In Singapur können sich die Wählerinnen und Wähler zum ersten Mal seit über einem Jahrzehnt bei einer Präsidentschaftswahl zwischen mehreren Kandidaten entscheiden. An den Wahllokalen in dem südostasiatischen Stadtstaat bildeten sich am Freitag lange, wohlgeordnete Warteschlangen. "Was wir wollen, ist ein wohlhabendes Singapur", sagte der 70-jährige Patrick Low nach seiner Stimmabgabe der Nachrichtenagentur AFP.
Der neue Staatschef wird Amtsinhaberin Halimah Yacob nach ihrer sechsjährigen Zeit als Präsidentin ablösen. Yacob hatte bei ihrer Wahl zur Staatschefin im Jahr 2017 keine Gegenkandidaten gehabt.
Die Rolle des Präsidenten ist zwar weitestgehend repräsentativ. Dennoch gelten für eine Kandidatur strenge Kriterien: Bewerber müssen entweder als hochrangiger Beamter oder als Chef eines Unternehmens mit umgerechnet mindestens 341 Millionen Euro Eigenkapital tätig gewesen sein.
Der Verfassung nach ist es ein ausserparteiliches Amt, aber die politischen Fronten lagen vor der Wahl am Freitag offen. Politikwissenschaftler sagen, das Votum könne zeigen, wie viel Unterstützung die Regierungspartei PAP vor den Parlamentswahlen im Jahr 2025 und nach jüngsten Skandalen in der Bevölkerung geniesst. Ministerpräsident Lee Hsien Loongs Partei regiert Singapur seit 1959 ununterbrochen.
Als Favorit gilt der frühere Vize-Ministerpräsident und Zentralbank-Chef Tharman Shanmugaratnam. Wie es das Gesetz vorsieht, trat der langjährige PAP-Anhänger vor seiner Kandidatur für das Amt aus der Regierungspartei aus. Der 66-Jährige gilt als von der Regierung unterstützter Kandidat, dessen Unabhängigkeit während des Wahlkampfs angezweifelt wurde.
Shanmugaratnam hat zwei Konkurrenten. Der 75-jährige frühere Versicherungsmanager Tan Kin Lian wird von mehreren Oppositionsführern unterstützt. Der dritte Bewerber, der ebenfalls 75-jährige Ng Kok Song, ist der ehemalige Chef des Staatsfonds von Singapur (GIC), eines der einflussreichsten Fonds der Welt.
Der singapurische Präsident kann sein Veto bei der Besetzung wichtiger öffentlicher Ämter einlegen und Korruptionsermittlungen auch gegen den Willen des Regierungschefs genehmigen. Auch ist der Staatschef der Hüter der Reserven Singapurs, auf die nur in Ausnahmefällen wie der Coronapandemie oder der weltweiten Finanzkrise in 2009 zugegriffen werden kann.
"Die Präsidentschaftswahl wird zunehmend wie eine Parlamentswahl behandelt", sagte Politologe Mustafa Izzudin vom Beratungsunternehmen Solaris Strategies Singapore. Es werde eine Zunahme der Protestwähler erwartet, da die Stimmung in der Bevölkerung bezüglich der amtierenden Regierung schwanke.
Die PAP war kürzlich in einige politische Skandale verwickelt, so beschäftigt sich etwa eine Korruptionsuntersuchung mit dem Transportminister. Solche Affären sind selten in dem Stadtstaat, der mit dem Ruf einer sauberen Regierung ausländische Investitionen anzieht. Schon in der Parlamentswahl 2020 fuhr die PAP das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte ein, behielt jedoch ihre Zweidrittelmehrheit bei.
Die Stimmabgabe ist für die mehr als 2,7 Millionen Wahlberechtigten des Landes verpflichtend. Wer ohne triftigen Grund von der Wahl fernbleibt, riskiert, von der Wählerliste gestrichen zu werden. Mit der Verkündung eines Ergebnisses ist am späten Freitagabend zu rechnen. Es werden keine Prognosen aufgrund von Nachwahlbefragungen herausgegeben.
© AFP
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