US-Präsident Trump wehrt sich gegen seine Wahlniederlage. Er zürnt auf Twitter und streitet vor Gericht. An Bidens Wahlsieg wird er damit aller Voraussicht nach nicht rütteln können. Aber seine Haltung könnte Teil eines Plans für seine politische Zukunft sein.
Leidet
EINE FINTE FÜR DIE WIEDERWAHL?
Manche seiner Anhänger und Kritiker erklären Trumps Verhalten mit einer Jahreszahl: 2024. Sie spekulieren, dass Trump weiter von Wahlbetrug sprechen und das Weisse Haus am 20. Januar grollend verlassen wird, aber nur um sich auf eine erneute Präsidentschaftskandidatur 2024 vorzubereiten. Der Republikaner wäre dann 78 Jahre alt - so alt wie
Diese These stützt sich unter anderem darauf, dass Trump derzeit unter dem Vorwand anfallender Prozesskosten heftig um Spenden wirbt. Mit diesen Geldern, die teils in eine neugegründete Struktur fliessen, könnte er auch künftige politischen Ambitionen finanzieren. Eine erneute Kandidatur 2024 wäre rechtlich möglich, politisch aber höchst ungewöhnlich. So oder so ist klar: Trump bekam bei der Wahl am 3. November mehr als 72 Millionen Stimmen und dürfte daher auch in der Zukunft bei den Republikanern eine wichtige Stimme bleiben.
DER STAND DES RENNENS
"Friedliche Machtübergänge erfordern politischen Willen. Am Ende müssen die Menschen auf der einen Seite vom Abgrund zurücktreten." Diese Worte schrieb der Historiker Daniel Larsen in einem Beitrag für die "New York Times", wenige Tage bevor die Befürchtung Wirklichkeit wurde und Trump klarmachte, dass er seine Niederlage nicht einzuräumen gedenkt. Doch die Zahlen sind eindeutig: Biden hat sich Prognosen von US-Medien zufolge 306 Stimmen der Wahlleute gesichert. Das sind genauso viele, wie Trump 2016 bekommen hatte - und deutlich mehr als die nötige Mehrheit von 270 Stimmen. Trump hatte vor vier Jahren von einem "Erdrutschsieg" gesprochen. Jetzt kommt er nur auf 232 Wahlleute.
HOFFNUNG AUF DIE GERICHTE
Die von Trump, den Republikanern und konservativen Gruppen nach der Wahl in mehreren Bundesstaaten angestrengten Klagen sind bislang weitgehend erfolglos geblieben. Dabei geht es unter anderem um angebliche Betrugsvorwürfe, um die Gültigkeit bestimmter Briefwahlstimmen und um eine Verzögerung der Beglaubigung der Ergebnisse. Keine der Klagen dürfte den Ausgang der Wahl in einem Bundesstaat beeinflussen können, geschweige denn Bidens Wahlsieg insgesamt gefährden. Am Freitag blitzten die Konservativen bei einem Richter im Bundesstaat Michigan mit einer Klage ab, genauso erging es ihnen in einem Berufungsverfahren in Pennsylvania. In einem dritten Verfahren in Arizona machten Trumps Anwälte einen Rückzieher.
JURISTISCHES "THEATER"?
Bidens Team stuft die Klagen als "Theater" ein. Trump wiederum hat mehrfach davon gesprochen, dass die Wahl letztlich vom Obersten Gericht der USA, dem Supreme Court in Washington, entschieden werden könnte. Sechs der neun Richter dort gelten als konservativ, drei von ihnen hat Trump selbst ernannt. Unabhängige Juristen halten es aber - auch angesichts von Bidens Vorsprung - für fast unmöglich, dass das Gericht aufgrund einzelner Klagen das Wahlergebnis kippen könnte.
Trumps Republikaner nutzen die laufenden Prozesse, um Bidens Wahlsieg weiterhin als ungesichert darzustellen. Die faktisch abgewählte Regierung verweigert Biden mit Blick auf die Klagen bisher auch die vom Gesetz vorgesehene Unterstützung für eine Amtsübergabe ("transition"). Trump gewinnt durch die Verfahren also Zeit, die er nutzen kann, um seine nächsten Schritte zu planen. Trumps Kritiker werfen ihm vor, mit seiner Taktik das Vertrauen in die Integrität der Wahl und die Demokratie als Ganzes zu untergraben.
NEUAUSZÄHLUNGEN DER STIMMEN
Die von Trump gewünschten Neuauszählungen dürften das Ergebnis nicht grundsätzlich verändern. Im Bundesstaaten Wisconsin liegt Biden mit rund 20 000 Stimmen vor Trump, in Georgia sind es rund 14 000 Stimmen. In der Vergangenheit haben sich Ergebnisse bei Neuauszählungen nur minimal verändert. So wurden bereits vor vier Jahren in Wisconsin alle Stimmen neu gezählt: Dabei vergrösserte Wahlsieger Trump seinen Vorsprung auf die Demokratin Hillary Clinton um 131 Stimmen.
WIE VERHÄLT SICH DAS MILITÄR?
Trump entliess nach der Wahl Verteidigungsminister Mark Esper und weitere Führungskräfte im Pentagon. Das dürfte jedoch mehr mit Trumps Wunsch zu tun haben, offene Rechnungen zu begleichen, als mit finsteren Plänen, das Militär zum Machterhalt einzusetzen. Die juristischen Hürden für einen Einsatz des Militärs im Inland sind hoch. Zudem hat die Führung der Streitkräfte erklärt, das Militär werde auch bei einem umstrittenen Wahlausgang nicht aktiv werden.
Das betonte diese Woche nochmals der vor gut einem Jahr von Trump ernannte Generalstabschef Mark Milley: "Wir legen keinen Eid auf einen König oder eine Königin, einen Tyrannen oder einen Diktator ab. Wir legen keinen Eid auf eine Einzelperson ab", sagte Milley bei der Eröffnung eines neuen Museums zur Geschichte des Heeres in Virginia. "Wir legen einen Eid auf die Verfassung ab."
DER WEITERE FAHRPLAN
Die Bundesstaaten sollen ihre Wahl-Endergebnisse bis zum 8. Dezember beglaubigen und nach Washington melden. Am 14. Dezember sollen dann die 538 Wahlleute abstimmen, die den Präsidenten und dessen Vize wählen. Das Ergebnis der Abstimmung wird am 6. Januar im Kongress verlesen, dann herrscht Rechtssicherheit. Am 20. Januar wird der neue Präsident feierlich vereidigt.
UNWAHRSCHEINLICHE KATASTROPHENSZENARIEN
Theoretisch könnte bei der Beglaubigung der Ergebnisse und der Ernennung der Wahlleute in den Bundesstaaten noch etwas schiefgehen. In den Staaten Pennsylvania und Michigan zum Beispiel hat Biden die Wahl gewonnen, aber die Republikaner kontrollieren dort das lokale Parlament. Die Abgeordneten könnten bei der Beglaubigung der Ergebnisse, zum Beispiel unter dem Vorwand des Wahlbetrugs, Trump zum Wahlsieger erklären. Der in beiden Fällen demokratische Gouverneur müsste das Ergebnis aber noch abzeichnen. Er könnte ein anderes Ergebnis nach Washington schicken - dann wäre Chaos programmiert. Eine ähnlich umstrittene Wahl konnte 1877 nur mit einem politischen Kuhhandel gelöst werden.
So ein Szenario ist nicht unmöglich, aber sehr unwahrscheinlich: Die republikanischen Abgeordneten müssten sich dafür gegen den Willen der Mehrheit der Wähler in ihrem Bundesstaat stellen, zumal Biden auch landesweit die meisten Stimmen geholt hat. Zudem müsste das Manöver auch noch vor Gericht Bestand haben.
DIE ROLLE DER WAHLLEUTE
Auch beim Abstimmungsverhalten der Wahlleute könnte es theoretisch noch Überraschungen geben. Sie sollen sich an das Wahlergebnis aus ihren Bundesstaaten halten, mancherorts gibt es dazu Vorschriften und Strafandrohungen, aber nicht überall. Die Wahl könnte also prinzipiell von Überläufern beeinflusst werden. Bidens Vorsprung ist aber inzwischen so gross, dass auch einige Abweichler nichts ausmachen würden. Dem Parlament zufolge gab es in der Geschichte bislang bei neun Wahlen Überläufer. Dadurch wurde aber noch nie das Wahlergebnis verändert.
Falls das Wahlkollegium keinen Präsidenten wählen könnte, würde diese Rolle dem Repräsentantenhaus zufallen. Dort würde sich dann alles nach den Delegationen der Bundesstaaten richten - bei denen Trumps Republikaner die Mehrheit haben. Auch ein solches Gedankenspiel gilt angesichts von Bidens Mehrheit als extrem unwahrscheinlich.
Das einzig plausible Szenario klingt so: Biden wird am 20. Januar vor dem Kapitol vereidigt - und zieht noch am Nachmittag ins Weisse Haus ein. (br/dpa)
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