Die internationalen Medien haben den Schweizer Urnengang über ein bedingungsloses Grundeinkommen mit Interesse verfolgt. Über die massive Ablehnung der Vorlage ist die ausländische Presse nicht überrascht. Sie erklärt diese mit der tiefen Verbundenheit der Eidgenossen mit dem Wert der Arbeit.

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"Nein zum Grundeinkommen - Jetzt wieder an die Arbeit", titelt die "Süddeutsche Zeitung" und schreibt, es sei eine klare Sache gewesen. "Nicht mal einen Achtungserfolg haben die ach so selbstbewussten Verfechter eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) bei der Volksabstimmung in der Schweiz erzielt. Rund 20 Prozent Ja, und das auch nur bei denen, die überhaupt mitgemacht haben, da kann man nicht ernsthaft behaupten, die Zeit sei reif für eine Abkehr vom bisherigen System."

Debatte ist lanciert

Trotz der Niederlage "fühlen sich die Initiatoren des Grundeinkommens als Sieger und sprachen von einem sensationellen Erfolg", ist auf "Spiegel" zu lesen. "Denn ihnen ging es nicht in erster Linie um die Mehrheit in dieser Abstimmung, sondern vor allem darum, in der breiten Öffentlichkeit eine Diskussion über das Thema Grundeinkommen zu entfachen - und damit die traditionelle Verknüpfung von Erwerbsarbeit und Einkommen in Frage zu stellen."

Für "El Clarín" aus Argentinien hat die Abstimmung zu einer intensiven Debatte in einem Land geführt, "in dem der Wert der Arbeit verehrt und versucht wird, Ungleichheit zu mildern". Ähnlich der spanische El País: Trotz Niederlage schaffte es die Vorlage, "eine unangenehme Debatte über die Zukunft der Arbeit in einer Zeit der zunehmenden Automatisierung zu erzeugen".

Auch für "The Independent" aus Grossbritannien bedeutet die Ablehnung des allgemeinen Grundeinkommens "noch nicht das Ende dieser Idee in Europa".

Und für den amerikanischen "Wall Street Journal" war diese Abstimmung wichtig, "weil eine Idee, die in den letzten Jahren unter Ökonomen in Europa und den USA viel diskutiert wurde, so grosse Beachtung gefunden hat".

Die japanische Wirtschaftszeitung "Nikkei" kommt auf das Thema direkte Demokratie zu sprechen. Sie hob insbesondere hervor, dass man in der Schweiz mit 100'000 gesammelten Unterschriften eine Initiative lancieren und so eine öffentliche Debatte auslösen könne. "Beim bedingungslosen Grundeinkommen ist es vor allem darum gegangen, über die Idee zu diskutieren, und weniger darum, diese auch umzusetzen."

Sorge um Arbeitsplätze

"Nicht nur in der Schweiz, in vielen Ländern Europas sind Debatten über die Gesellschaft der Zukunft sowie mögliche Grundeinkommen längst im Gange", schreibt die "Krone" aus Österreich. In den Niederlanden und Finnland soll demnächst sogar mit staatlich geförderten Pilotprogrammen für Grundeinkommen experimentiert werden. Denn eine aktuelle WEF-Studie warnt, so die Zeitung: "Die vierte industrielle Revolution wird in den wichtigsten entwickelten und aufstrebenden Volkswirtschaften rund sieben Millionen herkömmliche Arbeitsplätze überflüssig machen - während sie zugleich nur zwei Millionen Stellen mit neuem Anforderungsprofil schafft."

Bei der gegenwärtigen Diskussion in der Schweiz und anderswo sei es nicht nur um die Verteilung von Reichtum gegangen, schreibt die "New York Times". "Es ging auch darum, ob moderne Gesellschaften weiterhin Arbeitsplätze kreieren können, wenn gleichzeitig technologische Fortschritte wie Fabrikroboter und führerlose Lastwagen vorangetrieben werden".

Eine Sorge, die auch die kommunistische Tageszeitung "Il Manifesto" umtreibt. Das Blatt erinnert daran, wie die Einführung eines Grundeinkommens, eines "marxistischen Traums", allenfalls dazu beitragen könnte, "das Problem der Arbeitsplätze zu lösen, die wegen der zunehmenden Automatisierung und Robotisierung vor drastischem Abbau stehen".

Finanzierbarkeit

Die wichtigsten Medien in Frankreich sind alles andere als erstaunt über die massive Ablehnung der Initiative über ein bedingungsloses Grundeinkommen. "Die Regierung und fast alle politischen Parteien lehnten dieses utopische und teure Projekt ab", meint "La Libération".

Und "Le Monde" erinnert daran, dass das Parlament Ende 2015 diese Initiative zur Ablehnung empfohlen hatte, weil sie "in Bezug auf die Einwanderung und das Schweizer Sozialsystem gefährlich" sei.

Für den "Corriere della Sera" ist "der Vorschlag, "in der Bundesverfassung ein 'Stipendium' für alle Bürger zu verankern, ohne Arbeitsverpflichtung und ohne ein Bedürfnis nachweisen zu müssen" eine Herausforderung für die reiche Eidgenossenschaft, "wo es zwar massive Lohnunterschiede gibt". Das Mailänder Blatt spricht von "enormem Kostenaufwand" für den Staat und äussert seine Zweifel über die Finanzierung.

Ebenfalls zur Finanzierung äussert sich die russische Tageszeitung "Wedomosti": "Die Schweiz gehört zu den reichsten Ländern der Welt. Sie wäre also durchaus in der Lage gewesen, das BGE mühelos einzuführen, zumindest mit weniger Problemen als andere Staaten."

Arbeit ist heilig

"Für die Mehrheit der Schweizer, welche die Arbeit verehren, ist es unvorstellbar, Geld zu erhalten ohne Gegenleistung", schreibt der französische "Le Figaro".

Dass die Mehrheit der Schweizer keinen Gefallen an der Idee finde, einfach so gratis Geld anzunehmen, erklärt "Aljazeera.net" so: "Für die Schweizer ist die Arbeit etwas "Heiliges". Auch 2012 war das so. Damals sprach sich das Schweizer Stimmvolk gegen mehr Ferien aus – aus Angst, die Wettbewerbsfähigkeit des Landes könnte leiden.

Die chinesische "Beijing Times" stellt sich die Frage, wieso sich die Schweizer Stimmbürger so vernünftig gezeigt haben. Yi Xian Rong, Wirtschaftsprofessor an der Universität von Qingdao, nimmt an, dass das Stimmvolk den Empfehlungen von Regierung und Wirtschaft gefolgt ist, "weil es eine vorsichtige Haltung, eine Gewohnheit, zu reflektieren sowie das Bewusstsein für die Globalisierung entwickelt hat – dank seiner langen Tradition der politischen Partizipation."  © swissinfo.ch

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