Die Demokratische Partei hat in den vergangenen Wochen ihr Gesicht verändert. Neue Leute an der Spitze, neue Wahlkampfnarrative, neue Energie. Eine altbekannte Figur hat dabei eine zentrale Rolle gespielt: Nancy Pelosi.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Lukas Hermsmeier sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die 84-jährige Pelosi ist, seit sie den Fraktionsvorsitz vor zwei Jahren offiziell abgegeben hat, zwar nur noch einfache Kongressabgeordnete. Doch wenn es um die grossen Fragen geht, gibt es weiterhin wenige in der Partei, deren Wort so viel zählt.

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Wie verschiedene Medien berichten, soll Pelosi sowohl Joe Bidens Rückzug als auch Kamala Harris' Entscheidung für Tim Walz als Vizekandidaten mitbewirkt haben. Ohne ihren Einfluss wäre die politische Situation in den USA heute also vielleicht eine komplett andere.

Bewusst Zweifel gestreut

Das Erbeben bei den Demokraten begann Ende Juni, als Bidens im TV-Duell mit Donald Trump seinen desaströsen Auftritt hinlegte. Der US-Präsident verhaspelte sich fast fortlaufend, starrte immer wieder ins Leere. Es war schmerzhaft mitanzusehen, wie wenig der 81-Jährige auf der Höhe ist. Mit Blick auf die schlechten Umfragewerte brach innerhalb des Parteiapparats plötzlich Panik aus.

Am 8. Juli veröffentlichte Biden einen Brief an den Kongress, in dem er die Kritik an seiner Person abwehrte und seine Kandidatur bestätigte. Zwei Tage später, am 10. Juli, war Pelosi dann zu Gast in der TV-Sendung "Morning Joe" (MSNBC), die nicht nur reichweitenstark ist, sondern von der man auch weiss, dass Biden sie fast jeden Tag schaut.

Pelosi zeigte sich in dem Gespräch geschockt über Bidens Performance und machte klar, dass sie den Präsidenten noch nie in einer solchen Verfassung gesehen habe. Obwohl Biden gerade erst betont hatte, an seiner Kandidatur festhalten zu wollen, streute Pelosi bewusst Zweifel: "Es liegt in seiner Hand, ob er antritt."

Für Tim Walz geworben

Gegenüber dem Magazin "The New Yorker" sagte Pelosi nun, dass sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr daran geglaubt hatte, dass Biden die Wahl im November für sich entscheiden kann. "Sie haben das Weisse Haus schon einmal gewonnen, bravo. Aber meine Sorge war: Dieses Mal läuft es nicht."

Also fasste Pelosi einen Plan: Biden sollte den NATO-Gipfel in Washington, D.C. vom 9. bis 11. Juli noch über die Bühne bringen – danach aber seine Kandidatur zurückziehen. Andere hochranginge Demokraten schlossen sich Pelosis Vorhaben an. Hinter den Kulissen wurde daraufhin gearbeitet.

Der Druck auf Biden zeigte am Ende Wirkung: Er zog seine Kandidatur am 21. Juli zurück. Nur wenige Stunden später gab Vizepräsidentin Kamala Harris bekannt, dass sie antreten werde – vom Establishment der Demokraten, und natürlich auch Pelosi, sofort unterstützt. Jetzt blieb die grosse Frage, wen Harris als ihren Vizekandidaten bestimmen würde. In der engeren Auswahl waren Josh Shapiro (Gouverneur von Pennsylvania), Mark Kelly (Senator von Arizona) und Tim Walz (Gouverneur von Minnesota).

Zwar gab Pelosi keine offizielle Empfehlung ab, dennoch machte sie über verschiedene Kanäle klar, wen sie favorisiert: Tim Walz aus Minnesota, mit dem sie von 2006 bis 2019 im Repräsentantenhaus gesessen und nach eigenen Angaben sehr produktiv zusammengearbeitet hatte. Mit anderen Worten: Sie wollte jemanden aus dem eigenen Lager. Und setzte das hinter den Kulissen auch durch.

"Die Kunst der Macht"

Als Harris Anfang dieser Woche ihre Entscheidung für Walz als ihren Stellvertreter bekannt gab, dauerte es nicht lange, bis Pelosi wieder in der Sendung "Morning Joe" zu sehen war. Sie lobte Harris' Entscheidung und beschrieb Walz als "heartland-of-America Democrat", als einen Vertreter aus dem Herzen Amerikas also. Pelosi hatte erneut bekommen, was sie wollte.

"The Art of Power" heisst passenderweise das Buch, das Pelosi gerade frisch veröffentlicht hat: "Die Kunst der Macht". Pelosi schildert darin auf 352 Seiten, wie sie sich bei den Demokraten in den vergangenen Jahrzehnten durchgesetzt hat – bis zur Spitze.

Pelosi zog 1987 für den Bundesstaat Kalifornien ins US-Repräsentenhaus ein. 2003 wurde sie zur Fraktionschefin der Demokraten gewählt – als erste Frau überhaupt, die eine der zwei grossen Parteien leitete. Nachdem die Demokraten in den Midterm-Wahlen 2006 die Mehrheit im Abgeordnetenhaus gewannen, stieg Pelosi zur Sprecherin des gesamten Parlaments auf – wieder als erste Frau in der Geschichte der USA.

Das Magazin Bloomberg bezeichnete Pelosi kürzlich als "queen mother of the Democratic Party”. Sie hat sich in den 37 Jahren im Kongress tatsächlich ein beispielloses Netzwerk aufgebaut.

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Visionär war Pelosi nie

Pelosis politische Bilanz ist jedoch ambivalent. Einerseits brachte sie wichtige Sozialreformen mit auf den Weg, etwa den Affordable Care Act (bekannt als Obamacare). Man kann ihr auch zu Gute halten, dass sie 2002 gegen den Irak-Krieg stimmte, den der damalige Präsident George W. Bush mit Lügen zu rechtfertigen versuchte. Als es um ein Amtsenthebungsverfahren gegen Bush ging, hielt sich Pelosi allerdings zurück.

Sie hat immer versucht, die Partei in der Mitte zu halten, dabei oft auch progressive Bewegungen, Kandidaten und Reformvorhaben geblockt. Die linke Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez etwa sah sich von Pelosi regelrecht schikaniert, wie sie in einem 2023 veröffentlichten Buch schildert. Programmatisch visionär war Pelosi jedenfalls nie.

Dass sich grosse Teile der Arbeiterklasse in den vergangenen Jahrzehnten von den Demokraten verabschiedet haben, hat viel mit Pelosis zentristischem Kurs zu tun. Sie war eng verbandelt mit den grossen Firmen der Wall Street, wirkte aufs Volk oft elitär, abgehoben und entrückt.

Bemerkenswert ist, dass Pelosi, die im November erneut für den Kongress antritt, im Interview mit dem "New Yorker" auch eine sehr grundsätzliche Kritik an Biden formuliert hat: "Ich war noch nie besonders überzeugt von seiner politischen Operation", sagte sie. Man kann davon ausgehen, dass diese Aussage kein Ausrutscher war. Pelosi weiss genau, was sie sagt - und was sie will.

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