Die Rollen zwischen Russland und Weissrussland sind seit jeher klar verteilt: Russland ist der grosse, Weissrussland der kleine Bruder. Doch der wird zusehends aufmüpfig - weshalb statt Geschwisterliebe Streit herrscht. Wie weit kann Alexander Lukaschenko bei Wladimir Putin gehen?

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Eine Aussage des weissrussischen Präsidenten, getroffen auf einer Pressekonferenz im Januar, liess aufhorchen. Alexander Lukaschenko stellte klar, dass Weissrussland sich nicht länger als Teil der russischen Welt oder Russlands sehe.

Die Zeiten, da Wladimir Putin noch von einer Wiedervereinigung träumen durfte, scheinen ein für alle Mal vorbei. Stattdessen setzt sich Weissrussland immer weiter vom grossen Bruder Russland ab.

Lukaschenko hat mit Putin noch eine Rechnung offen

Die Differenzen zwischen den beiden Ländern sind auch ein Konflikt zwischen zwei Autokraten. Alexander Lukaschenko war in den 1990ern der beliebteste Politiker Russlands und durfte hoffen, Jelzin beerben zu können, sobald die sogenannten Brudervölker sich wieder vereinen würden.

Doch dann kam Wladimir Putin an die Macht und Russland hatte seinen eigenen starken Mann. Putins Macht wuchs, Lukaschenko wurde zum Aussenseiter - von Europa verschmäht, von Russland wirtschaftlich abhängig.

Lukaschenko hat mit Putin also noch eine Rechnung offen. Und er sieht die Chance gekommen, sie zu begleichen: Mit dem Krieg in der Ukraine hat sich Russland im Westen unbeliebt gemacht. Weissrussland hingegen ist zum Mittler zwischen Ost und West geworden.

Die Gespräche über die Zukunft der Ukraine und die daraus resultierenden Friedensabkommen von Minsk haben das Land zurück auf die internationale Bühne gebracht.

Putins Ukrainepolitik beunruhigt Lukaschenko

Der Euromaidan und der Sturz Wiktor Janukowitschs 2014 waren dem Autokraten Lukaschenko natürlich ebenso ein Dorn im Auge wie dem Autokraten Putin.

Doch noch bedrohlicher als der Gedanke an ein Aufbegehren des eigenen Volkes wirkte auf Lukaschenko Russlands Reaktion auf die Ereignisse in der Ukraine:

Mit Verweis auf Menschenrechtsverletzungen gegenüber der ethnisch russischen Bevölkerung auf der Krim sah Russland sich legitimiert, die Halbinsel zu besetzen.

Die Krim-Annexion und Russlands Rolle im Krieg in der Ostukraine stiessen in Minsk auf Besorgnis. Ebenso sorgte eine Novelle des russischen Staatsangehörigkeitsgesetzes für Unruhe, wonach jeder russische Muttersprachler die russische Staatsangehörigkeit erhalten könne. Dies sind in Weissrussland rund 75 Prozent der Bevölkerung.

Was sollte Putin im Zweifelsfall davon abhalten, mit Weissrussland ebenso zu verfahren wie mit der Ukraine?

Neues Selbstbewusstsein

Was folgte, ist Ausdruck eines nie dagewesenen Selbstbewusstseins Weissrusslands gegenüber Russland. Zwar betonte Lukaschenko immer mal wieder die Bündnistreue und stützte das Land in der UNO, indem er gegen eine Resolution zur territorialen Einheit der Ukraine stimmte. Gleichzeitig wies er Putin aber klare Grenzen auf:

Die Krim-Annexion nannte Lukaschenko ein "schlechtes Beispiel". Er hielt den weissrussischen Markt für westliche Lebensmittelimporte geöffnet und fungierte trotz der Boykotte so als Scharnier für westliche Güter nach Russland – sehr zum Missfallen Moskaus.

2015 hat Weissrussland ein Gesetz verabschiedet, das den Kriegszustand zulässt, sobald "andere Staaten irreguläre Kräfte oder Untereinheiten regulärer Truppen" auf weissrussischem Staatsgebiet operieren lassen.

Verwiesen wurde zwar auf die verstärkte Nato-Präsenz im Baltikum, doch die Stossrichtung war klar und Moskau verstand den Wink mit dem Zaunpfahl: Eine schleichende Besetzung weissrussischen Territoriums wie in der Ukraine werde es nicht geben.

Einer für 2016 geplanten Luftwaffenbasis Russlands in Belarus entzog Lukaschenko seine Zustimmung. Russische Wirtschaftssanktionen gegen die Ukraine liess er unterlaufen.

Gleichzeitig änderte Lukaschenko seinen innenpolitischen Kurs. Er begann, die weissrussische Nationalidentität, die er einst als bäuerlich und rückständig verdammt hatte, zu preisen und zu fördern.

Flirt mit dem Westen

Und er flirtete mit dem Westen. Bei den Wahlen 2016 liess er zum ersten Mal seit zwölf Jahren Oppositionelle im Parlament zu. In der Ukrainefrage bemühte Lukaschenko sich um die Rolle eines ehrlichen Maklers. Die EU liess daraufhin ihre Sanktionen gegen Weissrussland grösstenteils auslaufen.

Zwar hat sich nichts an Lukaschenkos Abneigung gegen "zivilen Ungehorsam" geändert. Bei den Protesten in einigen Städten Weissrusslands gegen eine erst kürzlich in Kraft getretene Steuer für Arbeitslose kam es zu Dutzenden von Verhaftungen durch Sicherheitskräfte.

Doch anders als früher wurden die Demonstranten nicht einfach niedergeknüppelt und Einzelne auf unbestimmte Zeit weggesperrt. Die meisten Verhafteten wurden nach einigen Tagen auf freien Fuss gesetzt. Geldbussen ersetzen langjährige Haftstrafen.

Auch wenn dieser neue Kurs Lukaschenkos eventuell nicht von Dauer sein wird, schafft er neue Optionen für Weissrussland im Westen und sorgt damit für Misstrauen im Osten - bei Russland.

Der Graben wird immer tiefer

Nun verschärft sich der Konflikt zwischen Moskau und Minsk weiter. Belarus hat jüngst für Angehörige aus 80 Staaten eine visafreie Einreise für bis zu fünf Tage beschlossen.

Russland führte daraufhin erstmals seit den 90er-Jahren wieder Kontrollen an der Grenze zu Weissrussland ein und setzt den Nachbarn mit erhöhten Gas-und Ölpreisen samt Nachzahlungsforderungen unter Druck.

Die Forderungen rühren daher, dass Lukaschenko einst eigenmächtig beschlossen hatte, für Weissrussland müsse beim Gaskauf aus Russland der Inlandspreis gelten. Seither überweist er entsprechend weniger. Jetzt macht Russland Ernst, will Geld zurück.

Lukaschenko gibt sich unbeeindruckt. Ein für Mitte Februar geplantes Treffen der Russisch-Weissrussischen Union, bei dem es auch um den Gasstreit gehen sollte, sagte er kurzfristig ab.

"Worüber sollen wir reden, wenn die vereinbarten Fragen nicht gelöst werden", empörte er sich. Die Art, wie die Treffen der Union ablaufen, sei "eine Schande".

Harte Worte statt Familientreffen. Fragt sich nur, wie lange Lukaschenko sich diese Haltung leisten kann - im wahrsten Sinne des Wortes. Denn Russland ist mit 48 Prozent der mit Abstand wichtigste Handelspartner Weissrusslands. Ein Pfund, mit dem Putin wuchern kann.

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