Wer als US-Präsident ins Weisse Haus einzieht, muss sich vorbereiten. Erst recht während einer Pandemie. Doch der abgewählte Amtsinhaber stellt sich quer - mit womöglich drastischen Folgen für seinen Nachfolger Joe Biden.
Die Regierung des amtierenden US-Präsidenten
Die meisten Experten sind sich einig: Für Biden und seine Mannschaft zählt eigentlich jeder Tag.
Die geordnete Übergabe der Amtsgeschäfte ("transition") nach einer Präsidentenwahl ist seit fast 60 Jahren im Gesetz verankert. Damit wollte der Kongress sicherstellen, dass sich Amerikaner immer darauf verlassen können, eine funktionierende Regierung zu haben.
"Jegliche durch die Übergabe der Regierungsgeschäfte verursachte Unterbrechung könnte Ergebnisse zur Folge haben, die für die Sicherheit und das Wohlbefinden der Vereinigten Staaten und der Bürger schädlich sind", hiess es 1963 zur Begründung des Gesetzes.
Wieso ist die "transition" so wichtig?
Der US-Präsident ist der mächtigste Mensch der westlichen Welt. Er muss vom ersten Tag an voll einsatzbereit sein: Er wird Oberbefehlshaber der Streitkräfte sein, die Verantwortung für gut 1,3 Millionen Soldaten haben und über die Codes verfügen, um im Notfall den Einsatz von Atomwaffen zu genehmigen.
Er und seine Regierung werden für einen Haushalt in Höhe von fast fünf Billionen US-Dollar (4,2 Billionen Euro) verantwortlich sein. Auch die Pandemie und die Wirtschaftskrise werden dem Präsidenten kaum Zeit zur Einarbeitung lassen.
Neu gewählte Präsidenten nutzen die zweieinhalb Monate zwischen der Abstimmung und der Amtseinführung mit Nachdruck, um ihre Regierungsmannschaft zusammenzustellen. Dabei geht es nicht nur um das Kabinett, Staatssekretäre und Behördenleiter. Anders als hierzulande muss der Präsident auch Tausende Stellen im Weissen Haus, in Ministerien und in Behörden schnell neu besetzen.
Rund 1.200 der Personalien müssen dabei noch vom Senat abgesegnet werden. Ein gewählter Präsident muss daher so früh wie möglich mit der Personalplanung beginnen, um seine Politik umsetzen zu können.
Wieso ist das unter Trump nun ein Problem?
Das Gesetz zur Übergabe der Amtsgeschäfte räumt der wenig bekannten Behörde GSA ("General Services Administration"), die der Regierung als Dienstleister in Sachen Immobilien und Ausrüstung dient, eine wichtige Rolle ein.
Die von Trump ernannte Leiterin der Behörde, Emily Murphy, muss nach der Wahl die Feststellung treffen, wer die "offensichtlich erfolgreichen Kandidaten" für das Präsidenten- und das Vize-Amt sind.
Erst mit ihrem Schreiben, das normalerweise als Formalie angesehen wird, kann die Amtsübergabe formell eingeleitet werden. Murphy weigert sich aber, Biden und seine Vizepräsidentin
Wieso blockiert die Behördenleiterin?
Murphy folgt Trumps Argumentation, dass die Wahl angesichts von Betrugsvorwürfen und laufenden Klagen noch nicht final entschieden sei. Damit könnte sie Biden und Harris theoretisch noch wochenlang hinhalten.
Beglaubigte Endergebnisse der Wahl aus allen Bundesstaaten wird es erst zum 8. Dezember geben, knapp eine Woche bevor die Wahlleute ihre Stimmen für den nächsten Präsidenten abgeben. Das Ergebnis der Abstimmung wird erst am 6. Januar im Kongress bekannt gegeben - erst dann herrscht absolute Rechtssicherheit.
Wer ist die Frau, die Biden den Zugang zum Weissen Haus verweigert?
Murphy war 2017 als Leiterin der Behörde einstimmig vom Senat bestätigt worden. Trump hatte sie zuvor nominiert. Sie ist verantwortlich für mehr als 11.000 Mitarbeiter.
2018 wurde bekannt, dass Murphy über die Pläne, den FBI-Hauptsitz zu verlegen, getäuscht habe. Ihre Aussage sei laut des GSA-Generalinspekteurs unvollständig gewesen. Demnach habe Trump die Pläne verhindert, damit das leerstehende Gebäude nicht zu einem potenziellen Hotel werden und so mit seinem konkurrieren könnte.
Hat es so etwas schon einmal gegeben?
Im Jahr 2000 weigerte sich der Leiter der relativ unpolitischen Dienstleistungsbehörde GSA zum ersten Mal, festzustellen, wer die Wahl "offensichtlich" gewonnen hatte. Damals hing das Rennen zwischen George W. Bush und
Es kam zu Klagen und teils auch Neuauszählungen. Ganz Amerika hielt damals den Atem an, weil nicht klar war, wer der nächste Präsident sein würde - bis Gore nach einer Entscheidung des Obersten Gerichts seine Niederlage einräumte. In den übrigen Jahren wurde das GSA-Schreiben meist unmittelbar nach der Wahl ausgestellt.
Was genau entgeht Biden ohne die formelle Übergabe?
Mit dem GSA-Schreiben bekäme Biden Millionen Dollar für Gehälter und andere Ausgaben sowie Büroräume und E-Mail-Adressen der Regierung zur Verfügung gestellt. Noch viel wichtiger dürfte aber sein, dass seine Teams damit ganz offiziell Zugang zu allen Regierungsstellen bekämen.
Hunderte von Bidens Mitarbeitern sollen in die Ministerien und Behörden entsandt werden, um dort alle wichtigen Informationen zu sammeln und die Übergabe einzuleiten. Allein für das Verteidigungsministerium hat Biden zum Beispiel 23 Mitarbeiter seines Übergangsteams benannt.
Alle Behörden haben dem Gesetz folgend zudem bereits Dokumente für die Übergabe vorbereitet, die teils Hunderte Seiten lang sind. Ohne das GSA-Schreiben kann Bidens Team aber kaum wissen, welche Regierungsstelle gerade was macht.
Auch die vertraulichen Lageberichte der Regierung zum Stand der Corona-Pandemie wird Bidens Team daher zunächst nicht bekommen. Zudem müssen die wichtigsten Mitarbeiter des neuen Präsidenten schon in der Übergangsphase die - teils aufwendigen - Überprüfungen durchlaufen, um die Erlaubnis zur Einsicht geheimer Informationen ("security clearance") zu bekommen.
Zur Übergabe gehören normalerweise auch zahlreiche Gespräche auf höchster Ebene sowie das Besprechen wichtiger geheimer Informationen, wie das überparteiliche Zentrum für die Amtsübergabe des Präsidenten erläutert. 2016 etwa spielten Mitarbeiter des Nationalen Sicherheitsrats (NSC) demnach für ihre Nachfolger der Trump-Regierung auch Katastrophenszenarien durch - eines davon war eine in Asien beginnende Pandemie.
Zudem bekommt der gewählte Präsident für gewöhnlich bereits das tägliche Briefing des Geheimdienstes, das auch der Amtsinhaber bekommt. Frühere Präsidenten hätten dies "im Interesse der nationalen Sicherheit" veranlasst, erklärt das Zentrum.
Bidens Personenschutz durch den Secret Service wurde nach dem Wahlsieg aber schon verstärkt. Auch wurde eine Flugverbotszone rund um sein Wohnhaus im Bundesstaat Delaware ausgeweitet und verlängert.
Andere Dinge, die bislang als selbstverständlich galten, wie die Hilfe des Aussenministeriums bei der Organisation von Gesprächen mit Staats- und Regierungschefs, wurde ihm von Trumps Regierung verwehrt, wie die "New York Times" berichtete.
Wie schwierig wird es ohne ordentliche Übergabe?
Demokraten und auch einzelne Republikaner haben die Weigerung Murphys verurteilt, zumal die Zeit für die komplexe Übergabe selbst im besten Fall knapp bemessen ist.
Biden hält sich bislang bedeckt und betont, er werde den Präsidenten in jedem Fall am 20. Januar ablösen. "Ehrlich gesagt, wir sehen nichts, was uns dabei ausbremst", sagte er am Dienstag. Er sehe trotz der Weigerung Murphys keinen Bedarf für rechtliche Schritte.
Sein Team fordert die Behördenchefin aber gleichzeitig mit Nachdruck auf, das nötige Schreiben auszustellen.
Der Demokrat David Axelrod, der 2008 an der Übergabe an Barack Obama beteiligt war, nannte die Blockadehaltung "umstürzlerisch" und gefährlich für die Sicherheit des Landes. Trumps früherer Nationaler Sicherheitsberater John Bolton sagte, ein "vernünftiger" Präsident müsse die Amtsübergabe einleiten, selbst wenn es noch Streit um das endgültige Wahlergebnis gebe.
"Einer von beiden wird Präsident sein. Wir müssen sicherstellen, dass beide bei Angelegenheiten der nationalen Sicherheit absolut, und ehrlich gesagt auch bei der Coronavirus-Pandemie, vorbereitet sind", sagte der Republikaner am Dienstag im Sender CNN.
Eine Kommissarin der Wahlkommission des Bundes (FEC), Ellen Weintraub, verurteilte Murphys Blockadehaltung am Dienstag. Angesichts der Pandemie müsse die Regierung Bidens "vom ersten Tag an voll einsatzbereit sein wie wenige vor ihr", schrieb die Demokratin an Murphy.
Die Sachlage im Hinblick auf die Wahlergebnisse sei die gleiche wie 2016, als das Schreiben für Trump rasch ausgestellt wurde. Der einzige Unterschied sei die "in der amerikanischen Geschichte beispiellose" Weigerung Trumps, seine Niederlage einzugestehen. Dies habe aber keine rechtliche Wirkung. "Jeder Tag, jede Stunde" Verzögerung mindere die Erfolgschancen Bidens.
Wie kann das sein: dass nicht sicher ist, wer gewonnen hat?
Es gibt in den USA auf Bundesebene kein Wahlamt und keinen Bundeswahlleiter, der zeitnah die Ergebnisse sammeln und verbindlich verkünden würde. Daher fällt führenden US-Medien die Rolle zu, den Wahlsieger aufgrund erster Ergebnisse und eigener Berechnungen zu verkünden.
Die Nachrichtenagentur Associated Press (AP) etwa hat nach eigenen Angaben seit 1848 bei den Präsidentenwahlen den Gewinner vermeldet. Das etablierte System funktioniert. Die Medien erklärten am Samstag Biden zum Sieger. Trump weigert sich aber, seine Niederlage einzugestehen und setzt nun auf den Rechtsweg. (Jürgen Bätz/dpa/ank/msc)
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