• Die Zwischenwahlen könnten die Machtverhältnisse in den USA grundlegend ändern.
  • Den Republikanern werden bei den Wahlen gute Chancen eingeräumt, die Kontrolle über das Repräsentantenhaus und auch über den Senat zu bekommen.
  • CNN-Chefkorrespondent und -Moderator John King analysiert für unsere Redaktion die Ausgangslage vor dem Wahltag am 8. November 2022.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von John King (CNN) sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Worüber wird bei den Midterms abgestimmt?

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Die Midterm elections (Zwischenwahlen) sind ziemlich kompliziert, weil die US-Amerikanerinnen und -Amerikaner über viele Dinge abstimmen. Von Washington aus gesehen wird darüber abgestimmt, ob die Demokraten die Kontrolle über das House of Representatives (das Repräsentantenhaus) und den Senat der Vereinigten Staaten behalten, also, ob die Demokraten die gesamte Bundesregierung unter Kontrolle haben können, weil sie einen demokratischen Präsidenten haben. Das ist an sich schon eine sehr grosse und wichtige Sache.

Dann gibt es noch mehr als 30 Gouverneurswahlen im ganzen Land, des Leiters der Exekutive jedes einzelnen Bundesstaates - das ist an sich schon eine grosse Aufgabe, besonders jetzt, da der Supreme Court (Oberstes Gericht) entschieden hat, dass Abtreibung kein Bundesrecht ist, sondern eine Frage der einzelnen Bundesstaaten. Es gibt noch eine Reihe anderer Themen, wie etwa die Art der Administration von Wahlen, die in den Vereinigten Staaten derzeit ebenfalls ein grosses Thema ist.

Die grösste Aufmerksamkeit bei den Zwischenwahlen gilt jedoch der Frage, ob die Partei des Präsidenten die Macht verlieren wird, und das passiert häufig bei den ersten Zwischenwahlen einer Präsidentschaft. Das Repräsentantenhaus und der Senat werden also weltweit die meiste Aufmerksamkeit erhalten. Ob Joe Biden geschwächt ist, wird eine der Fragen sein, ob er also als Präsident schwächer aus dieser Wahl hervorgeht, und wie sich die Grundlagen der Washingtoner Machtstruktur durch diese Wahl verändert. Doch die Wahlen der einzelnen Staaten sind unglaublich wichtig, sie werden manchmal ignoriert oder zu Beginn weniger beachtet, doch sind sie absolut entscheidend.

Was sind die wichtigsten Themen für die Wählerinnen und Wähler?

Man sieht in allen aktuellen Umfragedaten: Das bei Weitem wichtigste Thema ist die Inflation. Es ist einfach ein Moment der Abstrafung. Auch wenn Präsident Biden zu Recht sagen kann, dass die Beschäftigung in den Vereinigten Staaten wieder über dem Niveau vor der Pandemie liegt, sind seit seinem Amtsantritt 10 Millionen Arbeitsplätze geschaffen worden. Die Fundamentaldaten der amerikanischen Wirtschaft sind immer noch ziemlich stark, und wenn man sich in der Welt umschaut, ist die Inflation ein globales Problem, das langsame Wachstum ist ein globales Problem, und die amerikanische Wirtschaft steht unter den Top 2 oder 3 der Welt ziemlich gut da.

Doch es steht ausser Frage, dass die Inflation das wichtigste Thema für die Wählerinnen und Wähler ist. Das heisst jedoch nicht, dass die "zweitrangigen" Themen nicht auch ihre Wahlentscheidung beeinflussen. Der Präsident versucht spät im Wahlkampf, die Menschen davon zu überzeugen, dass die Bedrohungen für die amerikanische Demokratie vielleicht schwerer wiegen als die Inflation oder zumindest mit der Inflation konkurrieren sollten bei der Wahlentscheidung der Wählerinnen und Wähler. Die Republikaner haben viel Geld ausgegeben, um die Kriminalität zum Thema zu machen. In vielen amerikanischen Städten steigt die Kriminalität, doch steht es ausser Frage, dass die Wirtschaft und die Inflation bei Weitem das dominierende Thema sind. Und wenn man die Partei an der Macht ist und die Menschen ängstlich oder sogar wütend und frustriert sind, dann lassen sie das oft an einem aus. Das ist vielleicht nicht fair: Präsidenten haben keinen Zauberstab, wenn es um Inflation geht, und wenn es um Gaspreise geht, ist das eine globale Ware, eine Frage von Angebot und Nachfrage, doch das liegt einfach in der Natur der Sache, und so sind steigende Preise im Moment das grösste Problem

Und ich denke, es wird dadurch verstärkt, dass die Menschen von Covid völlig erschöpft sind und sie dachten, die Wahl von Joe Biden würde eine Phase der Ruhe oder der Führung bringen, die Dinge würden also ruhig werden. Nun, die Dinge sind nicht ruhig. Es gibt also die Besonderheiten der Wirtschaft und der Inflation, und dann gibt es die allgemeine Frage: "Haben wir das bekommen, was wir uns vorgestellt hatten, als wir Joe Biden gewählt haben?“. Doch weil die Pandemie anhält und die Inflation hoch ist, meinen viele Amerikaner: "Ich wollte eine Pause haben und habe sie nicht bekommen.“

Das Thema Abtreibung ist ein äusserst umstrittenes Thema – wie sehr könnte das den Republikanern bei diesen Wahlen schaden?

Die Abtreibungsdynamik ist spannend zu beobachten, und wenn wir die Stimmen ausgezählt haben, werden wir ein viel besseres Bild davon haben. Wenn man sich die Wählerregistrierung im Juli und August nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs im Juni ansieht, besteht kein Zweifel daran, dass sich mehr junge Menschen und mehr Frauen registrieren liessen. Und wenn man sich ansieht, wo das geschah, dann geschah es in den suburbanen Gebieten, die bei knappen Wahlen in einem Bundesstaat der USA in der Regel sehr entscheidend sind.

Obwohl die Demokraten über das Ergebnis verärgert waren, war die erste Reaktion politisch gesehen ein Vorteil für die Demokraten und ein Nachteil für die Republikaner. Da die Sache mit der Inflation das Leben der Amerikaner so sehr beherrscht, zeigen die Umfragedaten, dass das Thema Abtreibung an Bedeutung verloren hat. Doch schauen wir mal, was in den "Suburbs“ passiert. Diese Kopf-an-Kopf-Rennen werden so eng sein, dass schon ein winziger Ausschlag sie verändern kann.

Präsident Joe Bidens Zustimmungswerte haben sich stabilisiert, sind aber nicht hoch. Inwieweit sind diese Wahlen ein Referendum über seine Präsidentschaft?

Die ersten Midterms einer Präsidentschaft sind fast immer ein Referendum über den Präsidenten und damit auch über seine Partei. Die Geschichte lehrt uns, dass es sich um ein Referendum über den Präsidenten und die Regierungspartei handelt, und die Zustimmungsrate des Präsidenten ist so etwas wie der Leitstern der Midterms, und in dieser Hinsicht scheint Präsident Biden in Schwierigkeiten zu sein, da wir uns dem Wahltag nähern. Fast 6 von 10 Amerikanern missbilligen seine Arbeit. Wenn man solche Zahlen hat, läuft es normalerweise nicht gut für einen. Es gibt noch eine Reihe anderer Faktoren, die eine Rolle spielen. Dies ist ein kompliziertes Jahr, also muss man abwarten und die Stimmen zählen.

Wie gross ist der Einfluss Donald Trumps auf die Midterms?

Die Trump-Frage ist eine spannende. Vor ein paar Monate begann er, wieder Kundgebungen zu halten und durch das Land zu ziehen, und die Demokraten waren froh und die Republikaner, seine Partei, nervös. Je näher die Wahl rückt, desto weniger tritt er in Erscheinung. In den letzten Tagen hält er nur wenige Kundgebungen, meist in sicheren Wahlhochburgen der Republikaner. Präsident Biden versucht, Donald Trump mit Verweisen auf die Demokratie und auf Leute, die Wahlergebnisse leugnen, zu einem Thema zu machen, doch Trump hat sich entschieden, nicht täglich eine Kundgebung zu halten, nicht überall zu sein. Ich denke, dass sich das nach der Wahl ändern wird und Donald Trump versuchen wird, sich wieder als eine tägliche Präsenz im amerikanischen politischen Leben zu etablieren. Die Republikaner glauben, dass dieses Jahr in ihre Richtung geht, und sie wollen nichts tun, was die Grundlagen der Wahl infrage stellen könnte. Einige von ihnen würden sogar sagen, dass dies besonders bei Donald Trump der Fall ist, denn wenn Donald Trump antritt, wird der Karren in den Dreck gefahren.

Auf dem Wahlzettel stehen auch einige umstrittene Kandidaten. Welche sollte man besonders im Blick haben und welches sind die wichtigsten Kopf-an-Kopf-Rennen?

Die grösste Kontroverse, das grösste Problem und, ich würde sagen, die grösste Bedrohung für die amerikanische Politik und Demokratie ist im Moment die starke Vermehrung republikanischer Kandidaten, die entweder die Wahlergebnisse von 2020 leugnen - die also bis heute behaupten, die Wahl sei Donald Trump gestohlen worden, obwohl das nicht der Fall war - oder die sagen, wenn ich diese Wahl verliere, werde ich die Ergebnisse nicht respektieren, weil das System manipuliert ist, und die weiter sagen, dass wir vielleicht jemanden auf staatlicher Ebene brauchen, der die Stimmen der Menschen überprüft.

Ob man nun Demokrat oder Republikaner ist: Das ist gefährlich. Man muss das System, die Art und Weise, wie wir zählen, und die Rechtsstaatlichkeit respektieren. Was Donald Trump getan hat, ist, eine wachsende Zahl von Menschen in seiner eigenen Partei hervorzubringen, die sich weigern, zu akzeptieren, dass es ein Endgültigkeit haben muss, auch wenn sie verlieren - und das ist gefährlich. Es ist buchstäblich eine Bedrohung für das System.

In einer Reihe von Staaten, etwa Arizona, Nevada und Michigan, gibt es republikanische Kandidaten, die das Ergebnis der letzten US-Präsidentschaftwahlen leugnen. Aber wenn das Volk sie wählt, muss man den Willen des Volkes respektieren, wenn sie die Wahl fair und anständig gewinnen. Wir werden uns also in einer spannenden und möglicherweise kontroversen Situation befinden, wenn diese Kandidaten gewinnen und weiterhin ihre Ansichten vertreten. Ich glaube, dass wir in eine sehr schwierige Phase des US-amerikanischen Lebens und der US-amerikanischen Politik eintreten.

Ist es realistisch, dass die Demokraten sowohl die Kontrolle über das Repräsentantenhaus als auch den Senat behalten?

Das ist möglich, aber historisch gesehen haben die beiden letzten Präsidenten, Barack Obama und Trump, der eine ein Demokrat, der andere ein Republikaner, beide das "House" bei ihren ersten Midterms verloren. Die jüngere Geschichte besagt, dass Joe Biden das Repräsentantenhaus verlieren wird. Und da die Dinge im Senat bei der Wahl so eng beieinander liegen, 50:50, wobei der Vizepräsident das Unentschieden ausgleicht, ist es auch gut möglich, dass sie den Senat verlieren. Das ist der Grund, warum es so spannend ist.

John King ist internationaler Chefkorrespondent und Moderator bei CNN. CNN berichtet live über die Kongresswahlen in den USA auf dem TV-Sender CNN International und unter CNN.com/election/2022.

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