Nur neun Monate nach der letzten Abstimmung, wählen die Griechen abermals ein neues Parlament. Der Ausgang ist völlig offen, in Umfragen liegen Syriza und Nea Dimokratia (ND) gleichauf. Doch egal wer gewinnt – die Sparauflagen bestimmen die Politik in Hellas.

Mehr aktuelle News

Ins Wahllokal gehen, Kreuz machen, Stimmzettel einwerfen – und hoffen, dass es nach Jahren des Sparens endlich aufwärts geht. Wenn am Sonntag in Griechenland gewählt wird, bleibt vielen nur noch ein müder Seufzer: schon wieder. Es ist das sechste Mal innerhalb von nicht einmal vier Jahren, dass das griechische Volk bei einer Abstimmung an die Urnen tritt – und bereits die dritte Parlamentswahl in diesem Zeitraum.

"Die Stimmung ist nicht mehr so leidenschaftlich wie bei der Wahl im Januar. Die Menschen interessieren sich zwar noch dafür, aber viele sind inzwischen auch wahlmüde geworden", berichtet Polixeni Kapellou im Interview. Sie leitet das Büro der Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) in Athen und spricht täglich mit den Bürgern.

Und denen ist ihr stark eingeschränkte Perspektive klar: "Die politischen Möglichkeiten sind für die Wähler begrenzt. Mit dem dritten Rettungspaket ist bereits viel vorgegeben. Es wird eher ein Verwalter und Umsetzer des Pakets gesucht als ein politischer Gestalter", erklärt Julian Rappold von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

Tsipras hat viele Wähler enttäuscht

Es ist schon verrückt, was für ein Euphorie noch zu Anfang des Jahres in Griechenland geherrscht hatte. Ein junger Revoluzzer trat da auf in Gestalt von Alexis Tsipras. Einer, der alles anders machen wollte. Der versprach, Griechenland von den Ketten des europäischen Spardiktats zu befreien. Und der am Ende doch wieder einknicken und den europäischen Auflagen zustimmen musste. So sehen das viele enttäuschte Griechen heute. Steuern runter, Renten rauf – alles Geschichte. Bevor Tsipras Regierungschef wurde, rechneten Ökonomen damit, dass Griechenlands Schulden bis Ende 2016 auf 160 Prozent der Wirtschaftsleistung gesunken sein könnten. Jetzt gehen sie von einem Anstieg auf 200 Prozent aus. Die Opposition poltert, Tsipras habe einen Schaden von 66 Milliarden Euro angerichtet.

Das alles drückt auf die Stimmung im Volk. Im Januar holte Tsipras' Syriza mehr als 36 Prozent, nun liegt sie in manchen Umfragen nur noch bei 26 Prozent – und vor allem gleichauf mit dem stärksten Konkurrenten der Nea Dimokratia (ND). "Tsipras steht vor der Herausforderung, dem griechischen Volk schmackhaft zu machen, ihn noch einmal zu wählen", sagt Julian Rappold.

Dabei gab es für den Syriza-Chef gar keine andere Möglichkeit, nachdem er sich mit dem linken Flügel seiner Partei überworfen und sich dieser abgespaltet hatte: "Die Situation vor den Neuwahlen war nicht länger tragbar für Tsipras, weil er für Reformen immer auf die Stimmen der Opposition angewiesen war. Neuwahlen waren deshalb ein natürlicher Schritt, um Stabilität herzustellen. Allerdings dürfte er sich dabei eine absolute Mehrheit oder zumindest ein stärkeres Ergebnis erhofft haben, als es nun prognostiziert wird", erklärt Rappold.

Eine Grosse Koalition oder ein Bündnis aus drei Parteien?

Der Ausgang der Wahl ist völlig offen. Syriza oder Nea Dimokratia? Niemand kann das derzeit vorhersagen. Klar ist nur, was es nicht geben wird: Tsipras hat eine Grosse Koalition mit der ND vehement ausgeschlossen. Einen "unnatürlichen Partner" nannte er die Partei, die für ihn wie keine andere die Klientelpolitik des alten Griechenlands verkörpert. "Eine Option wäre eine Koalition aus drei Parteien mit Syriza, Pasok und To Potami. Ihre Positionen liegen nicht zu weit auseinander", weiss Kapellou von der Hanns-Seidel-Stiftung.

Nea Dimokratia hingegen hält sich alle Optionen offen, auch eine Koalition mit Syriza – allerdings nur ohne Tsipras. Die Partei hatte sich dem dritten Rettungspaket im Parlament angeschlossen, ohne die Stimmen hätte sich nur schwer eine Mehrheit gefunden. Dieses Narrativ trägt ND nun vor sich her: Wir wollen Griechenland voranbringen – über alle Parteigrenzen hinweg. "Der neue Vorsitzende Evangelis Meimarakis hat sich in den vergangenen Wochen mit flexiblen Koalitionsaussagen klug platziert und eine Politik des Konsenses gewählt, die gut im Volk ankommt", sagt Rappold.

Den Patt könnte ausgerechnet der abgespaltene Ex-Flügel von Syriza entscheiden, der sich als "Volkseinheit" (Laiki Enotita, LAE) neu formiert hat. Denn bei Parlamentswahlen winken der Partei mit den meisten Stimmen 50 Bonussitze. Die "Volkseinheit" liegt derzeit bei vier Prozent – wichtige Zähler, die am Ende vielleicht Syriza fehlen. LAE werde im Parlament zu einer "zersplitterten, in Teilen sehr anti-europäischen Diskussion" beitragen, schreiben Susanna Vogt und Jeroen Kohls in einer aktuellen Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung. Relevant wird auch sein, wie viele enttäuschte Syriza-Wähler wieder zu anderen Parteien zurückkehren.

Wenig Spielraum nach dem dritten Rettungspaket

Doch egal wer am Sonntag gewinnt, der weitere Weg ist laut Griechenland-Experte Rappold ohnehin vorgegeben: "Der Handlungsspielraum ist durch das dritte Rettungspaket sehr eingeschränkt. Tatsächlich gibt es der griechischen Regierung ein noch engeres Korsett bei Reformvorhaben vor, als das bei dem ersten und zweiten Paket der Fall war." Anders als Tsipras im Wahlkampf angedeutet hat, sieht Rappold keinen Spielraum für Nachverhandlungen. Er ist überzeugt: Tsipras werde das Paket nicht noch einmal aufschnüren können.

Stattdessen heisst es: die vereinbarten Reformen umsetzen. Und dafür wünscht man dem künftigen Wahlsieger eine halbwegs stabile Koalition. Denn, so erklärt Polixeni Kapellou: "Das Parlament muss bald über neue Gesetze zu den Sparauflagen abstimmen. Sollte eine Koalition nur eine knappe Mehrheit erhalten, könnte es mit Abweichlern wieder zu Problemen kommen." Keine reizvolle Aussicht für das müde griechische Volk.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.