Angeblich belegen Stimmzettel in einer Mülltonne, dass es bei der Europawahl 2024 Wahlbetrug gab – so die Behauptung in einem TikTok-Video. Das stimmt nicht, die Stimmzettel stammen von einer Juniorwahl, das ist eine Wahlsimulation an Schulen.

"So Jungs, hier haben wir den Beweis: Stimmzettelvernichtung", heisst es in einem TikTok-Video, das zahlreiche Stimmzettel in einer Mülltonne zeigt. Das Video erreichte bis Ende Juni über 250.000 Aufrufe und verbreitete sich wenige Tage nach der Europawahl 2024 gleich auf mehreren TikTok-Kanälen sowie auf Instagram, X und YouTube weiter. Manche fordern deshalb eine Neuwahl, andere wollen die Polizei einschalten und sprechen von einem möglichen Wahlbetrug.

Video zeigt Stimmzettel einer Juniorwahl bei einer Wahlsimulation

Doch ein genauer Blick zeigt, dass auf einem der Stimmzettel "Juniorwahl" und ein längerer Name für ein Bundesland stehen. Die Juniorwahl ist ein Projekt des Berliner Vereins Kumulus e.V., bei dem eine "realitätsgetreue Wahlsimulation" organisiert wird. Schülerinnen und Schüler weiterführender Schulen können im Rahmen von Landtags-, Bundestags- und Europawahlen daran teilnehmen, heisst es auf der Projektwebseite des Vereins. Auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck schreibt die Pressestelle von Kumulus e.V.: "Es handelt sich bei den gezeigten Stimmzetteln um Juniorwahl-Stimmzettel."

Ein Abgleich mit den auf der Webseite verfügbaren Stimmzetteln zeigt: Die Zettel in der Mülltonne sind Stimmzettel der Juniorwahl zur Europawahl 2024 in Nordrhein-Westfalen. In dem Video sind die auf den Plätzen 1, 19 und 21 gelisteten Parteien erkennbar: CDU, Bündnis C und Menschliche Welt. Diese Parteien-Reihenfolge passt zu keinem anderen Juniorwahl-Stimmzettel ausser dem für Nordrhein-Westfalen.

Amtlichen Europawahl-Stimmzetteln fehlt die obere rechte Ecke oder sie sind gelocht

Zusätzlich im Video erkennbar: Die oberen rechten Ecken der Stimmzettel sind nicht abgeschnitten und auch nicht gelocht. Das ist aber laut Europawahlordnung für die Europawahl Pflicht, damit blinde oder sehbeeinträchtigte Menschen mithilfe einer Stimmzettelschablone wählen können. Einige Stimmzettel im TikTok-Video scheinen zudem blau zu sein – auch das ein Hinweis, dass es sich nicht um amtliche Stimmzettel handelt.

Das Büro der Bundeswahlleiterin schreibt auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck: "Bei den im Video gezeigten Stimmzetteln handelt es sich nach unserer Einschätzung augenscheinlich nicht um amtlich hergestellte Stimmzettel." Stimmzettel für die Europawahl müssten zudem aus weissem oder weisslichem Papier bestehen.

Die Landeswahlleitung in NRW schreibt auf Nachfrage von CORRECTIV.Faktencheck zu dem Video, es gebe keine Hinweise auf Wahlmanipulation oder Stimmzettelvernichtung in dem Bundesland. Anders als behauptet ist das Video also kein Beleg für eine Stimmzettelvernichtung bei der Europawahl.

Stimmzettel einer Wahlsimulation für Schüler dürfen eigenständig entsorgt werden

Die Stimmzettel müssen nach der Europawahl laut Europawahlordnung in Paketen verpackt und den Gemeinden zur Aufbewahrung übergeben werden, bis die Vernichtung angeordnet wird. Die Stimmzettel der Juniorwahl dürfen laut Kumulus e.V. hingegen nach eigener Entscheidung entsorgt werden.

Der TikTok-Nutzer, der das Video veröffentlichte, reagierte auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck nicht. Tage später veröffentlichte er ein weiteres Video, in dem es heisst: "Das sollen die Jugendwahlen sein!"

Verwendete Quellen

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