• Die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt am 6. Juni ist der letzte Stimmungstest vor der Bundestagswahl.
  • Die AfD könnte erneut zweistärkste Partei werden. Vor allem im wirtschaftlich gebeutelten Süden des Landes erhält sie viel Zuspruch.
  • Die regierende Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen hat sich in den vergangenen Jahren häufig gestritten – aber inhaltlich viele Projekte umgesetzt.

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Mit rund 2,2 Millionen Einwohnern gehört Sachsen-Anhalt zwar zu den kleineren Bundesländern. Doch die politischen Entwicklungen dort sind durchaus von höherer Bedeutung: Die Landtagswahl am 6. Juni ist nicht nur der letzte grosse Stimmungstest vor der Bundestagswahl (hier geht's zu unserem Live-Ticker zur Landtagswahl 2021 in Sachsen-Anhalt!).

In Sachsen-Anhalt hatten seit der Wiedervereinigung auch zwei Mal neue Regierungskonstellationen Premiere. Zudem dürfte die AfD dort – wieder einmal – deutlich besser abschneiden als in vielen anderen Bundesländern.

AfD bei mehr als 20 Prozent

2016 wurde die AfD mit 24,3 Prozent auf Anhieb zweitstärkste Partei im Land. Ein Wahlergebnis, das vor allem vor dem Hintergrund der grossen Flüchtlingsbewegung zustande kam. Das Thema hat inzwischen zwar an Brisanz verloren, bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg verlor die AfD vor kurzem deutlich an Stimmen. In Sachsen-Anhalt sieht es aber anders aus.

Aktuelle Umfragen verorten die AfD wieder bei mehr als 20 Prozent und damit auf dem zweiten Platz hinter der CDU: Die Wahl 2016 wird wohl kein Ausrutscher bleiben. "Die AfD ist inzwischen kommunalpolitisch gut vernetzt. Sie ist persönlich und strukturell sehr präsent im Land und wird ihre Stellung mit Hilfe von Fraktions- und Stiftungsgeldern wohl weiter ausbauen", sagt Michael Kolkmann, Politikwissenschaftler an der Universität Halle-Wittenberg, im Gespräch mit unserer Redaktion.

In der Corona-Pandemie versucht die AfD, sich mit Kritik an den Kontaktbeschränkungen zu profilieren. "Es ist kein Killervirus!", heisst es im heisst es im Wahlprogramm. Eine zentrale Rolle spielt dort aber weiter die Flüchtlings- und Migrationspolitik. Geflüchtete sollen nach dem Willen der AfD keine Gesundheitskarte mehr bekommen. Für deutsche Kinder fordert Fraktionschef Oliver Kirchner ein "Baby-Begrüssungsgeld". Dem Deutschlandfunk zufolge lässt sich die gesamte Fraktion im Magdeburger Landtag dem offiziell aufgelösten rechtsextremen "Flügel" zurechnen.

Stark schwankende Wahlergebnisse

Vor allem in der südlichen Landeshälfte kann die Partei erneut auf gute Ergebnisse hoffen. Im Wahlkreis Bitterfeld erreichte sie 2016 mit 31,9 Prozent ihr bestes Zweitstimmen-Resultat. Die Stärke der AfD in der Region hat nach Einschätzung von Michael Kolkmann viel mit der wirtschaftlichen Entwicklung im ehemaligen Chemie-Dreieck zu tun, wo nach dem Zusammenbruch der DDR-Industrie viele Menschen ihre Arbeit verloren haben. "Den Status der Protestwählerpartei hat die Linke zum Teil an die AfD abgeben müssen", sagt Kolkmann.

Sachsen-Anhalt ist ein ländlich geprägtes Bundesland. Mit Magdeburg und Halle gibt es nur zwei grössere Universitätsstädte, in denen die Grünen stark sind. Generell ist das Wahlverhalten im Land schwankend. "Es gibt nur eine geringe Stammwählerschaft, deshalb sind grosse Sprünge nicht ungewöhnlich", sagt Michael Kolkmann. 1998 dominierte im Landtag noch die SPD, die hier das "Magdeburger Modell" erfand, indem sie sich von der damaligen PDS tolerieren liess. Seit 2002 ist dagegen stets die CDU stärkste Partei geworden.

Ministerpräsident Haseloff als "Stabilitätsanker"

Die CDU hat in den vergangenen Jahren immer wieder mit innerparteilichen Konflikten von sich reden gemacht. Der Landesverband gilt als konservativ. Im vergangenen Dezember eskalierte der Streit, als CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff seinen Landesinnenminister Holger Stahlknecht entliess. Stahlknecht hatte einen Bruch der Koalition mit SPD und Grünen ins Spiel gebracht. Er wollte eine CDU-Minderheitsregierung bilden, die dann möglicherweise auf Stimmen der AfD angewiesen gewesen wäre. Eine Idee, der viele Mitglieder der Landes-CDU durchaus etwas abgewinnen können.

Reiner Haseloff hatte eigentlich vor, in diesem Jahr in den Ruhestand zu gehen. Nach dem Zerwürfnis mit Stahlknecht entschied er aber, noch einmal anzutreten. Der 67-Jährige gilt als Stabilitätsanker der schwarz-rot-grünen Kenia-Koalition. Die Frage, ob die CDU mit der AfD zusammenarbeitet, hat er vorerst klar mit Nein beantwortet. "Allerdings wird dieses Thema weiterhin für Unruhe in der CDU sorgen", glaubt Politikwissenschaftler Kolkmann. "Die grosse Frage wird sein, wie sich die Landespartei nach Haseloff aufstellt – personell und inhaltlich."

Kenia-Koalition: Viel gestritten, aber viel umgesetzt

Mit der Kenia-Koalition hat Sachsen-Anhalt vor fünf Jahren Neuland betreten: Es war das erste Bündnis aus CDU, SPD und Grünen auf Landesebene. Vor allem die Zusammenarbeit zwischen CDU und Grünen gestaltete sich häufig schwierig. 2019 stritten die Parteien darüber, ob der frühere deutsch-deutsche Grenzstreifen als Naturmonument geschützt wird. Ende 2020 scheiterte die deutschlandweite Erhöhung der Rundfunkbeiträge an Sachsen-Anhalts CDU. Beide Male stand die Koalition auf der Kippe.

"Der Ton war manchmal offensiv. Man ist sich angegangen, man ist aneinandergeraten", sagt Michael Kolkmann. Die Rhetorik hat nach seiner Einschätzung aber überdeckt, dass die Koalition viele Projekte umgesetzt habe. "Da ist die Bilanz sehr, sehr solide." Kolkmann zählt auf: Das Land habe 4.000 neue Lehrerinnen und Lehrer eingestellt. Über eine "Landarztquote" wurden fünf Prozent der Medizin-Studienplätze für junge Menschen reserviert, die später in ländlichen Regionen arbeiten wollen. Im Zuge des Kohleausstiegs strich Sachsen-Anhalt 4,6 Milliarden Euro für den Strukturwandel ein. Und in Halle hat im Sommer die Agentur des Bundes für Cybersicherheit ihre Arbeit aufgenommen.

Kenia 2.0 oder Deutschland-Koalition?

Umfragen zufolge könnte die Kenia-Koalition am 6. Juni ihre Mehrheit verteidigen. Allerdings dürfte es am Wahlabend spannend werden. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA im Auftrag der Bild-Zeitung liegt die CDU mit 26 Prozent nur zwei Prozent vor der AfD. Hoffnung auf den Wiedereinzug in den Landtag kann sich zudem die FDP machen – und damit eine weitere Koalitionsoption eröffnen. In der CDU gibt es Stimmen, die statt Kenia 2.0 lieber eine "Deutschland-Koalition" aus CDU, SPD und FDP bilden würden. Falls es dazu käme, wäre Sachsen-Anhalt mal wieder ein Labor für eine neue Regierungskoalition.

Über den Experten: Dr. Michael Kolkmann ist Dozent am Institut für Politikwissenschaft der Universität Halle-Wittenberg. Seine Schwerpunkte sind die politischen Systeme Deutschlands und der USA, die dortigen Parteiensysteme und Wahlkämpfe.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Dr. Michael Kolkmann, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
  • AfD Sachsen-Anhalt: Das Wahlprogramm 2021
  • Deutschlandfunk.de: Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt – Parteien, Umfragen, Koalitionsmöglichkeiten
  • Wahlrecht.de: Umfragen Sachsen-Anhalt
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