Die Meldung geht in Windeseile um die Welt: Wladimir Putin will prominente politische Gefangene begnadigen. Nicht nur die Mitglieder der Punk-Band Pussy Riot und die wegen der Besetzung einer Ölplattform inhaftierten Greenpeace-Aktivisten sollen frei kommen. Auch der seit zehn Jahren eingesperrte Putin-Gegner Michail Chodorkowski bekommt angeblich seine Reststrafe erlassen. Doch wie ist diese Entscheidung zu bewerten?
"Zunächst freuen wir uns über die Amnestien und besonders über die Begnadigung von Chodorkowski, denn das sind ja Menschen, für deren Freilassung wir uns über Jahre hinweg eingesetzt hatten", sagt der Russland-Experte von Amnesty International, Peter Franck. "Im Hinblick auf Chodorkowski ist das eine Bewegung, die wir nicht erwartet hatten. Wie das jedoch einzuschätzen ist und ob es wirklich ein Zeichen ist, nach der zunehmenden Konfrontation zwischen Zivilgesellschaft und dem Kreml wieder in einen Dialog einzutreten, wissen wir nicht. Da sind wir aber eher skeptisch."
Grundsätzlich ist
"Die Entscheidung ist eine humanitäre Geste, die man nicht kleinreden sollte. Sie hat aber nichts mit einem Schritt hin zu mehr Rechtsstaatlichkeit zu tun. Insbesondere das Justizsystem ist dringend reformbedürftig", analysiert Franck. Eigentlich muss ein Rechtsstaat so funktionieren, dass Unschuldige nicht verurteilt werden. Amnestien sind nur Behelfslösungen. Besonders in Prozessen, in denen es um Machtinteressen gehe, entscheidet die russische Justiz jedoch oft zugunsten der Macht. "Im Zweifel setzt sich die Macht gegen das Recht durch - so gesehen hat sich an der Grundsituation bislang nichts geändert."
Dennoch findet Franck die aktuelle Entwicklung verwunderlich. "Immerhin haben wir vergangene Woche noch darüber gesprochen, ob gegen Chodorkowski ein drittes Strafverfahren eingeleitet wird. Aber es wird sich erst noch zeigen, ob das Ansätze sind, die ernst gemeint sind." Bis zur Jahrespressekonferenz Putins, bei der die Amnestien verkündet wurden, gab es dafür wenige Signale. Reformbedürftig ist vor allem das von Amnesty scharf kritisierte Agentengesetz, demzufolge sich alle Nicht-Regierungsorganisationen als ausländische Agenten registrieren lassen müssen. Gleiches gilt für das umstrittene Gesetz gegen die "Propaganda von nicht traditioneller sexueller Orientierung".
Immerhin: Putin hat in den vergangenen Wochen Gespräche mit der ausserparlamentarischen Opposition geführt und sich gegen Übergriffe gegen Homosexuelle ausgesprochen. Aber erst wenn sich die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf andere Themen richtet, wird sich zeigen, wie ernst dieser Vorstoss tatsächlich gemeint war.
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