Ein weiterer Schritt zur Festigung seiner Macht ist getan: Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat seiner Partei mit den von Repressalien begleiteten Neuwahlen zu einem weiteren Wahlsieg verholfen. Sein Traum einer Präsidialherrschaft ist damit wieder ein Stück näher gerückt. Kritik aus Brüssel muss Erdogan dennoch nicht fürchten.

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Eigentlich war es gar nicht sein Wahlsieg. Denn der türkische Präsident ist laut Verfassung unparteiisch. Doch das hat Recep Tayyip Erdogan bereits seit seiner Ernennung im vergangenen Jahr wenig gekümmert. Für die von ihm mitbegründete konservativ-islamische AKP hat er im Sommer kräftig die Werbetrommel gerührt.

Sieg mit fadem Beigeschmack

Als die Wahlen nicht erneut zur angestrebten absoluten Mehrheit führten, verhinderte Erdogan die Bildung einer Regierungskoalition – und liess schliesslich Neuwahlen ausrufen. Diese bescherten seiner Partei, aus der er als Präsident formal austreten musste, am gestrigen Sonntag den zweitgrössten Wahlsieg der AKP in ihrer Geschichte. Doch dieser Sieg hat einen faden Beigeschmack.

So empfindet es zumindest der stellvertretende EU-Parlamentsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff: "Denn die Meinungsfreiheit ist in der Türkei mittlerweile so stark eingeschränkt, dass sich die Wähler nur schwer ein klares Bild machen konnten", meinte der Liberale am Montag. Nur vier Tage vor der Wahl hatte die türkische Polizei den Sitz des Medienkonzerns Koza-Ipek gestürmt, die regierungskritischen Sender Kanaltürk und Bugün wurden abgeschaltet.

Kritik seitens der EU an den Beitrittskandidaten gab es dafür nur indirekt: Die Sprecherin der Aussenbeauftragten Federica Mogherini liess mitteilen, die Türkei müsse sicherstellen, "dass die Menschenrechte eingehalten werden. Das schliesst auch das Recht auf freie Meinungsäusserung ein". Doch auch der landesgrösste Medienkonzern, die Dogan-Gruppe, war immer wieder angegriffen worden, bemängelt die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen.

Warum sich die EU zurückhält

Die Zurückhaltung der EU hat einen guten Grund: Man braucht die Unterstützung der Türkei, will man den Flüchtlingsstrom eindämmen. Drei Milliarden Euro hat Brüssel dafür bereits geboten – wenn Erdogan im Gegenzug dafür sorgt, dass die Hilfesuchenden nicht mehr ungehindert die Landesgrenzen und damit das Tor nach Europa passieren können. Mit der Schliessung der Grenzen sollen nur noch jene in die EU weiterreisen können, die auch eine Aussicht auf Asyl haben.

Sogenannte Wirtschaftsmigranten, die weder vor Krieg noch politischer Verfolgung fliehen, dürfen diesem Plan zufolge gar nicht erst einreisen. Wegen der anstehenden Neuwahlen sind die Verhandlungen über eine solche Zusammenarbeit aber zunächst auf Eis gelegt worden. Nun hofft man in Brüssel auf schnelle Zusagen aus Ankara.

"Die EU wird mit der zukünftigen Regierung zusammenarbeiten, um die Partnerschaft zwischen der EU und der Türkei weiter zu stärken und die Kooperation in allen Bereichen zum Wohle der Bürger auszubauen", beeilten sich die EU-Aussenbeauftragte Mogherini und der für Nachbarschaftspolitik zuständige Kommissar Johannes Hahn am Montag mitzuteilen.

Erdogan pokert mit Beitrittsverhandlungen

Doch diese Partnerschaft hat ihren Preis. Erdogan fordert nicht nur Visaerleichterungen für seine Staatsbürger, sondern auch die Wiederaufnahme der in den vergangenen Jahren ins Stocken geratenen EU-Beitrittsverhandlungen. Dabei hält die Kommission einen Statusbericht zurück, der jährlich für alle Beitrittskandidaten erstellt wird – und der auf die Türkei alles andere als ein gutes Licht wirft.

Die Verwaltung sei zunehmend "politisiert", die Unabhängigkeit der Justiz sowie das Prinzip der Gewaltenteilung "erheblich geschwächt". "Substanzielle Anstrengungen" seien nötig, um diese wiederherzustellen, heisst es in dem noch nicht veröffentlichten Papier.



Erdogans "neue" Türkei

Öffentlich lobt die EU hingegen die "demokratischen Prozesse": Die hohe Wahlbeteiligung von 85 Prozent untermauere die Unterstützung des Volkes. Mit dem Wahlsieg der AKP, der für eine Zweidrittelmehrheit lediglich 13 Sitze fehlen (315 Sitze von 550. Das offizielle Wahlergebnis liegt allerdings noch nicht vor), rückt Erdogans Traum von einer Präsidialherrschaft wieder näher. Allerdings muss er bei der Opposition werben, um die 330 Stimmen für eine Verfassungsänderung zu erreichen.

Die aktuelle Verfassung stammt noch aus Zeiten des Militärputsches von 1980, eine Neufassung scheiterte bisher an Erdogans Forderung, darin grössere Machtbefugnisse für den Präsidenten festzuschreiben. Zwar sind die Oppositionsparteien, allen voran die säkulare CHP, die nationalistische MHP sowie die Kurdenpartei HDP auch jetzt strikt gegen die Einführung einer Präsidialdemokratie, da sie eine autokratische Herrschaft Erdogans fürchten.

Doch offenbar fühlt man sich in der AKP vom neuen Wahlerfolg beflügelt: Der bisherige Ministerpräsident Ahmet Davutoglu rief alle Parteien im Parlament zu einer "neuen zivilen Verfassung" auf. Das Ergebnis des Urnengangs nannte er ein "Referendum für die neue Türkei".



Was bedeutet die "neue" Türkei für das türkische Volk?

Kritiker befürchten, dass eine "neue Türkei" eine weitere Einschränkung der Pressefreiheit bedeuten könnte und sich der wiederentfachte Konflikt mit den Kurden noch verschärfen wird. Seit einigen Monaten geht das türkische Militär im Südosten des Landes wieder mit massiver Gewalt gegen die PKK vor.

"Der Kurdenkonflikt wurde wieder als Keule gegen Journalisten hervorgekramt", kritisiert der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen indes den Umgang mit Medien, die darüber berichten.

Offene Kritik aus Brüssel ist wohl auch in näherer Zukunft nicht zu erwarten. Zu wichtig ist die Türkei in der Lösung der Flüchtlingskrise – die unweigerlich mit dem Krieg in Syrien zusammenhängt. Beides kann die EU ohne die Unterstützung Erdogans kaum lösen. Das weiss auch der Präsident.

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