Auf EU-Ebene ist er eine Nummer, doch wohl den meisten Europäern ist Manfred Weber noch kein Begriff. Dennoch könnte der CSU-Mann bald neuer EU-Kommissionspräsident werden. Was will er, was treibt ihn?
Fünf Monate vor der Europawahl erklärt der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei,
Herr Weber, Sie wollen EU-Kommissionspräsident werden. Der Weg ist noch weit. Wie optimistisch sind Sie, dass es reicht am Ende?
Weber: Ich bewerbe mich und mache den Wählern ein Angebot. Das ist in der Demokratie der erste Schritt. Man muss sagen: Ich will, ich kann, ich traue mir das zu - und das tue ich. Ich starte aus der Position des Fraktionschefs der grössten Fraktion im Europäischen Parlament, die ich seit vier Jahren führe. Für mich beginnt 2019 aber nicht mit taktischen Überlegungen, sondern einfach mit der Frage: Was wollen die Menschen in Europa?
Wie gross ist Ihre Sorge vor einem Erstarken der rechtspopulistischen Kräfte quer über den Kontinent?
Die Europawahl 2019 ist eine Richtungswahl. Sie entscheidet darüber, ob es im Europäischen Parlament Mehrheiten von Nationalisten und Populisten geben wird, die die europäische Partnerschaft und das Miteinander im Kern ablehnen. Dass wir heute auf einem friedlichen, freien Kontinent leben, verdanken wir der europäischen Einigung. Deswegen ist eine Grundsatzfrage: nationaler Egoismus oder Partnerschaft? Und es geht darum, Europa weiterzuentwickeln. Es darf nicht die Frage für oder gegen Europa im Mittelpunkt stehen, es muss um die Richtung gehen, wohin Europa geht. Ein Ja/Nein-Wahlkampf würde nur den vielen, vielen Populisten und Nationalisten Futter geben.
Was heisst das konkret?
Beispielsweise gibt es von mir das klare Versprechen: Wenn ich Kommissionspräsident werde, will ich die Gespräche mit der Türkei über eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union beenden. Wir müssen klarstellen, dass die EU Grenzen hat, und diese Grenzen müssen auch definiert werden. Und da muss man ehrlich gegenüber den Europäern und den Türken sein. Die Sozialdemokraten verweigern sich aber einer klaren Aussage. Oder: Ich will einen automatisierten Datenaustausch zwischen den Ermittlungsbehörden in Europa, damit jeder einen umfassenden Datenbestand hat, wenn wir etwa islamistische Gefährder suchen. Die liberale Fraktion und auch die Grünen-Fraktion beispielsweise wollen das nicht. Es gibt genug Unterschiede zwischen den Parteien - deswegen hoffe ich auf einen lebendigen Wahlkamp.
Einer Ihrer Slogans ist, dass Sie Europa den Menschen zurückgeben wollen. Was soll das heissen?
Europapolitik darf nicht mit der Theorie in Brüssel beginnen. Ich wünsche mir, dass wir Europa von den Menschen her denken, dass wir deren Sorgen und Probleme angehen. Ein Beispiel: Wenn ich Kommissionspräsident werde, dann möchte ich alle Gelder, die wir auf dem Kontinent für die Krebsbekämpfung ausgeben, bündeln. Wir werden die Daten bündeln, wir werden des Know-how bündeln. Und dann besteht die Chance, dass dieser Kontinent in den nächsten fünf bis zehn Jahren eine Antwort auf Krebs finden kann. Die Wissenschaft sagt uns, das gehe, es sei eine Frage der Ressourcen.
Braucht es insgesamt mehr oder weniger Europa?
Ich will ein Europa, das sich ums Grosse kümmert, nicht ums Kleine und sich in den Alltag der Menschen zu stark einmischt. Ich bin der Meinung, dass wir in Europa einen Aufgaben-Check brauchen: also bei Aufgaben, die wir der EU zugewiesen haben, überprüfen, ob wir diese wieder auf die Nationalstaaten zurückverlagern sollten. Ich kann mir auch Rückübertragungen von Kompetenzen vorstellen. Andererseits sage ich: Für die heutigen Aufgaben in der Aussen- und Sicherheitspolitik brauchen wir mehr Europa. Wenn man an US-Präsident Trump denkt, wenn man nach Russland schaut oder nach China, zeigt das: Europa muss politisch aufwachen, muss eine gemeinsame Sprache finden - da wir sonst keine Rolle mehr spielen. Europa muss bei aussen- und sicherheitspolitischen Fragen endlich mit einer Stimme sprechen.
Trotzdem sehen viele Menschen die EU kritisch...
Deswegen will ich im Europawahlkampf und erst recht danach versuchen, aus der Krisen-Rhetorik herauszukommen. Wir dürfen nicht nur die Probleme sehen, sondern die Erfolge: dass wir die illegale Migration eingedämmt haben, dass wir in den vergangenen zehn Jahren 13 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen haben, dass wir in der Eurozone unter einem Prozent Neuverschuldung haben, dass wir der stabilste Währungsraum der Welt sind. Natürlich gibt es immer wieder Probleme und Herausforderungen. Aber die Gesamtbilanz, wenn sich dieser Kontinent eint und zusammensteht, ist ungeheuer stark.
Ein Blick nach Bayern und auf Ihre Partei: Was ist, nach den 40,5 Prozent bei der Europawahl 2014, diesmal für die CSU drin?
Ziel ist, dass wir uns nach der Landtagswahl stabilisieren und wieder zulegen können. Und deswegen ist auch wichtig, dass 2019 für uns als Gesamtpartei ein Jahr des Aufbruchs und der Erneuerung ist. Wir wollen gemeinsam als Mannschaft antreten, und wir alle wissen ob der Bedeutung der Europawahl. Und: Wir praktizieren auch die Geschlossenheit von CDU und CSU insgesamt, wir wollen die inneren Streitigkeiten beenden. 2019 wird das Jahr der Einheit der Union.
Es heisst, wenn die Europawahl nicht wäre, wären Sie gerne neuer CSU-Chef geworden. Wie bitter ist es für Sie, dass Sie jetzt ausgerechnet Markus Söder den Vortritt lassen müssen? Die neu demonstrierte Partnerschaft besteht ja noch nicht ewig...
Ja, wir sind unterschiedliche Persönlichkeiten, unterschiedliche politische Typen, die ihren Weg gehen und beide auf ihre Art durchaus Erfolg haben. Nun wissen wir: Wir werden nur gemeinsam für die CSU und Bayern Erfolg haben. Wir wissen, dass wir gemeinsam die Verantwortung haben - und wir wollen es gemeinsam hinkriegen. Deswegen ist das Vertrauen zwischen uns gewachsen in den letzten Monaten. Jetzt geht es darum, das im Wahlkampf umzusetzen.
Horst Seehofer sagte kürzlich, Söder sei aktuell "der Beste" für die CSU. Ihr Freund Karl-Theodor zu Guttenberg zweifelte dagegen Söders Eignung an. Wer hat recht?
Karl-Theodor ist für pointierte Aussagen bekannt, und pointierte Aussagen müssen in der CSU auch möglich sein. Allerdings war diese Wortmeldung nicht richtig. Das war kein fairer Vergleich. Keiner, der den CSU-Chefposten übernimmt, hat sofort eine vergleichbare Strahlkraft wie ein Franz Josef Strauss. Für mich sage ich noch einmal ganz deutlich: Ich habe volles Vertrauen in
- Manfred Weber (46) sitzt seit 2004 im Europaparlament und ist seit 2014 Fraktionschef der Europäischen Volkspartei. Im November kürten ihn die europäischen Konservativen zu ihrem Spitzenkandidaten für die Europawahl Ende Mai. Weber, der auch CSU-Vize ist, hat damit gute Chancen auf das Amt des EU-Kommissionspräsidenten.
© dpa
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