Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes hat die FPÖ die Wahlen zum Nationalrat gewonnen. Trotzdem will Bundespräsident Alexander Van der Bellen FPÖ-Chef Herbert Kickl nicht mit der Bildung einer Regierung beauftragen.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Lukas Weyell sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Vor anderthalb Wochen hat Österreich gewählt – und erstmals Rechtspopulisten zur stärksten Partei gemacht. Die FPÖ kam bei der Nationalratswahl auf 28,8 Prozent der Stimmen. Damit sind die Freiheitlichen zum ersten Mal in ihrer Geschichte die stärkste Kraft im Land.

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Die Kanzlerpartei ÖVP erreichte 26,3 Prozent und landete auf dem zweiten Platz, während die Sozialdemokraten mit 21,1 Prozent abschlossen. Damit wurde die bisherige Koalition aus Konservativen und Grünen abgewählt.

Das Problem ist jetzt: Es findet sich keine neue Regierung. Keine der vier anderen Parlamentsparteien will mit der FPÖ unter Parteichef Herbert Kickl zusammenarbeiten. Wie also geht es weiter?

Kickl war 2019 im Zuge der Ibiza-Affäre als Innenminister zurückgetreten, damals regierte eine ÖVP-FPÖ-Koalition unter Kanzler Sebastian Kurz. Im April 2024 wurde dann bekannt, dass gegen Kickl wegen Korruptionsverdachts ermittelt wird. Kickl und weiteren FPÖ-Politikern wird vorgeworfen, während der türkis-blauen Koalition in einer Boulevardzeitung staatlich finanzierte Werbeanzeigen geschaltet zu haben, um sich so quasi eine positive Berichterstattung zu erkaufen.

Die ÖVP sieht in Kickl daher ein "Sicherheitsrisiko" und lehnt eine Zusammenarbeit mit ihm ab. ÖVP-Kanzler Karl Nehammer schloss vor der Wahl eine Zusammenarbeit mit dem FPÖ-Chef mehrfach aus. Begründung: Kickl habe "sich selbst radikalisiert". Mit dem Rest seiner Partei können sich die Konservativen einen Pakt jedoch durchaus vorstellen.

Am vergangenen Donnerstagabend gingen in Wien indes tausende Menschen auf die Strasse, um gegen eine mögliche Regierungsbeteiligung der FPÖ zu protestieren. Laut den Organisatoren, die künftig jeden Donnerstag demonstrieren möchten, beteiligten sich etwa 25.000 Menschen an dem Marsch zum österreichischen Parlament.

Van der Bellen verweigert Kickl vorerst den Regierungsauftrag

Wie gewohnt führte der Bundespräsident nach der Wahl Gespräche mit den Parteichefs der fünf künftig im Parlament vertretenen Parteien. Obwohl weder ÖVP noch SPÖ, Grüne und Neos mit Kickl zusammenarbeiten wollen, wurde er als Vorsitzender der stimmenstärksten Kraft im Parlament am vergangenen Freitagnachmittag als Erster von Alexander Van der Bellen zu Gesprächen in die Wiener Hofburg geladen.

Zu Beginn dieser Woche führte Van der Bellen Gespräche mit Kanzler Karl Nehammer, SPÖ-Chef Andreas Babler, Grünen-Chef Werner Kogler und der Neos-Vorsitzenden Beate Meinl-Reisinger. Anders als von Beobachtern erwartet, erteilte das Staatsoberhaupt am Mittwoch jedoch Herbert Kickl keinen Regierungsauftrag.

Stattdessen teilte mit, er habe Kickl, Nehammer und Babler darum gebeten, bis Ende kommender Woche unter sich "verlässlich zu klären, welche Zusammenarbeit vorstellbar ist oder wäre". So solle die aktuelle Pattsituation aufgelöst werden.

Eine Regierung aus ÖVP und FPÖ hätte im Parlament eine relativ komfortable Mehrheit. ÖVP und SPÖ kämen gemeinsam exakt auf die 92 nötigen Mandate – und bräuchten wohl einen dritten Partner. FPÖ und SPÖ – die unrealistischste Variante der drei – käme auf 98 Sitze.

Kann es Kickl gelingen, eine Regierung zu bilden?

Nach seinem Gespräch mit Van der Bellen hatte Kickl auf einer Pressekonferenz am vergangenen Samstag mitgeteilt, dass er sich als Vorsitzender der stärksten Kraft im Land in der Lage sehe, Koalitionsgespräche zu führen. Er beteuerte, die Hand für solche Gespräche auszustrecken.

Allerdings gibt es keinen Automatismus, dass die stimmenstärkste Partei nach einer Wahl die nächste Regierung anführt. Die Verfassung schreibt nicht vor, dass die grösste Partei im Nationalrat den Regierungschef stellen muss. Das könnte auch die zweitgrösste tun, sofern sie einen Auftrag durch den Bundespräsidenten erhält.

Der stecke nun in einer äusserst verzwickten Situation, erklärt der Politikwissenschaftler und Verfassungsrechtler Klaus Poier von der Universität Graz im Gespräch mit unserer Redaktion. Sollten die Gespräche der drei grössten Parteien bis Ende kommender Woche kein Ergebnis erzielen, bleibe Van der Bellen praktisch nur noch, Neuwahlen anzuordnen.

Einmal kann der Nationalrat aufgelöst werden, dann muss es klappen. Hiervon verspricht sich Poier allerdings wenig Erfolg. Denn es sei "zu erwarten, dass die Wahlergebnisse ähnlich ausfallen und damit das Dilemma fortbesteht".

Wiederholt sich die Geschichte?

In einem ähnlichen Dilemma befand sich die Republik schon einmal, nach der Nationalratswahl 1999. Die SPÖ wollte als klarer Wahlsieger die Grosse Koalition mit der ÖVP weiterführen. Doch die Verhandlungen scheiterten, da die ÖVP das Finanzministerium für sich beanspruchte, was die kategorisch SPÖ ablehnte. Am Ende bildete die ÖVP mit der FPÖ unter Jörg Haider eine Regierung, die der damalige Bundespräsident Thomas Klestil nur widerwillig vereidigte.

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Diese Möglichkeit bliebe am Ende auch Van der Bellen. Sollten die Parteien jedoch keine Lösung finden und sollte Van der Bellen sich bis zuletzt weigern, Kickl zum Bundeskanzler zu ernennen, müsse der Bundespräsident laut Politikwissenschaftler Poier wahrscheinlich zurücktreten, "um sein Gesicht zu wahren".

Könnte es eine Koalition mit der FPÖ ohne Kickl geben?

Um eine solche Staatskrise abzuwenden, könnte die FPÖ ihren Parteichef austauschen, um mit der ÖVP zu koalieren. Die ÖVP hat sich für eine solche Option ja offen gezeigt.

Politikwissenschaftler Poier sieht hierfür indes wenig Anzeichen. "Die FPÖ wird das nicht machen und auch die ÖVP wird das nicht unbedingt wollen, wenn sie stattdessen in einer anderen Koalition den Kanzler stellen kann." Die Egos der handelnden Personen sind eben oft doch grösser als ihre Staatsräson.

Poier hält eine Regierung aus ÖVP, SPÖ und den wirtschaftsliberalen Neos für wahrscheinlicher. Diese hinge allerdings von den zerstrittenen Sozialdemokraten ab. "Aufgrund ihrer inneren Zustände ist die SPÖ ein Unsicherheitsfaktor", argumentiert Poier. "Andererseits wollen grosse Teile der Partei jetzt endlich wieder regieren."

Und es gibt noch einen anderen grossen Vorteil: Der Bundespräsident müsste nicht zurücktreten. Denn einer solchen Regierungskonstruktion würde Van der Bellen sicher seinen Segen geben.

Über den Gesprächspartner

  • Klaus Poier ist Politikwissenschaftler, Verfassungsjurist und Universitätsprofessor am Institut für Öffentliches Recht und Politikwissenschaft an der Universität Graz.

Verwendete Quellen

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