Wer die meisten Stimmen bekommt, wird Präsidentin oder Präsident der Vereinigten Staaten? Ganz so einfach ist es nicht. Die Präsidentschaftswahl in den USA folgt besonderen Regeln. Wir erklären sie.

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Bei Wahlen entscheidet in der Regel die Mehrheit: Wer die meisten Stimmen bekommt, ist der Gewinner. Doch bei den Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten ist die Sache ein bisschen komplizierter. Fünfmal ist es in der US-Geschichte bisher vorgekommen, dass der Kandidat mit den bundesweit meisten Stimmen es nicht ins Weisse Haus schaffte.

Grund ist das besondere Wahlsystem in den USA: Die Gründungsväter haben es sich Ende des 18. Jahrhunderts ausgedacht – und auch bei der diesjährigen US-Präsidentschaftswahl am 5. November kommt es zum Einsatz. Wir schauen es uns hier ein bisschen genauer an.

Wahlmänner und -frauen bestimmen den US-Präsidenten

Das Staatsoberhaupt der USA und sein Vize werden nicht von den Amerikanerinnen und Amerikanern direkt gewählt, sondern vom sogenannten Electoral College, dem Gremium der Wahlleute. Sie treffen sich Mitte Dezember in ihrem Bundesstaat, geben ihre Stimmen ab und schicken diese Stimmen dann nach Washington.

Das Electoral College besteht aus 538 Mitgliedern. Bestimmt werden sie von den 50 US-Bundesstaaten sowie der Hauptstadt Washington D.C. Wer mehr als die Hälfte ihrer Stimmen (also mindestens 270) bekommt, ist zum US-Präsidenten oder zur Präsidentin gewählt. Die Zahl der Stimmen pro Bundesstaat richtet sich nach seiner Einwohnerzahl. Denn sie entspricht der Zahl der Sitze dieses Staates in den beiden Kammern des amerikanischen Parlaments.

Kalifornien zum Beispiel ist der Bundesstaat mit den meisten Einwohnern. Er schickt 52 Abgeordnete ins Repräsentantenhaus und zwei Senatoren in den Senat. Das macht 54 Wahlleute bei der Präsidentschaftswahl. Das bevölkerungsarme Wyoming dagegen stellt nur einen Abgeordneten im Repräsentantenhaus und zwei Mitglieder des Senats – und somit drei Wahlleute.

Das System der Wahlleute: Anzahl der Wahlleute je Bundesstaat.
© AFP/JONATHAN WALTER PAZ PIZARRO

Die Stimmen der Wahlleute: "The winner takes all"

Ihre Stimme können die 538 Wahlleute allerdings nicht automatisch dem Kandidaten geben, den sie selbst am besten finden. Sie sind an das Votum der Bürgerinnen und Bürger in ihrem Staat gebunden. Für die Stimmabgabe gilt ein Prinzip, das wir aus einem Abba-Song kennen: "The winner takes it all". Wer in einem Bundesstaat die meisten Bürgerstimmen bekommt, bekommt alle Stimmen der Wahlleute.

In Georgia erhielt Joe Biden im Jahr 2020 zum Beispiel 49,5 Prozent der Stimmen und Donald Trump 49,2 Prozent. Trotzdem stimmten alle 16 Wahlleute aus Georgia für Biden. In Florida wiederum kam Donald Trump auf 51,2 Prozent der Stimmen und Joe Biden auf 47,9 Prozent. Dort votierten dann alle 30 Wahlleute für Trump.

Ausnahmen von dieser "Alle-Stimmen-für-den-Sieger"-Regel machen nur zwei Staaten: Nebraska und Maine. Sie sind allerdings mit jeweils vier Wahlleuten so klein, dass sie kaum ins Gewicht fallen.

Die US-Wahl entscheidet sich in wenigen "Swing States"

In den meisten Staaten ist schon vor der Wahl klar, welcher Kandidat vorne liegen wird. Kalifornien und New York zum Beispiel wählen in der Regel mehrheitlich demokratisch, viele kleinere Staaten in der Mitte der USA (wie Oklahoma, Nebraska und Kansas) dagegen republikanisch.

Entscheidend ist dagegen das Ergebnis in den Staaten, in denen die Parteien nah beieinander liegen. Zu diesen Swing States gehören in diesem Jahr etwa Pennsylvania, Michigan und Georgia – auf sie konzentriert sich der Wahlkampf.

In diesen US-Bundesstaaten könnte sich die Wahl entscheiden. Karte mit den "Swing States".
© AFP/THORSTEN EBERDING

Warum in den USA der Zweite zum Gewinner werden kann

Das bundesweite Stimmergebnis wird in den USA "Popular Vote" genannt. Wie erwähnt stimmt es nicht immer mit dem Ergebnis im "Electoral College" überein. Kleinere Staaten haben dort zwar weniger Stimmen als grosse – im Verhältnis zu ihrer Bevölkerung haben die Kleinen aber ein gewisses Übergewicht. In Wyoming zum Beispiel vertrat bei der Wahl 2020 ein einzelner Wahlmann 91.675 abgegebene Stimmen – in Kalifornien dagegen kamen auf einen Wahlmann 318.608 Stimmen. Auch das "Winner takes all"-Prinzip kann Verzerrungen verursachen.

Das Wahlsystem kann daher in seltenen Fällen einen bizarren Effekt haben: Wer in den USA bundesweit die meisten Stimmen bekommt, gewinnt noch nicht automatisch die Wahl. 2016 zum Beispiel stimmten 65,9 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner für die Demokratin Hillary Clinton. Der Republikaner Donald Trump schaffte es auf knapp 63 Millionen Stimmen – also fast drei Millionen weniger. Trotzdem wurde Trump US-Präsident, weil er eine klare Mehrheit der Wahlleute im Electoral College bekam.

Das System macht es so schwer, den Wahlausgang vorherzusagen – weil das Votum der Wahlleute eben von den Einzelergebnissen in den Bundesstaaten abhängt. Für die Wahl am 5. November lässt sich daher festhalten: Auch wenn Kamala Harris am Wahltag USA-weit mehr Stimmen bekommt, kann Donald Trump diese Wahl gewinnen.

Ablauf der US-Wahl im Schaubild

© dpa-infografik GmbH

Warum so kompliziert? US-Wahlsystem war ein Kompromiss

Zum Schluss blicken wir noch einmal in die Geschichte der USA. Denn sie erklärt, wie dieses System zustande kam. Im Jahr 1787 entstand die amerikanische Verfassung. Wie der Präsident bestimmt werden soll, führte damals zu heftigen Diskussionen unter den Gelehrten.

Einerseits wollten sie nicht das Parlament über den Präsidenten abstimmen lassen, um Mauscheleien und Vetternwirtschaft zu verhindern. Andererseits hatte die Elite aber auch eine gewisse Angst davor, die Entscheidung in die Hand des Wahlvolkes zu geben – männliche Sklaven und alle Frauen wurden noch nicht dazugezählt, sie durften früher nicht mitwählen. Den "normalen" Bürgern traute man damals nur bedingt zu, sich über die Kandidaten zu informieren und eine kluge Wahl zu treffen.

Das Modell des zwischengeschalteten "Electoral College" war ein Kompromiss. Heute mag es aus der Zeit gefallen wirken. Doch die Grundzüge des Wahlsystems sind in der US-Verfassung festgeschrieben – und die kann nur mit einer Zweidrittel-Mehrheit in beiden Parlamentskammern und einer Drei-Viertel-Mehrheit der Bundesstaaten verändert werden. Da in der Regel eine der beiden grossen Parteien vom System profitiert, sind diese Mehrheiten bisher aber nie zustande gekommen.

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