Nie sind in der Welt durch Krisen und Konflikte so viele Menschen auf der Flucht gewesen wie 2017. Insgesamt waren es 68,5 Millionen. Europäer meinen oft, sie seien besonders schwer betroffen. Doch das stimmt nicht: Die meisten Flüchtlinge leben in Entwicklungs- und Schwellenländern. Wir betrachten zwei Beispiele näher.

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2017 waren 4,6 Prozent mehr Menschen auf der Flucht als Ende 2016. Es ist der fünfte Rekordwert in Folge, berichtet das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Damit wird die Lage immer prekärer.

Grund für die neuerliche Steigerung sind vor allem die Kriege oder schwelenden Konflikte in Syrien, Afghanistan, dem Südsudan, Myanmar und Somalia. Fast 70 Prozent der aktuell weltweit 68,5 Millionen Flüchtlinge stammen aus diesen Ländern.

Die meisten Flüchtlinge leben in Entwicklungs- und Schwellenländern

Ziel der Mehrheit der geflüchteten Menschen ist nicht der Westen. "Manche Leute glauben, die Flüchtlingskrise sei eine Krise in den reichen Ländern. Das ist nicht der Fall", sagt UNHCR-Chef Filippo Grandi.

Stattdessen lebten 85 Prozent von ihnen in teils bitterarmen Ländern oder solchen mit niedrigen oder mittleren Einkommen.

Weltweit hat derzeit die Türkei die meisten Schutzbedürftigen aufgenommen: 3,5 Millionen vor allem syrische Kriegsflüchtlinge leben im Land am Bosporus.

In Deutschland hielten sich nach den neuen UNHCR-Zahlen im vergangenen Jahr 970.400 Flüchtlinge auf. Deutschland stand damit hinter der Türkei, Pakistan, Uganda, dem Libanon und dem Iran an sechster Stelle der Zufluchtsländer.

Gemessen an der Bevölkerung nahm der Libanon am meisten Flüchtlinge auf, gefolgt von Jordanien und der Türkei.

Pakistan: Millionen Flüchtlinge seit 30 Jahren

In Pakistan leben derzeit etwa 1,4 Mio. Flüchtlinge. Die Lage hat sich damit sogar entspannt: "Noch 1990 haben in diesem Land drei Millionen Flüchtlinge aus Afghanistan gelebt", sagt Prof. Hermann Kreutzmann, Geo­graf an der Universität Berlin - er kennt und bereist Pakistan seit 40 Jahren.

Die Grenze zum Nachbarland war seit jeher unruhig, weil die Kolonialmächte sie mitten durch das Stammesgebiet der Paschtunen gezogen hatten.

Doch tiefgreifende Probleme begannen erst mit den Kriegen in Afghanistan ab 1979: Als immer mehr Flüchtlinge über den Chaiber-Pass nach Pakistan kamen, seien für das Land "enorm grosse Belastungen und Herausforderungen" entstanden.

Seit mehr als 30 Jahren hat Pakistan Erfahrung mit dem Flüchtlingsproblem, und in dieser Zeit hat sich vieles verändert. "Es war nicht so, dass es damals eine grosse Willkommenskultur gegeben hätte", sagt Kreutzmann.

Schliesslich hatte das Entwicklungsland Pakistan selbst genug Probleme und es gab anfangs keinerlei Unterstützung durch internationale Hilfsorganisationen.

Das kam den Flüchtlingen zugute

Doch ein anderer Umstand kam den Flüchtlingen zugute: der traditionelle paschtunische Ehrenkodex.

Sowohl aus "muslimisch-islamischer Verbundenheit" wie auch wegen der überlieferten Überzeugung, dass man Verfolgten Hilfe und Gastfreundschaft gewähren müsse, bekamen die geflohenen Afghanen Hilfe und Solidarität.

So wurden im Laufe der Jahre und Jahrzehnte aus einfachen Zeltlagern allmählich feste Lehmhaussiedlungen, von denen sich manche mittlerweile zu Städten entwickelt haben.

Es habe immer wieder Konflikte gegeben, auch heute sei das Flüchtlingsproblem in manchen Regionen Pakistans ein Wahlkampfthema - "aber bei weitem nicht so dominant wie in Deutschland."

Die Flüchtlinge seien für Pakistan mittlerweile wirtschaftlich von grosser Bedeutung: Viele sind Teppichhändler, Restaurantbetreiber oder Transportunternehmer geworden, anderen werden "als billige Arbeitskräfte gebraucht, von denen viele Betriebe profitieren."

Dass die afghanischen Flüchtlinge im Land integriert seien, kann man laut Kreutzmann "so pauschal nicht sagen" - im vergangenen Jahr seien auch viele ausgewiesen worden.

200 Millionen Menschen leben in Pakistan - 0,7 % von ihnen sind Flüchtlinge. Doch die Bevölkerung habe sich an die Anwesenheit von hunderttausenden von Afghanen gewöhnt: "Eine ganze Generation ist mit diesem Problem aufgewachsen."

Uganda gilt als Vorzeigeland

Das ostafrikanische Uganda liegt auf dem dritten Platz der Länder, die weltweit die meisten Flüchtlinge aufgenommen haben. Die 35 Millionen Ugander beherbergen etwa 1,3 Millionen Menschen vor allem aus dem Südsudan - das sind etwa 3,7 % der Bevölkerung.

Im Vergleich zu Deutschland ist das enorm viel - hier ist es gerade einmal etwas mehr als ein Prozent.

Doch der Vergleich hinkt, die Lage in Uganda ist noch viel dramatischer als die blossen Zahlen es sagen. Denn während Deutschland eines der reichsten Länder der Welt ist, ist Uganda arm. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) lag dort 2016 bei etwa 25 Milliarden US-Dollar - gegenüber 3.467 Milliarden in Deutschland.

Nur eines hat Uganda reichlich: brachliegendes Land. Und das verteilt die Regierung grosszügig an die Flüchtlinge. Weltweit werde Uganda für seine Flüchtlingspolitik gelobt, sagt Ulrike Krause.

Die Professorin am Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht der Ruhr Universität Bochum hat lange im Flüchtlingsschutz in Uganda gearbeitet und schliesst sich diesem Lob an: "Uganda verknüpft Flüchtlingsschutz mit nachhaltiger Entwicklungspolitik und verbessert dabei die Situation der Flüchtlinge nachhaltig."

Damit nützt das Land sich auch selber: Infrastrukturmassnahmen wie Strassenbauprojekte und Elektrifizierung der von den Flüchtlingen neu erschlossenen Regionen helfen dem ganzen Land.

Kein Schlaraffenland für Geflüchtete

Trotzdem ist Uganda für die geflohenen Sudaner kein Schlaraffenland: Jeder Flüchtling erhält grosszügig Land zum Wohnen und zur landwirtschaftlichen Nutzung. Doch die Regierung zwingt so auch Menschen mit ganz anderer Herkunft dazu, Bauern zu werden. Ausserdem sind die zugewiesenen Böden karg.

"Die Erträge reichen nicht aus, um die Familien zu ernähren, die Flüchtlinge brauchen deshalb zusätzlich Unterstützung durch die internationalen Hilfsorganisationen." Trotzdem, so Krause, sei die Situation in den auf dem neuen Land errichteten Siedlungen "auf jeden Fall besser als in den Flüchtlingslagern."

Die einheimische Bevölkerung habe keine grösseren Probleme mit den Neuankömmlingen. "Klar gibt es manchmal Spannungen zwischen den Geflüchteten und der aufnehmenden Gesellschaft, klar gibt es mal Beschwerden. Aber das ist ja überall so. Und in Uganda ist das trotzdem immer ein Miteinander."

Dass die Flüchtlingspolitik in Deutschland ein so heftig umstrittenes Thema ist, kann Ulrike Krause "einfach nicht nachvollziehen." Sie habe, beteuert die Wissenschaftlerin, "in den vielen Jahren in Uganda ganz wenige wirkliche Konflikte mitbekommen."

Mit Material der dpa
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