Die Spitzenkandidaten der fünf Parteien trafen einander zum letzten Mal vor der Nationalratswahl am Sonntag. Schaulustige, die es sich vor dem Fernseher gemütlich gemacht hatten, um einen spektakulären Showdown zu sehen, wurden wohl enttäuscht. Unentschlossene hingegen bekamen im Endspurt noch ausreichend Orientierungshilfen. Es geht ja doch…

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Nie zuvor in der heimischen Wahlkampf-Historie gab es derart viele TV-Konfrontationen. Mit rund 60 Diskussionen sowie gefühlt 25.000 Interviews, Specials und Analysen auf sämtlichen Kanälen wurde man als TV-Konsument in diesem Jahr regelrecht penetriert.

Seit Wochen ein verlässliches Thema: Dirty Campaigning. Auch zu Beginn der gestrigen Elefantenrunde widmete man sich dem verzichtbaren US-Import.

"Höhepunkt der politischen Unkultur"

"Das hätten wir uns sparen können", meinte Kanzler Christian Kern zu den ORF-Moderatoren Claudia Reiterer und Tarek Leitner.

Auch Konkurrent Sebastian Kurz wollte gar nicht mehr gross darüber reden - einen Strafbestand für Dirty Campaigning wünsche er sich in Zukunft aber sehr wohl.

Für Heinz-Christian Strache war der diesjährige Wahlkampf ein "Höhepunkt der politischen Unkultur".

Auch für Ulrike Lunacek, Spitzenkandidatin der Grünen, die auf die Probleme ihrer Partei im Wahlkampf angesprochen wurde, war "nicht alles toll". Prinzipiell habe ihre Partei aber versucht, "Sachthemen in den Mittelpunkt zu stellen".

"Wir haben das kleinste Budget von allen und die Inhalte in den Vordergrund gestellt", konstatierte Matthias Strolz von den NEOS. Er wolle in Österreich keine amerikanischen Verhältnisse und wünsche sich einen "Neustart in der politischen Kultur".

Themenwahl nach "Wünsch dir was!"-Prinzip

Das gestrige Format erlaubte es jedem Kandidaten, ein konkretes Thema für die weitere Diskussion zu wählen. Strolz entschied sich für die "Bildungsreform", Lunacek für den "Kampf gegen den Klimawandel" und Strache wählte das Thema "Zuwanderung stoppen". Christian Kern und Sebastian Kurz entschieden sich für die Themen "Vollbeschäftigung" und "Sozialsystem".

Thema Beschäftigung – wie Arbeitsplätze schaffen?

"Aktive Politik, bewusst gestalten", so Kerns Maxime für die Beschäftigung. Als Massnahmen nannte der SPÖ-Chef den Job-Bonus, das Forcieren von Kooperationen zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen, mehr öffentliche Investitionen sowie die Stärkung der Einkommen.

Er sei, so der Kanzler, kein Fan von Dogmen wie "Der Markt regelt alles" oder "Steuern grosse Unternehmen senken".

Der Ansatz von Strolz? "Ein anderer", so der NEOS-Chef. "Wir müssen die Lohnnebenkosten senken und die Bürokratie zurückfahren."

Kurz schlug hier in eine ähnliche Kerbe und gab zudem das Credo "Weniger Regulierung, mehr Hausverstand" aus.

Auch Heinz-Christian Strache beanstandete die bürokratischen Auflagen. "Heute könnte ich mich gar nicht mehr selbständig machen, weil ich keinen Kredit mehr bekäme", so der FPÖ-Chef.

Lunacek wiederum verwies auf den Umweltschutz. "Umwelt und Wirtschaft passen zusammen", meinte sie. Und: "Viele Frauen können gar nicht arbeiten, weil die Kinderbetreuungsplätze fehlen."

Das Thema des jungen ÖVP-Chefs: Das Sozialsystem in Österreich

Laut Kurz müsse das Sozialsystem sparsamer werden. Erreichen wolle er das etwa durch die Zusammenlegung der 21 Versicherungsträger. Aber auch einen "Stopp der Zuwanderung ins Sozialsystem" und eine einheitliche Mindestsicherung forderte der ÖVP-Chef. Strache verortete das Problem vor allem in der heutigen Mindestsicherung, die eine "Sogwirkung" auslöse. Das Ziel: "Mehr Sach- statt Geldleistungen", so der FPÖ-Chef.

Die SPÖ will investieren. "Der Sozialstaat hängt vom wirtschaftlichen Erfolg ab", so der Kanzler. Auch er sprach sich für eine einheitliche Mindestsicherung aus. Kurz und Lunacek ebenso.

Grenzschutz, Migrations-Türen, Stärkung des Kultusamt und Botschaftsasyl

Strache kritisierte, dass man bis heute nicht bereit sei, die österreichischen Grenzen zu schützen, obwohl die EU-Aussengrenzen nicht gesichert seien.

Zudem würden sich Zuwanderer die "Wunschdestination Österreich aussuchen". Strolz kam mit einem Input von FDP-Chef Christian Lindner, der bei den NEOS auf Besuch war. Dieser sehe in der Migration vier Türen ins Land: 1. Asyl, 2. Subsidiärer Schutz auf Zeit, 3. Arbeitsmigration und die vierte Türe sei zu, "wenn die Punkte 1 bis 3 nicht zutreffen", so Strolz.

Kern und Kurz sprachen sich für eine Stärkung des Kultusamt aus, die SPÖ will zusätzlich noch Heer und Polizei stärken. Ulrike Lunacek hingegen kritisierte die "Vermengung der Themen Flucht und Zuwanderung". Ihr Wunsch sei es, das Botschaftsasyl wieder einzuführen und die Fluchtursachen intensiver zu bekämpfen.

Umweltinitiativen für die Zukunft

Weiter ging es mit dem "Klimaschutz", den die Spitzenkandidatin der Grünen thematisieren wollte. Lunacek sprach Erderwärmung, Dürrekatastrophen und Hurrikans an. "Wenn wir so weitermachen, werden wir den Planeten zerstören." Sie wolle raus aus der Subventionierung von fossilen Brennstoffen und eine Zweckwidmung der Wohnbauförderung für thermische Sanierungen.

Strolz schickte das Beispiel Schweden ins Rennen. "Dort hat man es geschafft, das Wirtschaftswachstum vom Ausstoss an Emissionen zu entkoppeln." Der NEOS-Chef wolle statt Nova, Mineralölsteuer und Erdgassteuer eine Co2-Steuer, die am Verbrauch ansetzt. Während der Kanzler die Produktion für erneuerbare Energien vervierfachen, Glyphosat verbieten und die Elektromobilität forcieren möchte, will Kurz auch auf die USA, die sich vom Pariser Klimavertrag verabschiedet haben, Druck ausüben. Der ÖVP-Chef will die erneuerbaren Energien ebenso vorantreiben.

Auch Strache ist der Unkrautvernichter Glyphosat ein Dorn im Auge. Zudem verwies der FPÖ-Chef auf seinen Mitstreiter Norbert Hofer, "der hier wahnsinnig viele Initiativen setzt."

Beim Thema "Bildung" kommt Matthias Strolz so richtig in Fahrt

Mit Verve und in Form einer tadellosen, vielleicht nicht allzu aussichtsreichen Bewerbung für den Job des Bildungsministers eröffnete Matthias Strolz sein "Herzensthema". Er wolle einen "Mentalitätswandel", Talente- und Potenzialförderungen, den Beruf Lehrer zum "wichtigsten der Republik" machen, die Landesfürsten entmachten sowie die mittlere Reife einführen, sprudelte es aus dem NEOS-Chef nur so heraus.

Auch die anderen Kandidaten fanden das Gros seiner Ideen gut. Kurz wolle zudem "echte Reformen statt Reförmchen" sowie "Deutsch vor Schuleintritt". Zu viele Schüler könnten nach der Volksschule nicht lesen. "Die beste Ausbildung für alle – egal, ob man arm oder reicht ist", forderte Christian Kern. Auch hier müsse man investieren, so der Kanzler.

Lunacek begrüsste Strolz' Vorschläge. "Mit einem Unterschied –– der Notwendigkeit, dass der Zugang zu Unis frei und gratis bleiben muss." Für Strache sei das Problem, dass viele Eltern gezwungen seien, ihre Kinder in Privatschulen zu gehen. "Das staatliche Schulsystem hat hier dramatisch versagt", so der FPÖ-Obmann. Auch er forderte gestern "Deutsch vor Schulantritt."

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