Der konservative Bundeskanzler Karl Nehammer hatte bisher eine Koalition mit der in Umfragen führenden rechten FPÖ unter Herbert Kickl ausgeschlossen. Davon war beim TV-Duell der beiden im ORF keine Rede mehr.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Wolfgang Rössler sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Es ist schon ein paar Jahre her, seit der amtierende Bundeskanzler Karl Nehammer von der konservativen ÖVP dem ehemaligen Innenminister Herbert Kickl von der rechten FPÖ öffentlich im Parlament das Du-Wort entzogen hat. Das war, weil der nunmehrige Parteichef und Spitzenkandidat Stimmung gegen die Corona-Impfung gemacht und Infizierten zur Einnahme des Entwurmungsmittels Ivermectin geraten hatte. Nehammers empörte Replik war Teil eines Einspielers zu Beginn des wohl spannendsten TV-Duells vor der Nationalratswahl kommenden Sonntag. Ebenso wie ein anderes Zitat des Kanzlers, in dem er Kickl als Sicherheitsrisiko bezeichnete, weil dieser als Innenminister politisch für eine verfassungswidrige Razzia gegen den ihm unterstellten Verfassungsschutz verantwortlich war – was dazu führte, dass andere westliche Demokratien keine sensiblen Informationen mehr mit Österreich teilten.

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In den letzten Monaten hatte Nehammer immer wieder ausgeschlossen, dass seine Partei nach der Wahl eine Koalition mit der in aktuellem Umfragen knapp führenden Kickl-FPÖ eingehen würde. Bloss: So recht glauben wollten ihm das viele nicht. Im Vorjahr hatte die ÖVP bei zwei Landtagswahlen in Salzburg und Niederösterreich ausgeschlossen, mit der österreichischen Schwesterpartei der AfD zu koalieren. Beide Male hat sie es dennoch getan. Eine konservative Brandmauer gegen Rechtsaussen wie in Deutschland gibt es in der Alpenrepublik nicht. Und nach dem gestrigen Duell dürften die Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Nehammers Ansagen nicht unbedingt zerstreut worden sein.

Denn der Amtsinhaber hielt sich in der von ORF-Moderatorin Susanne Schnabl geführten Diskussion bedeckt, was mögliche Koalitionen betrifft. Und Kickl lockte. Wirtschaftspolitisch trenne die beiden Parteien schliesslich wenig: Beide sprechen sich gegen die von der politischen Linken geforderten Vermögens- und Erbschaftssteuern aus und fordern Einsparungen. "Vieles in ihrem Programm ist grundvernünftig", sagte Kickl. "Aber das geht nicht mit der SPÖ."

Nehammer räumt Fehler ein

Damit traf der Populist einen wunden Punkt. Denn die FPÖ steht in Umfragen bei 27 Prozent, knapp vor der ÖVP. Eine Koalition ohne Kickl wäre nur mit den Sozialdemokraten möglich, denen der dritte Platz prognostiziert wird. Und Parteichef Andreas Babler hat den Roten einen scharfen Linkskurs verordnet. Auch in der Frage der Energiepolitik eint die beiden Parteien mehr, als sie trennt. Kickl sprach die aktuelle Bundesregierung aus ÖVP und Grünen an und attackierte insbesondere die mächtige grüne Verkehrsministerin Leonore Gewessler, der er "sektiererische Ansichten" unterstellte.

Nehammer widersprach kaum: In der Tat, so räumte er ein, habe die ÖVP der Klimaschutzministerin Gewessler zu viele Kompetenzen eingeräumt: Einen solchen Fehler werde man nicht mehr machen. Fehler räumte er auch bei den in Österreich besonders strengen Corona-Massnahmen ein: "Wir haben aus diesen Fehlern gelernt." Aber immerhin habe er als Bundeskanzler Verantwortung übernommen und Entscheidungen getroffen. "Sie sind am Spielfeldrand gestanden und haben den Menschen aus politischem Kalkül Angst gemacht."

Diszipliniertes Duell

Bei der Frage nach dem Umgang mit Russlands völkerrechtswidrigem Angriffskrieg gegen die Ukraine prallten Welten aufeinander. Kickl warf Nehammer vor, die österreichische Neutralität zu zerstören und forderte einmal mehr einen Ausstieg Österreichs aus den Sanktionen gegen den Kreml. Ob das eine rote Linie für allfällige Koalitionsverhandlungen sei, wollte Moderatorin Schnabl wissen. Nehammer verwies darauf, dass Russlands Diktator Wladimir Putin auf "jedes Zeichen von Schwäche reagiert". Die Sanktionen seien gerechtfertigt und sinnvoll. Die Frage beantwortete er aber ebenso wenig wie Kickl. Vielleicht auch deshalb, weil ein einseitiger Ausstieg Österreichs aus den Sanktionen rechtlich ohnehin unmöglich ist.

Das Fazit aus dem insgesamt sehr disziplinierten Kanzlerduell: Die Chemie zwischen den beiden Spitzenkandidaten mag nicht die beste sein. Aber am Ende war man sich doch erstaunlich oft einig.

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