Thüringen hat gewählt und die Linke hat Grund zu feiern. Genauso die AfD. Weniger erfreut dürften CDU und SPD über das Wahlergebnis sein. Nach dem Urnengang steht nun vor allem eine Frage im Raum: Mit wem zusammen soll die Linke regieren? Die Suche nach einem Koalitionspartner könnte schwierig werden.

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Triumph für die Linkspartei und Bodo Ramelow im Thüringer Landtag: Eine herbe Niederlage für CDU und SPD und eine erstarkte AfD. Das sind die wichtigsten Botschaften nach der Landtagswahl in Thüringen.

Welche Auswirkungen die Wahl in Erfurt haben könnte – und auf welche Ergebnisse Thüringen möglicherweise länger warten muss.

Ist die Linke die neue Mitte?

Mike Mohrings CDU büsste ein Drittel ihrer Wähler ein, schrumpfte um fast zwölf Prozent und fiel damit hinter die AfD zurück. Mohrings Botschaft vor den Kameras und Mikrofonen der Wahlbeobachter am Sonntagabend war pessimistisch.

Die Polarisierung, so der Spitzenkandidat, habe zugenommen – es gebe nur noch Ränder und "keine Mitte mehr."

"Das ist eine falsche Wahrnehmung", kontert der Berliner Politikwissenschaftler Dr. Gero Neugebauer. "Die Mitte wird jetzt von den Linken gebildet." Die Thüringer Linkspartei repräsentiere ein Wählerspektrum aus "gestandenen Bürgern, sozial saturierten Leuten, auch linken Sozialdemokraten und Grünen."

Für diese Wahrnehmung spricht auch der Themenkatalog des Wahlkampfes: Nicht um Ideologien sei es da gegangen, sondern "um Bildung und Borkenkäfer, um ärztliche Versorgung und um die Kriminalität."

Ein grosser Teil der Wählerschaft halte Bodo Ramelow für fähig, auf diesen Problemfeldern für Lösungen zu sorgen. "Wo bitte", fragt Neugebauer, "ist denn der ganz grosse Streitpunkt zwischen den Parteien?" Diese hätten im Grunde gar keine Links-Rechts-Kontroversen.

Liegt die Schuld bei der GroKo?

Die Wahlergebnisse stellen der Grossen Koalition in Berlin "ein katastrophales Zeugnis aus", sagte die ARD-Journalistin Tina Hassel am Sonntagabend. Eine Analyse, der der Politikwissenschaftler nicht folgen kann.

Die bundespolitischen Diskussionen hätten mit der Thüringer Landespolitik sehr wenig zu tun. Die grosse Mehrheit der Wähler habe sich bei ihrer Wahlentscheidung an landespolitischen Themen orientiert.

"Es mag Wähler geben, denen die Landespolitik egal ist", sagt Neugebauer, aber das gelte nur für eine Minderheit. Darauf, wie es mit der Grosse Koalition weitergeht, wird sich wohl eher deren geplante Halbzeit-Bilanz auswirken.

Beeinflusst die Wahl die Diskussion um den Parteivorsitz bei der SPD?

Auch das glaubt der Politikwissenschaftler nicht. Er sieht interne Fehler in den Landesverbänden als Ursachen für die Schwäche der SPD im Osten. In Thüringen sei die SPD nicht in der Gesellschaft verankert, hebe sich nicht deutlich von den anderen Parteien ab, habe zu wenig Profil und kein Alleinstellungsmerkmal.

SPD-Spitzenkandidat Wolfgang Tiefensee sei zwar beliebt, trotzdem gelte in der Bevölkerung der Satz: "Das erledigt doch der Ramelow."

Neugebauers Fazit: Die Ursachen des Thüringer SPD-Wahlergebnisses liegen in Thüringen und dürften wenig Einfluss auf die Suche der Partei nach einem Vorsitzenden-Duo haben.

Was wird aus der CDU und Mike Mohring?

Der unterlegene Spitzenkandidat der CDU steht vor einem Dilemma. Er beklagt den Verlust der Mitte in Thüringen, weigert sich aber gleichzeitig, an der Lösung mitzuarbeiten. Seine strikte Ablehnung einer Zusammenarbeit mit den Linken könnte eine Regierungsbildung in Erfurt für längere Zeit unmöglich machen.

Bodo Ramelow werde der CDU dies über kurz oder lang zum Vorwurf machen, meint Neugebauer, und das werde "bei der CDU in Berlin zu Nervosität führen." Eine Lösung könnte sein, dass Mohring als Wahlverlierer zurücktritt und einem Nachfolger Platz macht, der unbelastet mit den Linken verhandeln könnte.

"Ein Personalwechsel", so Neugebauer, "könnte neue Möglichkeiten schaffen."

Ist der Höhenflug der Grünen beendet?

Wenige Universitäten, wenig grünes Klientel, wenige Umweltthemen im Wahlkampf – Neugebauer sieht im schlechten Abschneiden der Thüringer Grünen kein Signal für einen über das Bundesland hinausreichenden Trend.

Wird die AfD noch extremistischer?

Die AfD hat ihr hohes Wahlergebnis mit einem Spitzenkandidaten eingefahren, der zum extrem rechten "Flügel" der Partei gehört und – es wurde am Wahlabend oftmals wiederholt – gerichtlich bestätigt als Faschist bezeichnet werden darf.

Dass die Partei ihren Weg nach rechts nun beschleunigen wird, glaubt Politologe Neugebauer trotzdem nicht. Björn Höcke werde sich hüten, für einen Sitz im Bundesvorstand der Partei zu kandidieren, "weil er dort nur einer unter vielen wäre".

Die Thüringer Partei habe wegen der geringen Grösse des Landes keinen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der Partei.

Wie geht es für die Linke und Bodo Ramelow weiter?

Ramelow wird von der Thüringer Landesverfassung profitieren, die es ihm ermöglicht, solange weiter zu regieren, bis ein neuer Ministerpräsident gewählt ist. Als Chef einer Minderheitsregierung müsste er sich wechselnde Mehrheiten im Parlament suchen.

Aufgelöst werden könnte der Landtag nur mit Zustimmung der Linken-Abgeordneten, weil dafür eine Zweidrittel-Mehrheit erforderlich ist. Weiterer Vorteil für Ramelow: Er hat den Haushalt für 2020 schon durch den Landtag gebracht, kann sich also Zeit lassen mit Mehrheitsbeschaffung und Regierungsbildung.

Wird Thüringen unregierbar?

Die Kommentatoren sind sich einig: Die Regierungsbildung unter den neuen Mehrheitsverhältnissen in Thüringen wird schwierig. Neugebauer erinnert in diesem Zusammenhang an das "Magdeburger Modell".

In Sachsen-Anhalt amtierte von 1994 an acht Jahre lang eine SPD-geführte Minderheitsregierung, die von der PDS toleriert wurde. Der Politologe hält es für möglich, dass in Thüringen ein "Erfurter Modell" entstehen könnte.

Dazu müsste die CDU – ohne formellen Koalitionsvertrag – die linke Regierung oder eine von der Linken geführte Koalition unterstützen.

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