Mehr Kontrollen, mehr Polizei, mehr Betonsperren: Ein Jahr nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt werden die Sicherheitsmassnahmen deutlich verschärft. Was bringen die Massnahmen?
Zerstörte Holzbuden, überall Trümmer, elf tote Besucher: Die Bilder, die nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz um die Welt gingen, sollen sich nicht wiederholen.
Die Behörden haben die Sicherheitsmassnahmen in diesem Jahr daher verschärft, um Millionen Besuchern auf den rund 1500 deutschen Weihnachtsmärkten einen unbeschwerten Besuch zu ermöglichen.
"Die Weihnachtsmärkte sind ein besonderes Angriffsziel, weil es dort aus Sicht von Terroristen auch um christliche Werte und Religion geht", sagt Oliver Malchow, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei im Gespräch mit unserer Redaktion. "Allerdings können Terroristen jede Menschenmenge, jede U-Bahn-Station, jedes Einkaufszentrum als Ziel haben. Insofern glaube ich nicht, dass bei den Weihnachtsmärkten eine erhöhte Gefährdung besteht."
Früher ging es hauptsächlich um Taschendiebstahl
Einige Menschen beschleicht beim Gang auf den Weihnachtsmarkt trotz solcher Worte ein mulmiges Gefühl, andere bleiben ganz weg. Was wurde konkret getan, um die Sicherheit zu verbessern?
"Die Einsatzkräfte der Polizei sind auf alle Eventualitäten vorbereitet, teils sichtbar, teils nicht sichtbar. Es sind Kameras im Einsatz und viele andere verdeckte Möglichkeiten, die die Polizei hat", erklärt Reiner Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft im Gespräch mit unserer Redaktion.
Neben dem Schutz vor Ort nennt er die Optimierung der Einsatzkoordination im Hintergrund als weiteres wichtiges Element. Es werde enorm viel gearbeitet, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein, so Wendt.
Er ist überzeugt, dass sich die Sicherheitslage durch die getroffenen Massnahmen verbessert habe. "Die Polizei hat eine deutliche Personalaufstockung vorgenommen, zeigt Präsenz und wird auch mit zivilen Kräften vor Ort sein", ergänzt Oliver Malchow.
In Potsdam musste ein Grossaufgebot der Polizei am Freitag bereits ausrücken. Wegen des Verdachts auf Sprengstoff wurden der Weihnachtsmarkt sowie die nähere Umgebung evakuiert. Der Verdacht wurde von der Polizei bestätigt, das verdächtige Paket enthielt zwar keinen Zünder, jedoch einen sogenannten Polenböller und hunderte Nägel.
Vor 2016 war auf den Weihnachtsmärkten fast ausschliesslich Taschendiebstahl ein Problem. Polizeistreifen drehten vielerorts eher gemütlich ihre Runden.
Erst durch den Berliner Anschlag hat sich die Situation drastisch geändert: Die Wachsamkeit hat zugenommen, Polizisten patrouillieren teilweise mit Maschinenpistolen, erste Antiterror-Betonsperren wurden aufgebaut.
Experte kritisiert Betonbarrieren
Und genau an den grauen Barrieren, im Volksmund als "Lego-Bausteine" bezeichnet, hat sich nach einem Test der Prüfgesellschaft Dekra eine Debatte entzündet.
Wie die MDR-Sendung "Umschau" im April berichtete, halten die schwersten auf dem Markt angebotenen Betonblöcke einem Lkw-Aufprall mit 50 km/h nicht stand.
Der getestete Fahrzeugtyp glich dem, der bei dem Anschlag in Nizza verwendet wurde. Der in Berlin verwendete Sattelzug war erheblich grösser und schwerer.
Dekra-Experte Marcus Gärtner hält diese Betonsperren und vor allem die in einigen Kommunen aufgestellten Findlinge für völlig unzureichend – oder gar gefährlich. Der Grund: Nicht fest verankerte Elemente könnten wie Geschosse umher geschleudert werden. Die Lösung: versenkbare Poller.
"Die gibt es mittlerweile in einer Qualität, die auch Belastungen durch einen Lkw-Aufprall standhält", sagt der Crashtest-Experte dem Nachrichtenportal "RP Online". Deren flächendeckenden Einsatz fordert auch der Deutsche Schaustellerverband. Verbandspräsident Albert Ritter sagte dem "RBB", dies sei besser "als immer wieder temporäre Massnahmen zu ergreifen".
Das Problem aus Sicht vieler Kommunen: Versenkbare Barrieren sind im Vergleich zu den Betonklötzen deutlich teuer. Auf kurze Sicht stimmt das. Neben der Montage im Boden müssen Leitungen verlegt und Wartungs- und Stromkosten bezahlt werden.
Gärtner, der den Dekra-Versuch im April als Projektleiter verantwortet hatte, ärgert diese Denkweise: "Ja, die Anschaffungskosten sind recht hoch, aber danach hat man auf Jahre hinaus nur noch die Stromkosten für das Rauf- und Runterfahren zu begleichen".
Hinzu komme der verbesserte Sicherheitsaspekt. Nur wenige Kommunen wie Aachen haben versenkbare Poller schon installiert, andere Städte wie Oldenburg oder Münster planen das für 2018. Doch ausgerechnet in Berlin, dem Ort des Anschlages, wird auf solche Poller verzichtet.
Innensenator Andreas Geisel (SPD) sagte dem "Spreeradio", er halte zu starke Schutzmassnahmen für nicht sinnvoll. "Es hilft uns auch nichts, Berlin zu pollern oder Mauern zu errichten oder etwas Ähnliches."
Polizeigewerkschafter: "Märkte nicht einmauern bis zur Unkenntlichkeit"
Was sagen die Polizeigewerkschafter zur Debatte um die Betonbarrieren? "Bei den Betonsperren verstehe ich, wenn sich Bürger fragen, ob die im Einzelfall auch sicher genug sind. Ich hoffe, dass wir das nie ausprobieren müssen", sagt Reiner Wendt von der Deutschen Polizeigewerkschaft.
GdP-Chef Malchow meint: "Auch die Betonbarrieren geben keine hundertprozentige Sicherheit. Das braucht man dem Bürger auch nicht erzählen. Entscheidend ist, dass es eine Sperre gibt, die das Risiko solcher Anschläge wie auf dem Breitscheidplatz mindert. Das ist notwendig, und das wird dadurch auch erreicht."
Hinsichtlich der Schutzmassnahmen wägt Wendt ab: Man könne immer höher, breiter und stärker bauen. "Aber dann sehen unsere Weihnachtsmärkte aus, als wären wir in Bagdad. Das ist immer ein Kompromiss. Wir können die Märkte nicht einmauern bis zur Unkenntlichkeit." Es gebe keinen Schutz vor allen Eventualitäten. "Wenn Sie noch grössere, massivere Barrieren dahin stellen oder mit Sand gefüllte Baucontainer, dann bauen Sie Festungen", ergänzt Malchow.
Er weist darauf hin, dass Anschläge letztlich nicht nur mit einem Lkw, sondern mit allen möglichen Mitteln durchgeführt werden, sogar mit Haushaltsgegenständen wie Messern. "Absolute Sicherheit", betont der GdP-Boss, "gibt es nicht".
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