FPÖ-Chef Herbert Kickl fehlt das Charisma seiner Vorgänger an der Parteispitze. Er ist kein Volkstribun wie Jörg Haider oder Heinz-Christian Strache. Trotzdem könnte er am Sonntag bei den österreichischen Nationalratswahlen die weit nach rechts gerückte Partei auf den ersten Platz bringen.
Warum er? Warum hat ausgerechnet
Der 55-jährige Studienabbrecher aus Kärnten ist im Vergleich zu seinen legendären Vorgängern an der Spitze der Freiheitlichen Partei alles andere als ein Volkstribun. Das Bad in der Menge scheint er nie so recht zu geniessen, er habe, heisst es, kaum persönliche Freunde. Einen "misstrauischen Einzelgänger" nannte ihn die NZZ unlängst. Bei seiner Hochzeit vor fünf Jahren gab es keine Gäste, nicht einmal Trauzeugen. Neben dem Paar war bloss der Standesbeamte anwesend.
Kickl: Ohne Charme, aber mit Schärfe
Kein Vergleich zu einem Jörg Haider, der es mit seiner gefürchteten Mischung aus Charme, Schlagfertigkeit und wohldosierter Demagogie auf die Titelseiten beinahe aller internationaler Zeitungen brachte. Oder
Dennoch fühlen sich viele in Österreich bei Kickls Reden an den 2008 tödlich verunfallten Jörg Haider erinnert. Das ist kein Zufall. Kickl war dessen Redenschreiber, von ihm stammten einige der übelsten Sager des Kärntner Landeshauptmannes. Etwa jener über den damaligen Präsidenten der israelischen Kultusgemeinde, Ariel Muzikant: "Wie kann jemand, der Ariel heisst, so viel Dreck am Stecken haben?"
Diffamierende Wortspiele finden sich auch in Kickls Reden zuhauf. Aber ihm fehlt dabei die Lockerheit, das Augenzwinkernde. Haider relativierte später vieles, er habe es nicht so böse gemeint, mitunter rang er sich auch zu einer Entschuldigung durch. Das ist bei Kickl noch nicht vorgekommen. Er macht kein Geheimnis daraus, dass er alles, was er sagt, auch so meint.
Etwa als er während der Pandemie von einer Impfung abriet und Infizierten das Entwurmungsmittel Ivermectin ans Herz legte. Als er die umstrittene und letztlich nie umgesetzte Impfpflicht der konservativ-grünen Bundesregierung eine "Diktatur" nannte. Oder wenn er sich weigert, im Zusammenhang mit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine Position zu beziehen. Kickl fordert die Aufhebung der Sanktionen und will die Wirtschaftsbeziehungen mit Russland wieder aufnehmen.
Und dann war da noch die Sache mit dem Verfassungsschutz. Als Innenminister war Kickl zumindest politisch verantwortlich dafür, dass eine Sondereinsatztruppe der Polizei, angeführt von einem FPÖ-Politiker, eine verfassungswidrige Razzia beim österreichischen Nachrichtendienst durchführte. Das führte dazu, dass andere westliche Geheimdienste zeitweilig mit Österreich keine sensiblen Informationen mehr teilten. Ein "Sicherheitsrisiko für die Republik" nennt ihn Bundeskanzler
Woher kommt seine Popularität? Georg Renner hat dazu ein paar Thesen. Der renommierte Innenpolitikjournalist hat sich unlängst in einem Buch damit beschäftigt, wie sich die politische Grosswetterlage in der Alpenrepublik zuletzt verändert hat. "Man muss immer die jüngere Vergangenheit der Partei mitdenken", sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Kickls Aufstieg, davon ist Renner überzeugt, war nur möglich durch die offenkundigen Schwächen seiner Vorgänger.
Haider führte jahrelang ein Doppelleben, er streifte abends durch schwule Szenenlokale, während er in der Öffentlichkeit den treusorgenden Familienvater mimte. Strache redete sich auf einer Finca in Ibiza im Wodka-Dusel um Kopf und Kragen, als er einer vermeintlichen russischen Oligarchin Staatsaufträge in Aussicht stellte. Nach dem Ibiza-Skandal schien es eine Zeitlang, als wäre die FPÖ politisch erledigt. "Man hat es mit Haider und Strache versucht. Beides ist nicht gut ausgegangen", sagt Renner.
Kickls Aufstieg in der FPÖ
Dann kam Kickl. Und Renner ist überzeugt, dass dessen recht leidenschaftsloses, berechenbares Naturell für den Wiederaufstieg der FPÖ verantwortlich ist. "Aus Sicht der Partei konnte man sich bei Kickl sicher sein, dass so etwas wie Ibiza ziemlich sicher nicht mehr passiert." Man habe sich bewusst gegen einen Lebemann entschieden und stattdessen einen Mann an die Spitze der Partei gehievt, der Entscheidungen mit kühlem Kopf trifft.
Und noch dazu bringe Kickl zwei weitere Stärken mit. Zum einen zog er ein gutes Vierteljahrhundert bei der FPÖ im Hintergrund die Strippen. Er kennt die Partei, ihre Gesetzmässigkeiten, alle massgeblichen Akteurinnen und Akteure bestens. Und er gilt als exzellenter Stratege: "Kickl mag kein Charismatiker sein. Aber er hat es bei allen grossen Themen der letzten Jahre geschafft, das Zielpublikum der FPÖ zu bewirtschaften."
Nach einem fast vollendeten Studium der Philosophie stiess Kickl einst als Endzwanziger zur FPÖ. Nach eigener Aussage stellte er sich mit folgenden Worten vor: "Ich kann nichts, aber ich kann alles lernen." Haider erkannte bald das Talent des jungen Mannes, der schnell von Verstand war und kühl in der Analyse. Kickl stieg zu Haiders Redenschreiber auf, bis er diesem das von vielen als antisemitisch wahrgenommene Wortspiel mit Ariel Muzicant formulierte.
Die Empörung war gross, Haider ruderte zurück. Und Kickl wurde intern degradiert. Als es einige Jahre später zum Zerwürfnis zwischen Haider und seinem jüngeren parteiinternen Herausforderer Strache kam, schlug sich Kickl auf Seite des Letzteren. Er war fortan Straches rechte Hand, verantwortlich für Kampagnenslogans wie "Daham statt Islam". Als es 2017 zur Bildung einer Mitte-Rechts-Koalition unter Sebastian Kurz kam, wurde Kickl Innenminister und galt bald als Scharfmacher in den Reihen der Freiheitlichen. Der Eigenbrötler stand plötzlich im Rampenlicht, seine Popularität stieg.
Vom gemässigten Hofer zum radikalen Kickl
Als die Koalition am Ibiza-Video zerbrach und Strache sich von allen Ämtern zurückzog, übernahm für kurze Zeit Nationalratspräsident Norbert Hofer die Partei. Aber dessen gemässigter Kurs kam nach den vielen Skandalen nicht an bei der Bevölkerung. Kickl bedrängte den glücklosen Parteichef so lange, bis dieser hinwarf. 2021 wurde er neuer FPÖ-Chef und verpasste der Partei eine neue, besonders kantige Ausrichtung, mit der nicht alle einverstanden waren.
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Vor allem der scharfe Kurs im Umgang mit der Corona-Politik stiess vielen in der Partei auf. Kickl trat auf Querdenker-Demonstrationen auf, er hat im Gegensatz zu seinen Vorgängern keinerlei Berührungsängste mit den Identitären oder anderen rechtsextremen Gruppen. "Wir sind nicht rechtsextrem, wir haben nur extrem oft recht", sagte er einmal.
Vor zehn Jahren wäre eine solche Aussage auch für einen FPÖ-Politiker undenkbar gewesen. Kickl hat die österreichischen Rechtspopulisten radikalisiert, er zelebriert den Schulterschluss mit dem deutschen AfD-Politiker Björn Höcke. Interne Kritiker schweigen inzwischen, die Partei ist unter Kickl geeint wie schon lange nicht mehr.
Am Sonntag wird sich zeigen, ob sein Kalkül aufgeht und die FPÖ erstmals stärkste Kraft in Österreich wird. Und ob für die konservative ÖVP unter Karl Nehammer auch nach der Wahl gilt, was sie vor der Wahl verlautet hat: Dass eine Koalition mit den Freiheitlichen unter Kickl ausgeschlossen ist.
Verwendete Quellen
- Telefoninterview mit Georg Renner
- Neue Zürcher Zeitung: Provokateur und Populist (Bezahlinhalt)
- news.at: Vom Redenschreiber zum FPÖ-Chef
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