Russische Waffenlieferungen und die Verlegung von Soldaten nach Syrien haben Gerüchte angeheizt, wonach Wladimir Putin aktiv in den Bürgerkrieg eingreifen will. Russland plane aber keine Bodenoffensive, sondern wolle vor allem seine Bedeutung gegenüber den USA erhöhen, sagte der Osteuropa-Experte Stefan Meister. Auch eine Friedenslösung könnte auf diesem Weg erzwungen werden.

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Handfeuerwaffen, Granatwerfer, Panzer und Flugzeuge: Russland unterstützt das Regime des syrischen Diktators Baschar al-Assad seit Beginn des Bürgerkrieges 2011 mit Waffen und Munition. Trotz Warnungen der USA will Moskau an diesem Prozedere festhalten. Berichte legen nahe, dass die einstige Supermacht seit Anfang August noch mehr Waffen, Militärberater und Luftfahrzeuge nach Syrien transportiert hat, um den geschwächten Alleinherrscher zu stützen. Ausserdem gebe es regelmässig russische Marinemanöver vor der syrischen Küste, sagte Aussenminister Sergej Lawrow in Moskau. Lawrow kommentierte damit Medienberichte über eine bevorstehende Übung.

Das Ziel soll die von Rebellen bedrohte Mittelmeerregion um die Küstenstädte Latakia und Tartus sein. In Tartus unterhält die russische Marine einen kleinen Versorgungsstützpunkt, in Latakia soll nun offenbar ein neuer Luftwaffenstützpunkt aus dem Boden gestampft werden. Im Weissen Haus erklärte ein Sprecher, man sei über diese Entwicklung "tief beunruhigt", der deutsche Aussenminister Frank-Walter Steinmeier forderte Moskau auf, die Chance auf die Lösung des Konflikts nicht durch Aufrüstung zu verspielen. Welches Kalkül steckt hinter dem Ausbau des russischen Engagements? Und kann Syrien so dem Frieden tatsächlich näher kommen?

Russland will Bedeutung gegenüber USA erhöhen

"Dreh- und Angelpunkt russischen aussenpolitischen Denkens sind die USA. Die russische Führung beobachtete einerseits, wie die USA an Einfluss verlieren in der arabischen Welt und der Kampf gegen den IS wenig Erfolge zeigt", erklärt Dr. Stefan Meister, Osteuropa-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik aus Berlin. "Diese Lücke versucht Russland zu füllen, auch mit Blick auf die Golfstaaten, die sich zunehmend skeptischer gegenüber den USA zeigen." So wolle Präsident Wladimir Putin die eigene Bedeutung gegenüber Washington erhöhen, etwa um bei möglichen Verhandlungen um die Ukraine "einen besseren Deal zu bekommen", so Meister. Zudem unterstützt Russland mit Assad, der seit Jahresbeginn knapp 20 Prozent seines Territoriums an Rebellengruppen verloren hat und immer mehr in die Defensive gerät, einen wichtigen Verbündeten. Und nicht zuletzt präsentiert es seine modernen Waffen, um sie auch anderen arabischen Staaten schmackhaft machen zu können.

Ob Russland dem Diktator tatsächlich mit Bodentruppen und Luftangriffen helfen wird, ist derzeit noch ungewiss. "Im Moment sendet Moskau vor allem Ausbilder und technisches Personal, um die Syrer in die neue Technik einzuführen. Diese brauchen militärischen Schutz und Hilfspersonal", erklärt Meister. Der Politologe bezweifelt, dass Russland "in einem grösseren Umfang militärisch in den Konflikt eingreifen wird". Die Gründe: die enormen Kosten, der grosse Einsatz von Personal, die unabschätzbaren Risiken sowie die ablehnende Haltung der russischen Bevölkerung. Die USA haben – wie auch Russland – seiner Einschätzung nach kein Interesse an einer Eskalation des Konflikts. Bis auf diplomatischen Druck und weitere wirtschaftliche Sanktionen, etwa im Energiebereich, besässen die Amerikaner sowieso kaum Handlungsmöglichkeiten.

Assad könnte ins russische Exil gehen

Während Putin stur an seinem Verbündeten festhält, ist für Amerikaner, Europäer, die syrische Opposition und Länder wie die Türkei eine Friedenslösung nur ohne Assad denkbar. Fassbomben, Flächenbombardements, Giftgas – für die meisten der über 200.000 Toten im Bürgerkrieg wird der einstige Hoffnungsträger verantwortlich gemacht. Doch ohne sein Regime ist ein erfolgreiches Vorgehen gegen den Islamischen Staat, der rund die Hälfte des syrischen Staatsgebietes kontrolliert, kaum möglich. Der Triumph über die Dschihadisten ist allerdings eine Grundlage für eine dauerhafte Befriedung des Landes.

Einige Beobachter gehen davon aus, dass Russland mit seinem Eingreifen nun Fakten schaffen will: Es wird keine militärische Niederlage Assads zulassen. Die moderate Opposition will Russland so an den Verhandlungstisch zwingen und gleichzeitig die Position seines Verbündeten stärken: Angeblich wird bereits an einem russisch-iranischen Friedensplan gearbeitet, der eine Aufteilung des Landes und vorgezogene Neuwahlen beinhalten soll.

"Ich kenne diesen Plan nicht, aber weder mit der syrischen Opposition noch mit den USA wird es eine finale Lösung mit Assad geben. Vielleicht für den Übergang, aber nicht dauerhaft", erklärt Russland-Experte Meister. Die Zeichen verdichten sich, dass Assad irgendwann mehr oder weniger freiwillig ins russische Exil gehen könnte. So bliebe ihm zumindest ein Gerichtsprozess erspart.

Wie ein Übergang in ein neues Syrien genau aussehen soll, ob Assad tatsächlich bereit ist, von der Macht zu lassen, wie Wahlen durchgeführt werden sollen, wie ein kaputter Staat wieder stabilisiert und aufgebaut werden könnte, ist für Meister "äusserst fraglich". Die Absichten Wladimir Putins seien da schon berechenbarer. "Russland möchte nicht in diesen Krieg gegen den IS gezogen werden, will aber seine Bedeutung für die USA aufwerten und Assad als Teil der Lösung durchsetzen", fasst der Experte zusammen. Ob Syrien auf diesem Wege dem Frieden tatsächlich näher kommt, werden die kommenden Wochen zeigen.

Zur Person: Dr. Stefan Meister ist seit August 2014 Programmleiter für Russland, Osteuropa und Zentralasien am Robert Bosch-Zentrum für Mittel- und Osteuropa der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin. Der Politologe war mehrfach als Wahlbeobachter für die OSZE tätig und hat Lehrprojekte in Russland durchgeführt.
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