Auch Politiker aus den eigenen Reihen kritisieren Donald Trump wegen seiner Betrugsvorwürfe bei der US-Präsidentschaftswahl scharf. Könnte seine Partei ihn nun fallen lassen?
Trump spricht vom grossen Wahlbetrug, legt aber keine Beweise vor. Sein Verhalten geht auch manchen Parteifreunden zu weit. Mitch McConnell, republikanischer Mehrheitsführer im Senat, etwa kritisierte den Präsidenten: "Zu behaupten, die Wahl gewonnen zu haben, ist etwas anderes, als die Auszählung zu beenden."
Senator Marco Rubio aus Florida twitterte: "Dass es Tage dauert, legal abgegebene Stimmen zu zählen, ist KEIN Betrug." Gleichzeitig sei es aber auch KEINE Unterdrückung, Stimmen gerichtlich anzufechten, die nach der gesetzlichen Frist eingegangen sind.
Auch der republikanische Kongressabgeordnete Adam Kinzinger richtete sich per Twitter an
Für Larry Hogan, Gouverneur von Maryland, gibt es indes "keine Rechtfertigung für die Kommentare des Präsidenten, die unseren demokratischen Prozess untergraben". "Wir müssen die Ergebnisse respektieren, wie wir es immer getan haben. Keine Wahl oder Person ist wichtiger als unsere Demokratie."
Experte: "Immer noch überraschend stark"
Haben die Republikaner zu lange an Trump festgehalten – und bereuen sie das nun? "Er hat zwar bei seinem Vorgehen gegen die Auszählungen nur wenige Unterstützer – auch in den eigenen Reihen", sagt Philipp Adorf vom Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn. "Aber er ist immer noch überraschend stark. Man wird sich sagen, dass es richtig war, ihn beim Impeachment-Verfahren Anfang des Jahres nicht fallen gelassen zu haben." Das hätte zu Grabenkämpfen geführt, die der Partei vor der Wahl ganz sicher nicht gutgetan haben.
Die eher moderaten Mainstream-Republikaner im Senat werden mit dem Ausgang der Wahl relativ zufrieden sein, glaubt Adorf: Sollten die Republikaner die Mehrheit im Senat behalten, wären sie Trump los, aber Biden würde seine Agenda nicht umsetzen können, weil ihm die Mehrheit dafür fehlt.
Trump hat die Partei verändert
Trump hat die Partei ein Stück weit transformiert, erklärt der Politikwissenschaftler: zu einer populistischeren Partei, die eher eine Partei der Arbeiterklasse geworden ist. Ob die Republikaner 2024 ohne Trump besser dagestanden hätten, sei schwer zu sagen. Und ob er der Partei schweren Schaden zugefügt hat? "Um diese Frage seriös zu beantworten, müssen wir das nächste Jahrzehnt abwarten."
Adorf weist indes auf Entwicklungen hin, die Trump angestossen hat und die den Republikanern langfristig zugutekommen könnten: etwa, dass ihn diesmal mehr Latinos und Schwarze gewählt haben als vor vier Jahren. Unter den hispanischen Wählern konnte Trump vier Prozentpunkte zulegen. "Die Frage ist, ob die Republikaner aus Trumps Politik die richtigen Schlüsse ziehen, um diese Wählerschaft weiter zu bedienen." Ihr Anteil an der Bevölkerung nehme zu.
Ganz andere politische Kultur als hierzulande
Auch wenn sich nun viele Republikaner zurückhalten und seine Betrugsvorwürfe nicht lauthals unterstützen: Sein Verhalten kommt nicht überraschend, schon vor der Wahl hatte Trump immer wieder die Rechtmässigkeit der Briefwahl angezweifelt.
In vier Jahren Amtszeit hat er unzählige Lügen verbreitet und Skandale angezettelt – trotzdem haben ihn 2020 mehr als 70 Millionen US-Amerikaner gewählt. "In Deutschland unterschätzt man, wie tief die gesellschaftlichen Gräben in den Vereinigten Staaten sind", sagt Adorf.
Trump schlage zwar oft über die Stränge und seine Rhetorik oder seine Tweets seien nicht unter allen Republikanern beliebt. "Aber politische Repräsentanten, die sich standfest und kompromisslos präsentieren, sind in den USA populär – weil der politische Gegner dort als jemand wahrgenommen wird, mit dem man keine Kompromisse eingehen kann."
Gewiefter Nachfolger als grössere Gefahr für die Demokratie
"Donald Trump kam nicht aus dem Nichts", gibt Philipp Adorf zu bedenken. Seine Ideologie, den Populismus, die Xenophobie, den Nationalismus – das alles gab es schon vorher und es sei tief verwurzelt. "Nur deswegen ist er auch gewählt worden." Diese Ideologie werde auch dann mächtig bleiben, wenn Trump abgewählt wird.
"Ich glaube, in vier Jahren wird es republikanische Kandidaten geben, die seine Errungenschaften anpreisen und fortführen", sagt der Experte. "Ein Präsident mit Trump-ähnlicher Ideologie, aber mehr politischem Interesse und Fingerspitzengefühl könnte der Demokratie weit mehr Schaden zufügen", glaubt der Politikwissenschaftler. Trump habe nie ernsthaft versucht, den Staat umzubauen – ein Republikaner, der gewiefter und schlauer agiere, könnte einen autokratischen Umbau ernsthaft vorantreiben.
"Bleibt heimlicher Parteivorsitzender"
Auch Thomas Jäger, Professor für Internationale Politik und Aussenpolitik an der Universität Köln, glaubt nicht, dass die Republikaner Trump nun fallen lassen: Wie viele von ihnen nach wie vor hinter dem amtierenden Präsidenten stünden, zeige das beachtliche Wahlergebnis, das er geholt hat, "obwohl die Wirtschaft vor grossen Problemen steht und er das Management der Pandemie völlig vergeigt hat".
Trump bleibe auch nach der Abwahl erst einmal der heimliche Parteivorsitzende, sagt Jäger. "Er wird weiter die Themen bestimmen und die öffentliche Meinung heftig beeinflussen." Und das alles nicht, obwohl er lüge – sondern weil er seine eigene Welt vermittele.
Die Parteifreunde wissen, dass Trump keine Beweise für seine Vorwürfe hat und dass es diesen Wahlbetrug nicht gibt. "Deswegen gehen einige von ihnen nun etwas auf Distanz. Trotzdem bleibt er eine grosse Kraft in der Partei. Und wer immer sich jetzt als nächster Anführer profilieren will, wird es nicht gegen ihn schaffen. Er oder sie muss ihn mitnehmen und überwinden."
Tochter Ivanka als Kandidatin 2024?
Eigentlich war es Usus, dass sich die Präsidenten der Vereinigten Staaten nicht mehr zur Politik äussern, wenn sie aus dem Amt ausgeschieden sind. Obama sei der erste gewesen, der dieses ungeschriebene Gesetz gebrochen habe, erinnert Jäger.
Er ist sich sicher: "Donald Trump wird sich in Zukunft ganz bestimmt nicht zurückhalten." Der USA-Experte hält es nicht für ausgeschlossen, dass Trump seine Tochter Invanka als Präsidentschaftskandidatin für 2024 in Stellung bringt. "Er denkt zwar vor allem an sich. Aber er hat auch die Vorstellung, dass die Trumps die Kennedys des 21. Jahrhunderts werden."
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Philipp Adorf
- Gespräch mit Thomas Jäger
- Marco Rubio auf Twitter
- Adam Kinzinger auf Twitter
- Larry Hogan auf Twitter
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.