Aller Voraussicht nach darf die Labour-Party am heutigen Donnerstag den Sieg bei der britischen Parlamentswahl feiern. Nach der Party kommt harte Arbeit. Denn die Probleme des Landes sind tiefgreifend.
Seit 14 Jahren regieren in Grossbritannien die Konservativen. Genauso lange wartet die Labour-Partei auf eine Gelegenheit, wieder an die Macht zu kommen. Alle Zeichen deuten darauf hin, dass es noch in dieser Woche so weit sein wird. Heute wählen die Briten ein neues Parlament.
Doch die Aufgaben, die Labour-Chef
Die grosse Wohnungsnot
In Grossbritannien gibt es viel zu wenig Wohnraum. Der Denkfabrik Institute of Economic Affairs zufolge müssten allein im grössten Landesteil England 3,4 Millionen Wohneinheiten geschaffen werden, um den EU-Durchschnittswert im Verhältnis zur Bevölkerung zu erreichen.
Als einer der Hauptgründe für die Knappheit gilt ein kompliziertes und restriktives Planungsrecht, das Anwohner, die sich gegen den Bau neuer Wohnimmobilien wehren, bevorzugt. Zudem ist gerade im Umkreis grösserer Städte viel potenzielles Bauland als "green belt" (grüner Gürtel) geschützt.
Das Planungsrecht zu reformieren, gilt als eine der ersten Massnahmen, die Labour angehen will. Doch bis das eine spürbare Erleichterung bringen wird, dürften Jahre vergehen.
Der am Boden liegende Gesundheitsdienst
Der National Health Service (NHS) gilt als eine der grössten Errungenschaften des britischen Sozialstaats. Doch der NHS, der allen dauerhaft in Grossbritannien lebenden Menschen kostenlos zur Verfügung steht, ist chronisch unterfinanziert.
Zahlen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zufolge lagen die Ausgaben im Gesundheitsbereich im Vereinigten Königreich 2022 bei etwa 5.500 US-Dollar pro Kopf. Zum Vergleich: In Deutschland wurden 2022 pro Einwohner 8.050 US-Dollar ausgegeben. Die Warteliste für medizinische Eingriffe erreichte im vergangenen Jahr einen Rekord mit beinahe 7,8 Millionen Patienten.
Wie Labour mehr Geld in den Gesundheitsbereich stecken will, bleibt unklar, denn die Kassen sind leer, wie auch Starmer stets betont. Auch hier dürfte es Jahre dauern, bis spürbare Verbesserungen eintreten.
Die überfüllten Gefängnisse
Gewalt, Drogen und Ungeziefer: Die Verhältnisse in britischen Gefängnissen sind haarsträubend. Immer härter ausfallende Urteile führten zu einer massiven Überbelegung. Der Verband der Gefängnisdirektoren warnte kürzlich, die Haftanstalten könnten "innerhalb von Tagen keinen Platz mehr haben".
Neben Überbelegung ist auch das Alter vieler Gebäude im britischen Justizvollzug ein Problem. Noch immer werden Dutzende Gefängnisse in England und Wales aus viktorianischer Zeit (1837-1901) betrieben.
Die einzig wirkungsvolle kurzfristige Massnahme ist die vorzeitige Haftentlassung Tausender Gefangener, wie sie bereits von der amtierenden Regierung eingeführt wurde. Labour-Chef Starmer kündigte in einem BBC-Interview kurz vor der Wahl an, die Praxis fortführen zu wollen.
Die hohe Zahl der Einwanderer
Eines der Hauptargumente für den EU-Austritt Grossbritanniens war, die Kontrolle über die eigenen Grenzen wiederzuerlangen. Doch der Einwanderungsüberschuss kletterte im vergangenen Jahr auf eine Rekordzahl von 685.000 Menschen.
Trotz Fachkräftemangel in vielen Branchen, nicht zuletzt im Gesundheitsbereich, wird das Thema Einwanderung immer wieder zum Politikum. Brexit-Vorkämpfer und Rechtspopulist Nigel Farage behauptet, die Einwanderung sei für Probleme wie die Wohnungsnot und die langen Wartelisten im Gesundheitsdienst verantwortlich – und trifft bei vielen Menschen einen Nerv.
Zur regulären Einwanderung kommen Zehntausende irreguläre Migranten, die in kleinen Booten jedes Jahr den Ärmelkanal in Richtung England überqueren. Trotz grosser Anstrengungen konnte die konservative Regierung von Premierminister Rishi Sunak, der mit dem Slogan "Stop the Boats" geworben hatte, hier kaum Erfolge vorweisen.
Das fehlende Wirtschaftswunder
Entscheidend für den Erfolg der nächsten Regierung dürfte sein, ob es ihr gelingt, das Wirtschaftswachstum wieder in Gang zu bringen. Doch nach Ansicht von Experten der Denkfabrik UK in a Changing Europe hat die Labour-Partei mit ihren zurückhaltenden Plänen für eine Annäherung zur Europäischen Union den wichtigsten Hebel für Wachstum bereits aus der Hand gegeben. Eine Rückkehr in Binnenmarkt und Zollunion zu seinen Lebzeiten schloss der 61-jährige Labour-Chef Starmer im Wahlkampf aus. (dpa/mcf) © dpa
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