Der seit Montag laufende Parteitag der US-Demokraten in Chicago ist eine bombastische Show. Stars wie Barack Obama und Oprah Winfrey peitschen die Menge ein. Doch ein dringendes Thema wird dabei kleingehalten.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Lukas Hermsmeier sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Als Lil Jon das Mikrofon übernimmt, hält es im United Center in Chicago kaum noch jemanden auf dem Sitz. Der Rapper – blondierte Dreadlocks, blauer Anzug, schwarze Sonnenbrille – läuft mit einem dröhnenden "Yeaaaaah" die Tribünentreppe herunter, dann setzt sein Hit "Turn Down for What" ein. 60 Sekunden grelle Show. Nicht die erste an diesem Abend, und nicht die letzte.

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Seit Montag läuft der Parteitag der Demokraten. Was hier im Grossen und Ganzen passieren würde, war schon im Vorhinein klar: die Krönung von Kamala Harris als Präsidentschaftskandidatin. Am Dienstag gaben die Delegierten der einzelnen Bundesstaaten nach und nach ihre Entscheidung für Harris bekannt, kombiniert mit kleinen Einlagen. Keinem anderen Bundesstaat gelang es allerdings so sehr, die Zuschauer mitzureissen, wie Georgia mit dem Auftritt von Lil Jon.

Rapper Lil Jon (r.) performt, während die Delegierten aus Georgia ihre Entscheidung für Harris bekanntgeben. © Getty Images/Chip Somodevilla

Die Demokratische Partei strotzt in diesen Tagen geradezu vor Selbstbewusstsein. Seit Joe Biden am 21. Juli seine Kandidatur zurückgezogen und Harris dafür übernommen hat, scheint alles für sie zu laufen. Ausverkaufte Veranstaltungen. Explodierende Spendeneinnahmen. Positive Umfragen. Dementsprechend euphorisch ist in diesen Tagen auch die Stimmung in der Halle in Chicago.

Tränen und Blind Dates

Am Montag durfte sich Biden noch einmal feiern lassen. Er betrat mit Tränen in den Augen die Bühne, nachdem seine Tochter Ashley ihn in einer emotionalen Ansprache angekündigt hatte. Biden lobte in seiner Rede vor allem sich selbst und seine politischen Leistungen, ehe er am Ende sagte: "Ich habe viele Fehler in meiner Karriere gemacht, aber ich habe in 50 Jahren stets mein Bestes gegeben." Bei allem Jubel für ihn dürfte jeder in dieser Partei erleichtert sein, dass die Ära Biden nun zu Ende geht.

Am Dienstag sorgte der Ehemann von Harris, der Anwalt Doug Emhoff, für Lacher, als er erzählte, wie sich die beiden im Jahr 2013 kennengelernt hatten. Nachdem ein Mandant von ihm den Kontakt hergestellt hatte, habe er Harris eine etwas umständliche Sprachnachricht auf dem Telefon hinterlassen, wie Emhoff erzählte – und zwar um 8.30 Uhr morgens. Diese Nachricht spiele Harris ihm zu jedem Hochzeitstag vor.

Barack Obama skandiert: "Yes, she can!"

Teils humorvoll, teils sehr ernst waren die Reden der Obamas. Während die ehemalige First Lady Michelle Obama unter anderem den Rassismus von Donald Trump aufspiesste, stellte Ex-Präsident Barack Obama dessen wehleidigen Egozentrismus aus. "Wir haben es mit einem 78-jährigen Milliardär zu tun, der nicht aufhört, über seine eigenen Probleme rumzuheulen", rief er.

Sowohl Barack als auch Michelle Obama wurden in Chicago, wo die beiden lange zusammen lebten, wie Popstars gefeiert. Beide sprachen mit Charme und Pathos von der neuen Hoffnung, die durch Harris entstanden sei. "Yes, she can!" (zu Deutsch in etwa: "Ja, sie schafft das!") hallte es durch den Saal. Mit dem Spruch "Yes, we can!" hatte Obama 2008 erfolgreich Wahlkampf gemacht.

Proteste gegen den Krieg in Gaza

Auf den ersten Blick ist es ein Parteitag der Einheit. Doch an der demokratischen Basis ist längst nicht alles harmonisch. Das liegt vor allem am verheerenden Krieg in Gaza. Auf den Strassen von Chicago fanden in den vergangenen Tagen mehrere Protestmärsche mit Tausenden Menschen statt, bei denen gefordert wurde, dass die US-Regierung ihre Waffenlieferungen an Israel stoppt.

Sowohl die New Yorker Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez als auch US-Senator Bernie Sanders aus Vermont sprachen den Krieg in ihren Reden an. Abgesehen davon versuchten die Parteifunktionäre allerdings, das Thema kleinzuhalten. Als eine Gruppe von Mitgliedern ein Plakat mit der Aufschrift "Stop arming Israel" ("Stoppt die Bewaffnung Israels") hochhielt, griff die Security sofort ein. In den ersten drei Tagen des Parteitags kam keine einzige palästinensische Person zu Wort.

Von MAGA zu Harris

Bemerkenswert waren die vielen Wortmeldungen ehemaliger Wähler der Republikanischen Partei, die angaben, von Trump abgeschreckt zu sein und in diesem Jahr Harris zu wählen. Ein Mann namens Rich Logis erzählte, dass er bis vor zwei Jahren leidenschaftlicher Trump-Anhänger gewesen sei, dann aber die Echokammer von "Make America Great Again" (MAGA) verlassen habe. Der republikanische Bürgermeister der Stadt Mesa in Arizona, John Giles, sagte, dass er sich mittlerweile mehr bei den Demokraten zu Hause fühle als bei seiner Heimatpartei. "Die Grand Old Party ist von Extremisten entführt worden und hat sich in eine Sekte verwandelt", so Giles.

Rührend wurde es am Mittwoch, als Harris' Running Mate Tim Walz die allerletzte Rede des Tages hielt und dabei seiner Familie dankte. Walz sprach darüber, dass er und seine Frau Gwen jahrelang vergeblich versucht hatten, ein Kind zu bekommen, ehe es über In-vitro-Fertilisation klappte und ihre Tochter Hope zur Welt kam.

Während Walz am Ende sagte, dass seine Familie für ihn die Welt sei, formte Hope im Publikum ein Herz mit ihren Händen. Daneben sass Walz' 17-jähriger Son Gus, der weinend rief: "Das ist mein Vater!"

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