Nach den Niederlagen im Saarland und in Schleswig-Holstein hofft Martin Schulz auf die Kehrtwende in Nordrhein-Westfalen. Bundesweit verliert der SPD-Kanzlerkandidat vor der Generalprobe für die Bundestagswahl aber weiter an Zustimmung. Fünf Gründe, warum das so ist.

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Martin Schulz bangt mit Hannelore Kraft. Der SPD-Kanzlerkandidat für die Bundestagswahl 2017 vertraut darauf, dass Kraft am Sonntag die Landtagswahl für die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen gewinnt.

Schliesslich ist NRW mit knapp 18 Millionen Einwohnern das grösste Bundesland - und Stammland der SPD. Zudem verloren die Sozialdemokraten bereits die Landtagswahlen im Saarland und in Schleswig-Holstein.

Martin Schulz büsst an Zustimmung ein

Doch Martin Schulz büsst kontinuierlich an Zustimmung ein. Beim jüngsten Insa-Meinungstrend für die "Bild“ kommt Schulz‘ SPD bundesweit nur auf 27 Prozent, was ein Minus von 1,5 Punkte bedeutet. Die Union dagegen liegt bei 35 Prozent.

Da die NRW-Wahl als Generalprobe für die Bundestagswahl gilt, hat der Termin für die Hoffnungen der SPD auf die Kanzlerschaft eine enorme Bedeutung. Fünf Gründe, warum der Schulz-Effekt verpufft ist:

  • Martin Schulz profitierte von kurzzeitiger Euphorie

Wie gross war der Jubel der Genossen Ende Februar. Die SPD hatte 33 Prozent erreicht, zum ersten Mal seit zehn Jahren die Union überholt.

Es folgte der Abwärtstrend. Bei der Suche nach den Gründen hilft ein Vergleich. Schon frühere SPD-Kanzlerkandidaten hatten nur vorübergehende Hochs. Bestes Beispiel war Rudolf Scharping 1993/94. Er lag im Juni 1993 vorn.

Einer Emnid-Umfrage zufolge wollten 49 Prozent den Sozialdemokraten als Kanzler, nur noch 38 Prozent Helmut Kohl. Laut Meinungsforschungsinstitut Burke hätten noch im März 1994 42 Prozent der Wahlberechtigten gerne Scharping als Kanzler gehabt und nur 28 Kohl.

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Doch die Stimmung kippte, Ende August 1994 erreichten CDU und CSU 41 Prozent, die SPD nur noch 36. Kohl blieb schliesslich Regierungschef.

Ein weiterer Grund für die Schulz-Krise ist auch die neue Stärke von Sigmar Gabriel. Der Ex-Parteichef wollte eigentlich Kanzlerkandidat werden, galt aber als zu unbeliebt.

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Der 57-Jährige verzichtete, wechselte ins Amt des Aussenministers. In kürzester Zeit stiegen seine Popularitätswerte. "Er macht das gut", sagte gar ein Aussenpolitiker der CDU bei "n-tv.de“.

Sowohl dem amerikanischen Aussenminister Rex Tillerson als auch dem russischen Präsidenten Wladimir Putin begegnete Gabriel selbstbewusst.

Er betont zudem geschickt die Freundschaft zu Emmanuel Macron, dem neuen französischen Präsidenten. Im Wahlkampf vermeidet er dafür, zu sehr auf Schulz einzugehen. Das hilft seinem Nachfolger nicht.

  • SPD sucht Partner für Koalition

Ein weiteres Problem findet sich in der Bildung einer regierungsfähigen Mehrheit. Zum Vergleich: Ein sogenanntes Jamaika-Bündnis aus CDU/CSU, FDP und Grünen käme aktuell auf 49 Prozent und damit auf eine rechnerische Mehrheit.

Schulz dagegen hätte gemäss der aktuellen Insa-Umfrage mit einer Ampel-Koalition keine Mehrheit (41 Prozent).

Ohnehin stehen die Liberalen der SPD skeptisch gegenüber. Eine Koalition in NRW sei nur möglich, wenn die SPD ihren Kurs spürbar verändere, meinte FDP-Chef Christian Lindner.

Insgesamt tendiere die Wahrscheinlichkeit einer Ampel aus SPD, Grünen und FDP gegen null, meinte FDP-Vize Wolfgang Kubicki zu der Option eines Bündnisses im Bund.

Im Berliner "Tagesspiegel am Sonntag" hatte Lindner im April gesagt: "Das Programm von Schulz könnte tödlich sein.“

  • Martin Schulz und das Glaubwürdigkeitsproblem

Das Misstrauen vieler Wähler ist gross. Früher lobte Schulz etwa Gerhard Schröders Agendapolitik, jetzt will er deren Fehler beseitigen. Gegenüber Arbeitgebern redet er wirtschaftsfreundlich, gegenüber Gewerkschaften wirtschaftskritisch.

  • Martin Schulz und die Themen-Auswahl

Es gehe ihm um soziale Gerechtigkeit, meinte der 61-Jährige lange, ohne konkret zu werden. Faktisch sind die Senkung der Stromsteuer, kostenlose Kita-Plätze und hohe Infrastruktur-Investitionen Ziele.

Für die Wahlniederlage in Kiel machte die SPD kurzerhand Spitzenkandidat Torsten Albig statt Sachthemen verantwortlich.

Es gleicht einer Flucht nach vorn. Schulz‘ Wahlversprechen könnten den Steuerzahler jährlich mehr als 30 Milliarden Euro kosten, berichtete das "Handelsblatt“. Die SPD hatte die Kosten nur mit einer Milliarde Euro veranschlagt.

Allein das angeregte "Arbeitslosengeld Q“ - eine längere Zahlung des Arbeitslosengeldes bei Qualifizierungsmassnahmen – koste laut "Handelsblatt" 16,6 Milliarden. Eine Kalkulation, an der allerdings der "Spiegel" erhebliche Zweifel bei der Berechnungsgrundlage äussert.

Ferner sagte Schulz vor Managern in Berlin bei einer Grundsatzrede zu seiner Wirtschaftspolitik, dass es zwei Gefahren im Wahlkampf gäbe: "Unerfüllbare Sozialversprechen und unerfüllbare Steuersenkungsversprechen.“

Egal, welche Diskrepanz es nun zwischen den unterschiedlichen Berechnungen der sozialdemokratischen Wahlversprechen gibt, muss Schulz aufpassen, dass er sich nicht selbst den zitierten Gefahren aussetzt.

Kommende Woche wolle die SPD mehr Klarheit über konkrete Ziele schaffen, kündigte Partei-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel im ZDF an. Nach der Wahl in NRW. Dann könnte es für Schulz aber schon zu spät sein.

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