Der US-Wahlkampf erreicht sein dramatisches Finale. Donald Trump entsetzt die Öffentlichkeit mit seinem Verhalten im TV-Duell und als Corona-Infizierter. Die Umfragewerte wackeln. Doch auch Joe Biden hat ein Problem.

Dr. Wolfram Weimer
Eine Kolumne
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Es läuft eigentlich gut für Joe Biden. In den vergangenen zwei Wochen hat er in Umfragen gegenüber Donald Trump klar zugelegt. Der Vorsprung im Durchschnittswert aller Umfragen ist von 6,1 Prozentpunkten am 29. September nunmehr auf 9,8 Prozentpunkte gestiegen.

Donald Trumps unflätige Ausfälle im TV-Duell haben ihm ebenso geschadet wie sein verantwortungsloser Umgang mit der Corona-Ansteckung, inklusive Wahlkampfspazierfahrt vor dem Krankenhaus. Bei den Wettanbietern hat sich der Vorsprung Bidens binnen zwei Wochen sogar verfünffacht.

Joe Biden verbucht strategische Erfolge

Biden kann zudem wichtige strategische Erfolge verbuchen. Er hat die überwältigende Mehrzahl der amerikanischen Medien hinter sich, das intellektuelle Amerika sowieso und jetzt auch die Wall Street. Die Finanzindustrie hat Trump bislang nur 10,5 Millionen Dollar gespendet, für Biden aber fast fünfmal so viel, nämlich 51,1 Millionen Dollar. Selbst die Grossbanken Goldman Sachs, JP Morgan, Wells Fargo oder Morgan Stanley, die von Bidens Steuerplänen Nachteile fürchten müssen, haben sich über klare Spendensignale auf seine Seite geschlagen.

Und auch die Katholiken der USA, die bei den vergangenen Wahlen immer ein wichtiger Stimmungsindikator waren, neigen diesmal dem demokratischen Herausforderer zu. Unter den (mehrheitlich katholischen) Hispanics wollen fast zwei Drittel Biden wählen. Die Katholiken gelten als besonders wichtig, weil sie inzwischen die grösste Glaubensgemeinschaft der USA geworden sind. Und Biden ist selber Katholik - er könnte nach John F. Kennedy der zweite katholische Präsident der USA werden.

Gleichwohl kommt im Biden-Lager noch keine Siegeszuversicht auf, nicht nur weil man Trump noch allerlei Überraschungen zutraut. Es gibt auch eine Achillesferse des eigenen Kandidaten: sein altersbedingter Geisteszustand. Biden wird kommenden Monat 78 Jahre alt und zeigt im Wahlkampf immer wieder mentale Schwächen. Verbale Aussetzer, Desorientierungen, Versprecher oder irrlichternde Verwechslungen: Biden gibt bei öffentlichen Auftritten zuweilen das Bild eines tattrigen Alten ab.

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Donald Trump lanciert Anti-Biden Kampagnen

Die Trump-Kampagne versucht genau deswegen seit Monaten ihn als unzurechnungsfähig darzustellen. Die permanenten Attacken beim TV-Duell sollten gezielt dazu dienen, Bidens Konzentrationsschwäche blosszustellen und ihn von der Rolle zu bringen. Die Trump-Kampagne hat gleich mehrere Videos produziert, die den vermeintlich dementen Biden verunglimpfen.

Auf die Frage, was Bidens grösste Stärke sei, lässt Trump verbreiten: "Nun ja, ich hätte Erfahrung gesagt, aber er hat nicht wirklich Erfahrung, weil ich nicht glaube, dass er sich daran erinnert, was er gestern getan hat." Laut Trump sei Biden mental schlichtweg nicht mehr in der Lage, Präsident der USA zu sein. Immer wieder verspottet er seinen Gegner im Kampf um das höchste Amt als "Sleepy Joe". Und Rudy Giuliani, der ehemalige Bürgermeister von New York und Trump-Vertraute, erklärt im US-Fernsehen: "Biden hat Demenz. Darüber gibt es gar keinen Zweifel."

Donald Trump, US-Präsident, Weisses Haus, Rede, Washington, USA

Zweite TV-Debatte zwischen Donald Trump und Joe Biden findet nicht statt

Die für den 15. Oktober angesetzte, zweite TV-Debatte zwischen Amtsinhaber Donald Trump und Herausforderer Joe Biden findet nicht statt. Der angeblich von seiner Corona-Infektion genesene US-Präsident zeigt sich aber etwa 2.000 geladenen Gästen vom Balkon des Weissen Hauses.

Google-Suchanfragen zu Bidens etwaiger Demenz erreichen mit jedem Verhaspler und Stotterer regelmässig hohe Werte. Tatsächlich kennt die amerikanische Öffentlichkeit Joe Biden aus der Vergangenheit als schlagfertigen, brillanten Redner und viele - auch ihm Wohlgesonnene - registrieren einen gewissen geistigen Verfall.

"HidinBiden" funktioniert nicht mehr im Wahlkampf

Das Biden-Lager nimmt das Problem sehr ernst. Die Wahlkampfmanager sind sich freilich unsicher, wie man am besten mit dem wachsenden Besorgnissen umgeht. Lange galt die Hauptverteidigungslinie Ignorieren, Verschweigen und den Wahltag erreichen. Dieser Strategie half der Corona-Lockdown und das wochenlange Abtauchen Bidens. So konnte er heikle öffentliche Fehltritte vermeiden. Doch nun in der heissen Phase des Wahlkampfs muss der Kandidat sich zeigen und "HidinBiden" (Biden verstecken) funktioniert nicht mehr.

Und so reagiert Biden nun mit wechselnder Attitüde. Einmal wehrt er das heikle Thema offensiv ab und fragt in Fernsehen "Warum zur Hölle soll ich einen Demenztest machen?", da könne man ja auch Moderatoren nach einem Drogentest fragen. Ein anderes Mal versucht er es mit Humor und bezeichnet sich selbst als "Fettnäpfchen-Maschine", was selbstkritisch souverän wirken soll, aber das Thema eher noch vertieft. Auch mit Konter-Videos zur Geistesverfassung Trumps versucht es die Biden-Kampagne.

In der Schlussphase des Wahlkampfs aber hat sich die Stimmung so sehr zu Bidens Gunst gedreht, dass seine Schwächen von den allermeisten am liebsten ganz übersehen werden. Es bahnt sich nämlich an, dass die US-Wahl weniger davon geprägt ist, einen neuen Präsident unbedingt haben zu wollen als einen Unmöglichen unbedingt loszuwerden.

Die Präsidentschaftswahl 2020 entwickelt sich zusehends zu einer Abwahl. Donald Trump wird gegen den altersschwächelnden Biden wohl verlieren.

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