Die nationale Sicherheit sei durch Migrantengruppen aus Mittelamerika bedroht, behauptet Donald Trump immer wieder und verschärft seine Rhetorik. Ex-Präsident Barack Obama hält dagegen: Trump bausche ein Scheinthema auf, um abzulenken. "Er hat nur teilweise recht", analysiert Politikwissenschaftler Dr. Martin Thunert.
Bill Clinton hat es getan, Jimmy Carter ebenso: Weiterhin Mitmischen. Beide gehörten nach ihrer Amtszeit zu den aktivsten Ex-Präsidenten.
Denn
Während Donald Trump das Militär wegen des Flüchtlingsmarsches von einigen Tausend Menschen an die Grenze zu Mexiko schickt und seine Rhetorik immer weiter verschärft, hält Obama dagegen:
"Sie erzählen Euch, dass ein Haufen armer Flüchtlinge tausende Meilen entfernt eine existenzielle Bedrohung für Amerika darstellt", warnte der Demokrat bei einer Wahlkampfveranstaltung in Miami.
Trump ziehe eine "politische Show" ab. Es gehe den Republikanern nur darum, mit Panikmache von ihrer eigenen Regierungsbilanz abzulenken. Stimmt das?
Die Vehemenz, mit der sich Obama in den vergangenen Tagen zu Wort meldete, zeigt jedenfalls, dass einiges auf dem Spiel steht. Und tatsächlich: Präsident Donald Trump steht aktuell enorm unter Druck - die Republikaner laufen Gefahr, ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus zu verlieren.
Trump elektrisiert seine Stammwähler
Politikwissenschaftler Dr. Martin Thunert vom Heidelberg Center for American Studies beobachtet den Wahlkampf seit Wochen aufmerksam. Er meint: "Die Bilder von den Menschen-Karawanen kommen Trump mehr als gelegen."
Thunert erinnert: Schon im Wahlkampf um seine Präsidentschaft konnte Trump vor allem mit dieser Agenda punkten. "Kein anderes Thema elektrisiert seine Stammwähler so sehr." Die Einwanderungsdebatte polarisiere und berühre die Menschen emotional. "Wir brauchen eine Mauer aus Menschen!", twittert Trump seinen Anhängern zu.
Bedrohung für nationale Sicherheit
Tag für Tag legt der US-Präsident deshalb nach: Er kündigte weitreichende Änderungen des Staatsbürgerschaftsrechts an und deutete in einer Rede sogar an, US-Soldaten könnten auf gewalttätige Migranten schiessen. Die Menschen stellt er dabei immer wieder als Bedrohung für die nationale Sicherheitslage der USA dar.
Trumps Kalkül hinter dem Spiel mit der Angst: Sich als handlungsfähig und entschlossen zu präsentieren. "Es geht nicht so sehr darum, neue Wähler dazuzugewinnen, sondern vor allem die eigene Basis zu mobilisieren", meint Experte Thunert.
"Er dramatisiert die Ereignisse zu einer Bedrohungslage und sendet das Signal: Ich bin bereit, auch zu unkonventionellen Massnahmen zu greifen, um irreguläre Einwanderung zu verhindern", analysiert der Politikwissenschaftler. "Die Soldaten sollen die Flüchtlinge ausserdem abschrecken." Das Ganze liefere Trump neue Nahrung für seine Forderung nach dem Bau einer Grenzmauer, die vom Kongress finanziert werden soll.
Perfektes Timing
"Er hat den Flüchtlings-Treck natürlich nicht selbst zusammengestellt, das war für ihn nicht planbar. Er kommt ihm aber wie gerufen", urteilt Thunert. Denn: Die Republikaner könnten zwar auch mit der guten Wirtschaftslage punkten, dieses Thema eigne sich aber nicht besonders, um die Wähler auch zur Wahlurne zu bewegen.
"Trump hat enorm Glück, dass er vor den Wahlen nicht zeigen muss, wie er tatsächlich reagiert, wenn die Menschen an der Grenze ankommen", so Experte Thunert weiter. Das Timing sei perfekt.
Die sogenannte Karawane befindet sich nämlich aktuell noch über 1.000 Kilometer von der Grenze entfernt, sodass die Menschen die Grenze nicht mehr vor den Wahlen erreichen werden. Ausserdem gibt es rechtliche Probleme, ob Trump die Soldaten überhaupt so zum Einsatz bringen darf, wie angekündigt.
Minimierung der Verluste
Ist Trumps Strategie erfolgreich? Thunert vermutet, dass es zwar hauptsächlich um die Minimierung der Verluste gehen wird, aber: "Es könnte Leute, die eigentlich zu Hause bleiben würden, weil sie die Kongresswahlen nicht so wichtig finden wie die Präsidentenwahl, tatsächlich an die Wahlurnen treiben."
Thunert gibt zu bedenken, dass die aufgebauschte Panikmache Wähler aber auch verschrecken und eine Gegenmobilisierung von Latino-Wählern für die Demokraten auslösen könnte, sagt aber gleichzeitig: "Viele Wähler lehnen vielleicht die Radikalität und die angekündigten Massnahmen ab, aber die Mehrheit der Amerikaner findet die irreguläre Einwanderung nicht gut."
Schauspielerei und Symbolpolitik
So auch bei den Demokraten: Das Thema Einwanderung spricht Bürger quer durch alle Parteien an.
"Die Demokraten sind sich ein bisschen uneins. Manche setzen sich für legale Einwanderung, aber gegen irreguläre Migration ein - aber es gibt auch aktivistischere Teile, die gegen jegliche Begrenzung sind", so Thunert. Aus den Reihen der Demokraten würde Trump Schauspielerei und Symbolpolitik vorgeworfen.
Sie bezichtigen ihn ausserdem der Lüge: Rechtlich seien seine geforderten Massnahmen nicht durchsetzbar und die Aussage, unter den Flüchtlingen seien auch Terroristen aus dem Nahen Osten, entbehre jeglicher Faktengrundlage.
"Das hat Trump bisher aber auch nicht abgeschreckt. Seine Taktik ist vielmehr, einen Teil der Demokraten dazu zu zwingen, relativ extreme Positionen auf der anderen Seite einzunehmen. Diese sind in der Bevölkerung unter Umständen noch unpopulärer als seine Positionen", beobachtet Thunert.
Obama ist immer noch sehr beliebt
Um die eigene Basis zu mobilisieren, braucht es für die Demokraten mehr, als Vorwürfe in Richtung Trump. Und da kommt Obama ins Spiel: Der Ex-Präsident ist als Figur im Lager der Demokraten immer noch sehr populär. "Durch seine Beliebtheit kann er der Partei bei der Mobilisierung helfen", glaubt auch Experte Thunert.
Bei einem Auftritt in Miami entlarvte er die Strategie der Republikaner: Seiner Meinung nach lenkten sie die Aufmerksamkeit absichtlich auf ein unwichtiges Thema und vernachlässigten Themen wie eine bezahlbare Krankenversicherung oder anständige Löhne für Arbeiter.
Auch persönlich dürfte sich Obama immer wieder von Trump angegriffen fühlen: Schliesslich macht er fortlaufend Teile seiner politischen Arbeit rückgängig.
Argumentation hat Lücken
Bei aller Kritik an Trumps Debattenstil und der Radikalität seiner Forderungen, hält Thunert entgegen: "Die Argumentation Obamas hinkt teilweise. Die Löhne sind seit 2009 nicht mehr so stark gestiegen wie im letzten Jahr, mit der Wirtschaftslage können die Republikaner punkten." Obama irre ausserdem, wenn er behaupte, das Thema Einwanderung sei ein Scheinthema.
"Wenn das Thema Trumps Anhänger nicht aufrütteln würde, würde er es nicht angehen. Beim Klimawandel weiss Trump beispielsweise, dass er damit bei der eigenen Basis derzeit weniger punkten kann", erläutert Thunert.
Junge Wähler sind entscheidend
Es gehe beiden Seiten darum, ihre Basis zu mobilisieren: "Obama weiss, dass für die Demokraten besonders die jungen Minderheiten sehr wichtig sind. Er weist deshalb immer wieder darauf hin, dass es nicht ausreiche, sich nur im Internet in sozialen Netzwerken gegen Trump zu engagieren, aber nicht zur Wahl gehen", so Thunert.
Welche Strategie zur Mobilisierung der eigenen Basis erfolgreicher sein wird - die scharfe Rhetorik oder die Warnung davor - das werden die Wahlergebnisse am Dienstag zeigen.
Verwendete Quellen:
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