirklich mehr Länder bereisen als mit dem deutschen?"). Einen, der den Abgeordnetenalltag zeigt: Auf dem Weg zur Sitzungswoche in Strassburg, beim Besuch eines Pflegeheims im Wahlkreis und völlig übermüdet nach neun Stunden Verhandlungen über das EU-Verpackungsgesetz.

Burkhardt postet mehrmals pro Woche auf Instagram und TikTok, bespielt ausserdem Facebook und X. An diesem Tag will sie neuen Content produzieren. Also mit Smartphone und Stativ raus in die Sonne. Ihre Mitarbeiterin hat die Texte vorbereitet. Auf dem Vorplatz des Parlaments nehmen die beiden ein Video zu Fast Fashion auf und einen Aufruf, bei der Europawahl am 9. Juni wählen zu gehen.

Delara Burkhardt
Delara Burkhardt (r.) nimmt Videos für Instagram und TikTok auf. Unterstützung bekommt sie dabei von ihrer Mitarbeiterin Roxane Roth, die für Pressearbeit und soziale Medien zuständig ist. © Marie-Christine Fischer

Oft geht es in Burkhardts Videos um die politischen Themen, an denen sie arbeitet. Sie sieht ihrer Aufgabe nicht nur darin, Politik zu machen, sondern auch darin, zu vermitteln, was diese den Bürgern nützt. Sie erzählt von einer Podiumsdiskussion über Klimapolitik an einer Berufsschule in Bad Oldesloe. Vor der Veranstaltung seien die Schüler gefragt worden, wer von ihnen glaube, dass Politik sich mit ihrem Alltag beschäftige. Kein einziger habe sich gemeldet. "Die anderen Teilnehmer wollten darüber einfach weggehen. Ich habe gesagt: Stopp! Hier ist gerade was ganz Schlimmes passiert", sagt die SPD-Politikerin.

Mutterschutz? Für EU-Parlamentarierinnen nicht vorgesehen

Am Sicherheitspersonal vorbei geht es über Rolltreppen und lange Flure zurück zu ihrem Büro. Unterwegs winkt Burkhardt einer jungen Abgeordneten aus Spanien zu. Sie hat sich gezielt mit Gleichaltrigen vernetzt, auch wegen der Sache mit der Familienplanung. Burkhardt fragt sich, wie man in diesem Amt denn bitte ein Kind bekommen können soll. Mutterschutz? Fehlanzeige. Von Elternzeit ganz zu schweigen. Momentan gilt: Wer zu einer Abstimmung nicht vor Ort ist, vergibt seine Stimme. Das könne so nicht bleiben, findet Burkhardt. "Während der Pandemie haben wir digital abgestimmt. Warum sollte das nicht auch gehen, wenn man ein Baby hat?" Gemeinsam mit anderen Abgeordneten versucht sie, die Regeln zu ändern.

Delara, der Privatmensch, lebt eigentlich in Kiel. Doch der kleine Sitzungskalender auf ihrem Schreibtisch zeigt, wie selten sie dort ist. Alle rot, grau und pfirsichfarben hinterlegten Tage verbringt sie in Brüssel oder Strassburg – und das sind viele: in den meisten Wochen Montag bis Donnerstag.

Delara Burkhardt
Der Sitzungskalender des EU-Parlaments: Rot die Plenartagungen, pfirsichfarben die Ausschusssitzungen, grau die der Fraktionen. An freien und grünen Tagen ist Burkhardt meist im Wahlkreis in Kiel unterwegs. Die Europawahl ist blau gekennzeichnet. © Marie-Christine Fischer

Da müssten Familie und Freunde schon zurückstecken, gibt sie zu. "Wenn eine Freundin sich auf einen Kaffee treffen will, müssen wir das Wochen im Voraus ausmachen." Jedoch: Derjenige, der bei der Wahl 2019 noch ihr Freund war, ist heute ihr Ehemann. "Er fand das offenbar nicht so abschreckend", sagt Burkhardt und lacht. Manchmal kommt ihr Mann mit nach Brüssel, arbeitet von dort aus; allerdings seltener, als das Paar anfangs geplant hatte. Burkhardt versteht, dass er sich zu Hause wohler fühlt als in Brüssel, wo er kaum eigene soziale Kontakte hat und "immer nur der Ehemann" ist.

Ich habe hier gelernt, was Kompromisse wert sind.

Delara Burkhardt über ihre Arbeit als Europaabgeordnete

Ganz vom Job abschalten könne sie selten, erzählt Burkhardt, und lässt durchblicken, dass sie das durchaus als Bürde empfindet. "Auch im Privaten wollen die Menschen oft mit mir über Politik diskutieren. Ich nicht immer", sagt sie und schiebt nach: "Aber das gehört dazu." Weitaus belastender sei der Umgang mit jenen Menschen, die kein Interesse am Austausch von Argumenten haben, sondern ihr im Netz mit Hass und Hetze begegnen. "Wenn es persönlich wird oder gar gegen die eigene Familie geht, tut das schon weh", sagt Burkhardt. Ihr Rezept: Sie stellt sich die Likes und positiven Kommentare zu ihrer Arbeit als Menschenmenge vor. Dann fallen die wenigen Pöbler nicht mehr so stark ins Gewicht.

Vorbereitung für die Zeit nach der Wahl: Umzugskartons auf dem Flur vor den Abgeordnetenbüros. © Marie-Christine Fischer

Wieder vor dem Abgeordnetenbüro angekommen, fällt der Blick auf zwei grosse Paletten mit Umzugskartons. Nach einer Wahl werden häufig Büros getauscht – und wer nicht wiedergewählt wurde, muss seine Kisten mit nach Hause nehmen. Man kann in den Kartons also auch eine Art Mahnmal sehen, das die Abgeordneten daran erinnert, dass ihr Mandat endlich ist.

Burkhardt steht auf Platz neun der SPD-Bundesliste für die Europawahl. Sofern die Umfragen nicht vollends danebenliegen, wird sie eine weitere Legislatur im Parlament bleiben. Sie hofft darauf, will ihre Themen wie Umweltschutz, faire Lieferketten und Steuergerechtigkeit voranbringen. Auch wenn das in der EU oft nur in kleinen Schritten geht. "Ich habe hier gelernt, was Kompromisse wert sind", sagt Burkhardt. "Sie sind das Wesen der Demokratie."

Delara Burkhardt: Total frustriert von der FDP

Ein typisches Beispiel aus jüngster Vergangenheit: Das EU-Lieferkettengesetz drohte zu scheitern, unter anderem am deutschen Votum - denn die FDP stellte sich quer. Dass eine Partei "aus einer Laune heraus die Arbeit von Jahren blockiert", habe sie total frustriert, sagt Burkhardt.

Doch dann kam plötzlich Bewegung in die Sache. Italien, das zunächst auch nicht zustimmen wollte, gab grünes Licht – allerdings nur unter der Voraussetzung, dass im Gegenzug ein unliebsamer Passus aus der Verpackungsverordnung gestrichen wird. Burkhardt und jene, die mit ihr an der Verpackungsverordnung gearbeitet hatten, schluckten die Kröte. Eine Niederlage? Verrat an Idealen? Für Burkhardt zählt, dass beide Vorhaben jetzt realisiert werden.

Burkhardt (oben M.) hat fünf zweibeinige Mitarbeiter und einen vierbeinigen. Letzterer war noch nie in Brüssel. Er gehört einem Mitarbeiter aus dem Wahlkreisbüro in Kiel. © Marie-Christine Fischer

Kurz nach zwölf holt sich die Abgeordnete in einem kleinen Laden ums Eck einen Linsensalat. Sie hält die Verkäuferin davon ab, den Becher mit dem Salat zusätzlich in eine Papiertüte zu packen, und setzt sich mit ihren drei festangestellten Mitarbeitern und dem Praktikanten ihres Brüsseler Teams auf dem Vorplatz des Parlaments zusammen.

Nach einer knappen halben Stunde Pause geht es weiter: Meeting mit dem Städtetag, Treffen mit der Jugendorganisation "Generation Climate", Austausch mit der brasilianischen Arbeiterpartei PT - um nur einige ihrer Termine zu nennen. In der Disziplin Besprechungsmarathon trainiert Burkhardt ständig. Am Vortag sass sie bis 21 Uhr. Ihre Arbeitstage dauern eben so lange, wie sie dauern. Oft kommen Termine kurzfristig dazu.

An diesem Tag hat sie vor, um 20 Uhr Schluss zu machen. Ob das klappt, wird sich zeigen. Nach Feierabend will sie zur Abwechslung die Muskeln statt das Hirn anstrengen. Ob sie dafür das Parlaments-eigene Fitnessstudio nutzt? "Nein", sagt Burkhardt, "beim Sport will ich lieber andere Nasen sehen."

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