Die Volksinitiative von Konsumentenschützern «Pro Service public» ist nach anfänglich starker Zustimmung klar gescheitert. Die Initianten hadern mit dem Engagement der Behörden gegen das Begehren. Die Stimmbeteiligung beträgt 46 Prozent.

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Kein einziger der 26 Kantone hiess die Initiative "Pro Service Public" gut. Das überrascht, denn Trendumfragen hatten einen knappen Abstimmungsausgang erwarten lassen. Auch am Volksmehr ist die Initiative gescheitert, sie wird mit 67,6 Prozent abgelehnt. Damit folgt das Stimmvolk Bundesrat und Parlament, welche die Initiative ungewöhnlich deutlich zur Ablehnung empfohlen haben.

Mit einem überdurchschnittlich hohen Ja-Anteil schneiden die Kantone Jura (41,4%), Neuenburg (41,3%) und das Tessin (37,9%) ab. Dafür verantwortlich sei die höhere Stimmbeteiligung von älteren Personen in diesen Kantonen, begründet der Politologe Claude Longchamp. Diese hätten "mehr Mühe mit der Digitalisierung und den damit verbundenen Veränderungen."

In allen 26 Kantonen lautete das Ergebnis dann aber schliesslich Nein - und die Ablehnung war deutlich. Rund 784'600 Stimmberechtigte legten ein Ja ein, rund 1'637'000 ein Nein.

Initianten bleiben kampfeslustig

Enttäuschung, Selbstkritik, aber auch Kampfeslust herrschen bei Matteo Cheda, dem Initianten der Service-public-Initiative, vor. Trotz dem schlechten Abschneiden der Vorlage: Eine neue Initiative, um etwa die Roaming-Gebühren abzuschaffen, das ist für Cheda durchaus möglich, wie er im Interview mit dem Schweizer Fernsehen SRF sagt.

Erste Meinungsumfragen sagten der Volksinitiative eine erstaunlich hohe Zustimmungsrate voraus. Bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass die Initiative im Parlament zu Null abgelehnt worden ist. Wie der Politologe Claude Longchamp gegenüber SRF analysiert, sei der Unmut der Bevölkerung über den Service Public in der Schweiz doch grösser, als ursprünglich von der Politik eingeschätzt wurde. Der "Weckruf" der Meinungsumfragen aber sowie der klare Nein-Tenor in Medien und Werbung hätten letztlich zum Schluss zugunsten der Gegner mobilisiert.

Die Konsumentenmagazine einen zusammen rund 2,5 Millionen Leserinnen und Leser. Trotz der nun doch deutlichen Niederlage werten die Initianten ihre Initiative "Pro Service public" als Erfolg. Damit sei eine wichtige Diskussion angestossen worden, sagte Peter Salvisberg vom Initiativkomitee. "Die Politiker haben zu lange weggeschaut." Angesichts der "riesigen Propagandaschlacht" wäre ein Sieg nach Ansicht von Salvisberg einer Sensation gleichgekommen: "Wir hatten alle Parteien und Verbände gegen uns." Es sei bedenklich, wie stark sich die Verwaltung und betroffene Betriebe in den Abstimmungskampf eingemischt hätten.

Zeynep Ersan Berdoz, Mitinitiantin und Chefredaktorin des Konsumentenmagazins "Bon à savoir", begründete das deutliche Nein mit der "Angstmacherei", auf welcher die Gegenkampagne nach den Umfragen basierte. Als positiver Punkt der Initiative bleibe die nun anstehende Diskussion über die Managerlöhne der bundesnahen Betriebe, so Ersan Berdoz.

"Ein Votum für den marktnahen Service Public"

Für Longchamp ist die deutliche Abfuhr der Service-public-Initiative Ergebnis einer "sachlich geführten Debatte", wie er im folgenden Interview sagt. Klar sei aber, dass es mehr Wettbewerb – etwa bei Swisscom oder Post – brauche. Bringe dieser bessere Leistungen und tiefere Preise, bleibe die Akzeptanz für den eingeschlagenen Weg im Volk gross.

"Die Schweizerinnen und Schweizer erwarten einen qualitativ hochstehenden Service Public", interpretiert Petra Gössi, die neue Präsidentin der Freisinnigen, das klare Verdikt. Das Volk wünsche sich keine weiteren staatlichen Eingriffe in der Grundversorgung. Die Gegner der Initiative "Pro Service public" werten das deutliche Ergebnis auch als Bekenntnis zum guten Service public in der Schweiz. Laut FDP-Nationalrat Kurt Fluri zeige das Nein zur Initiative, dass der Service public nach Ansicht der Mehrheit gut funktioniere. "Grundsätzlich gibt es keinen Handlungsbedarf."

Randregionen sagen überraschend Nein

Überrascht ist Kurt Fluri, dass die Initiative sogar in ländlichen Gebieten auf Ablehnung gestossen ist. Diese seien besonders von Poststellenschliessungen und dem Abbau weiterer Service-public-Leistungen konfrontiert gewesen.

Kritiker warnten, dass die Initiative durch eine Verstaatlichung der Unternehmen den Service public zerstöre. Überall dort, wo es sich für die Grunddienstleister aufgrund des neuen Verbots nicht mehr lohnt zu investieren, muss der Staat eingreifen. Dieser Widerspruch, den die vermeintlich verlockende Initiative in sich trägt, wurde von der Schweizer Bevölkerung denn auch abgestraft. Randregionen wie Graubünden, die vom Service public stark abhängig sind, sagten klar Nein, wie der Bündner CVP-Nationalrat Martin Candinas erfreut twittert.

"Die Initiative wurde abgelehnt, weil sie schädlich war. Aber wir brauchen einen starken Service public in den Bergtälern, das ist keine Frage", erklärt Martin Candinas. Im Fokus müsse nun für die ländlichen Regionen der Internetzugang respektive die Breitbandabdeckung stehen, die sei derzeit noch ungenügend, so Candinas.

In Zeiten der Digitalisierung sei es wohl eine "eher romantische Vorstellung", wenn man bei den leistungsstarken SBB, Post und Swisscom das Rad der Zeit zurückdrehen möchte. "Wo kein Ansporn ist, Gewinn zu erwirtschaften, fehlt auch der Anreiz für die Innovation", hiess es von den Gegnern. Gerade die unternehmerische Eigenverantwortung mache Post, Swisscom und SBB stark. Zur Eigenverantwortung wurden die damaligen "Regiebetriebe", die sich nicht selbst tragen konnten, in den 90er-Jahren verpfichtet.

Parteien von links bis rechts hatten vor der Initiative gewarnt. Ein besserer Service public sei bei einem Ja keineswegs zu erwarten, machten sie geltend. Stattdessen führe etwa das Gewinnverbot dazu, dass Service-public-Unternehmen nicht mehr genügend Mittel für Investitionen in neue Technologien oder für den Ausbau der Infrastruktur hätten.

Jetzt sind die Löhne von Topkadern im Visier

Die Initianten hatten auch die Löhne der Topkader von bundesnahen Betrieben im Visier, und auch da waren die Auslegungen verschieden. Die Initianten forderten, dass Manager dieser Betriebe nicht mehr verdienen sollten als Mitglieder des Bundesrates, nämlich 475'000 Franken im Jahr. Unabhängig vom Resultate der Initiative, wurde bereits im Vorfeld in der Presse angekündigt, dass das Parlament dieses Anliegen weiterverfolgen wird.

Frust bei den Kundinnen und Kunden

Das Anliegen, das der Schweizer Bevölkerung von den Initianten der „Pro Service Public“-Initiative serviert wurde, klingt auf den ersten Blick verführerisch. „Service vor Profit“ - unter diesem Motto verlangte die Initiative, bei den Grundleistungen nicht gewinnorientiert zu arbeiten und mit allfälligen Überschüssen nicht die allgemeine Bundeskasse zu finanzieren. Die Bundesbetriebe Post, SBB und Swisscom sollen das Gemeinwohl vor Profitmaximierung stellen. Die Initianten wollten mit ihrer Initiative die Dienstleistungen von SBB, Post und Swisscom stärken. "Wir wollen, dass das Angebot nicht weiter ausgedünnt wird", erklärte Initiant Salvisberg. Am meisten frustriere die Leute die "Abholzerei". Zwei von drei Poststellen wurden seit 1970 in der Schweiz geschlossen."

Zu nutzen machen wollten sich die Initianten um Peter Salvisberg die Wut der Bürgerinnen und Bürger. Der "Volkszorn" als schlagkräftige Sammlung von subjektiv schlechten Erfahrungen mit dem Service public. Und dies obwohl die Schweizer Grundversorgung im internationalen Vergleich in der obersten Liga mitspielt, wie Studien verschiedentlich zeigen. Subjektive Erlebnisse aber dürfen "nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich der Service public in der Schweiz in den letzten zwanzig Jahren wesentlich verbessert hat", so die"Neue Luzerner Zeitung".  © swissinfo.ch

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