Das Schweizer Stimmvolk will, dass die Autofahrer weiterhin auch zur Finanzierung anderer Bundesaufgaben beitragen. Die Initiative der Autolobby "für eine faire Verkehrsfinanzierung" ist am Ständemehr gescheitert. Alle Kantone lehnen die sogenannte Milchkuh-Initiative ab. Auch ein Volksmehr kommt nicht zustande. Gemäss Schlussresultat des Forschungsinstituts gfs.bern wird sie vom Souverän mit 70,8% deutlich abgelehnt.

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Finanzminister Ueli Maurer hat sich erfreut gezeigt über die Ablehnung der Initiative. Die Bundeskasse bleibe unangetastet, sagte er vor den Bundeshausmedien. Für Maurer ist das Abstimmungsresultat ein Votum gegen die Anspruchshaltung einer einzelnen Gruppe. "Die Bevölkerung hat sich für ein Gleichgewicht der verschiedenen Bundesaufgaben ausgesprochen", sagte er. Die Probleme im Strassenverkehr könnten nun auf eine andere Art gelöst werden.

Derzeit diskutiert das Parlament über die Schaffung eines Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrsfonds (NAF). Vorgesehen ist, mehr Geld als bisher für die Strasse statt für andere Bundesaufgaben zu verwenden. Im Nationalrat steht das Geschäft gegen Ende der laufenden Sommersession auf dem Programm.

Auto-Lobby enttäuscht

Die Initianten sind über das klare Nein enttäuscht. Jetzt wollen sie für eine "autofreundliche" Umsetzung des Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs-Fonds" (NAF) kämpfen. Das sagte Andreas Burgener, Direktor von auto-schweiz, gegenüber der Nachrichtenagentur sda. Die Gegenseite habe erfolgreich vor einem Abbau bei Bildung, Forschung, Landwirtschaft und Armee gewarnt.

Burgener fordert, der NAF müsse nun so umgesetzt werden, wie es der Ständerat, die Kleine Kammer, vorsieht. "Linksgrüne Kreise werden jetzt versuchen, Abstriche beim NAF zu machen", sagte Burgener.

Ähnlich reagiert der Touringclub Schweiz (TCS). Laut dem Interessenverband von 1,5 Millionen Autofahrern hat die Initiative dazu beigetragen, dass das Parlament den NAF während den zurzeit noch laufenden Beratungen im Sinne der Autofahrer bereits etwas verbessert hat.

Ein Nein mit Ansage

Der Nein-Trend hatte sich bereits in den Umfragen abgezeichnet. Vor zwei Wochen hatten sich aber noch 40% für die Initiative ausgesprochen. Die Stimmbeteiligung lag bei 46,8%.

Deutlich wurde die Milchkuh-Initiative in ländlichen Kantonen und in Randregionen abgelehnt. In vielen Zentralschweizer Kantonen, in Graubünden, Neuenburg oder im Jura betrug der Nein-Stimmenanteil weit über 70%. Am deutlichsten war die Ablehnung aber in Kantonen mit grossen Städten. In der Waadt sagten 77,1% der Stimmenden Nein, in Basel-Stadt 75,7%, in Genf 75,6%.

Die Benützer der Strasse seien die Milchkühe der Nation, hatte die Autolobby in der Vergangenheit immer wieder gewettert, weil sie mit "immer höheren" Steuern und anderen Abgaben belastet würden. Von diesen jährlich rund 9 Mrd. Franken komme aber nur der kleinere Teil dem Erhalt und Ausbau der Strasseninfrastruktur zugute, der grössere Teil fliesse in den allgemeinen Bundeshaushalt zur Finanzierung anderer Staatsausgaben, hatte sie beklagt. Das Geld für den dringend benötigten Ausbau sei vorhanden, werde aber zweckentfremdet. "Strassengeld gehört der Strasse", lautete einer der Slogans. Um – unter anderen – Engpässe auf dem Nationalstrassennetz zu beseitigen, hatte Auto-Schweiz, der Verband der Schweizer Autoimporteure, zusammen mit anderen gleichgesinnten Interessenorganisationen die "Initiative für eine faire Verkehrsfinanzierung" (alias Milchkuh-Initiative) lanciert.

Der Verkehr müsse nach dem Verursacherprinzip finanziert und die Finanzflüsse transparenter werden, hatten Automobilverbände gefordert. "Dem Raubzug auf die Strassenbenützer" müsse ein Ende gesetzt werden.

Seit 1995 sei die gesamte Strassenlänge konstant geblieben. "Nur das Nationalstrassennetz hat sich zwischen 1995 und 2012 um 17% verlängert", argumentierten sie. Deshalb habe die Verkehrsüberlastung stetig zugenommen. Obwohl sie – eben wie Milchkühe – immer mehr gemolken würden, stünden die Autofahrer immer länger im Stau, was für die Betroffenen nicht nur ärgerlich sei, sondern auch hohe volkswirtschaftliche Kosten verursache.

Kein "Raubzug" auf die Bundeskasse

Für eine klare Mehrheit der Stimmenden scheinen die Argumente der Gegner überzeugender gewesen zu sein. Diese bezeichneten die Initiative zum Teil mit einem ähnlichen Vokabular als "Raubzug auf die Bundeskasse", als Angriff auf ein bewährtes System der Schweiz und auf zahlreiche wichtige Leistungen der öffentlichen Hand. Auch der Bundesrat hatte die Vorlage abgelehnt mit dem Hinweis, dass der öffentlichen Hand bei einem Ja 1,5 Mrd. Franken fehlten und Kürzungen unter anderen bei der Bildung und Forschung, bei Investitionen in den öffentlichen Verkehr und bei der Landwirtschaft nötig würden.

Streitpunkt "externe Kosten"

Die Milchkuh-Geschichte der Autolobby sei ein Schwindel, weil die reale Belastung durch die Mineralölsteuer seit 1970 um die Hälfte abgenommen habe. Ausserdem würden die sogenannten externen Kosten (Gesundheitsschäden durch Luftverschmutzung, Lärm, Unfälle), die der motorisierte Strassenverkehr verursache, nicht von den Strassenbenützern, sondern von der Allgemeinheit finanziert.

Abgesehen von der Schweizerischen Volkspartei und der Eidgenössisch-Demokratischen Union, welche die Ja-Parole gefasst hatten, war die Initiative von allen politischen Parteien abgelehnt worden.

Ist die deutliche Ablehnung der Milchkuh-Initiative ein Bekenntnis zur Förderung des öffentlichen Verkehrs?

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