Was passiert mit britischen Bürgern in der Schweiz, wenn das Vereinigte Königreich in sechs Monaten ohne Abkommen aus der EU ausscheidet? Dann werden die bilateralen Abkommen der Schweiz mit der EU nicht mehr auf britische Bürger anwendbar sein. Die Verunsicherung unter Auslandbriten ist gross.
Bis im Herbst hätten die Verhandlungen über ein Austrittsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich abgeschlossen sein sollen. Doch noch ist alles offen.
Der viel diskutierte "Chequers-Plan" der britischen Premierministerin
Und während das EU-Abkommen also noch aussteht, müssen natürlich auch bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und Grossbritannien geschlossen werden.
Im August veröffentlichte die britische Regierung einen Leitfaden darüber, was im Falle eines harten Brexits passieren würde. Wo würden zum Beispiel Medikamente und Lebensmittel herkommen?
Britische Staatsangehörige in der Schweiz stehen vor ihren ganz eigenen Fragen: Sollen sie sich darauf vorbereiten, was am 29. März 2019 passiert, dem Tag des Austritts Grossbritanniens aus der EU, oder wird dank eines Abkommens doch noch eine Übergangsfrist bis Dezember 2020 gelten?
Fehlende Bürgerrechte
Ein harter Brexit wäre für Briten in der Schweiz das schlimmste Szenario, weil es Unsicherheit für ihren Aufenthaltsstatus bedeutet. Die Schweiz ist nicht Mitglied der EU. Doch dank des Personenfreizügigkeitsabkommens gelten für EU-Bürger in der Schweiz hinsichtlich Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung die gleichen Regeln wie in EU-Ländern.
Nach dem Brexit würde zwischen der Schweiz und Grossbritannien keine Personenfreizügigkeit mehr gelten. Es bedarf eines neuen bilateralen Abkommens zwischen den beiden Nationen.
Ein Briefing Paper der House of Commons library listete kürzlich die Folgen des Brexits auf. Die Rechte britischer Expats wurden dabei als nur "teilweise bekannt" eingestuft. Sprich: Noch ist unklar, was der Brexit für Auslandbriten bedeuten wird.
Im Dezember 2017 bestätigten das Vereinigte Königreich und die EU, dass das "Citizens' Rights Agreement" während den Austrittsverhandlungen gelte. Dieses regelt die grundlegendsten Rechte rund um Aufenthalt und Krankenkasse von Briten, die in EU-Ländern wohnen. Mit der Schweiz gibt es jedoch noch kein entsprechendes Abkommen.
Auf der Website der britischen Regierung steht klipp und klar: "Die im Dezember getroffene Bürgerrechtsvereinbarung gilt nicht für britische Staatsangehörige, die in der Schweiz leben." Grossbritannien verhandelt zurzeit mit der Schweiz. "Ziel ist eine Vereinbarung, die jener mit der EU gleicht."
Wie weit sind die bilateralen Gespräche gediehen?
swissinfo.ch kontaktierte die britische Botschaft in Bern, um herauszufinden, wie weit die Gespräche über den Status britischer Bürger in der Schweiz vorangekommen sind.
"Den Bürgern Gewissheit zu geben, war von Anfang des Austrittsprozesses an eine Top-Priorität der britischen Regierung und der Botschaft in Bern", heisst es in der schriftlichen Antwort. Vertreter auf beiden Seiten arbeiteten daran, eine Vereinbarung über den Status britischer Bürger zu finden.
Zum Stadium der Gespräche äussert sich die Botschaft nicht. Nur so viel: Es hätten mehrere Gesprächsrunden stattgefunden, ebenso wie themenspezifische Workshops.
Die britische Botschafterin in der Schweiz und Liechtenstein, Jane Owen, sagte in einem Onlinevideo-Statement, die Briten hätten sehr deutlich gemacht, dass sie sich ein ähnliches Abkommen wie mit der EU wünschen.
Vorbereitung auf das "teilweise Unbekannte"
Sollen britische Bürger angesichts dessen, dass ihre Situation in der Schweiz noch ungewiss ist, einfach ruhig bleiben und weitermachen? Wir haben unsere Leser auf Facebook und Twitter gefragt, ob sie über die Möglichkeit eines harten Brexits besorgt sind.
Das Ergebnis auf Twitter fiel ähnlich aus.
Trotz der Zusicherungen seitens Behörden, für die bereits in der Schweiz lebenden Briten werde sich nichts ändern, sind die Folgen des Brexits noch nicht absehbar.
Wir fragten unsere Leser, ob sie bereits Massnahmen für einen Plan B ergriffen haben, sollte es zu einem harten Brexit kommen.
Irischer Pass als Rettung
Die britische Staatsbürgerin Annie Morgan, die seit 15 Jahren in der Schweiz lebt, hat einen eigenen Plan B.
"Warum ich den irischen Pass beantragt habe?", fragt sie, als wir sie anrufen. "Wenn ich in einem anderen Land der EU leben möchte, kann ich mit dem irischen Pass besser umziehen. Und ich tat es auch, um mein Aufenthaltsrecht hier in der Schweiz zu sichern."
Auf die Frage, warum sie den Pass nicht bereits früher beantragt habe, antwortet sie: "Weil mein Vater Ire war, hatte ich die Möglichkeit schon zuvor. Aber ich habe es früher nicht in Betracht gezogen. Warum Geld ausgeben für etwas, das ich nicht brauchte?"
Annie Morgan lebt im Kanton Aargau, hat aber keinen Schweizer Pass. "Es ist ziemlich teuer und mein Deutsch ist mies", sagt sie lachend.
Sie hätte es lieber, wenn das Vereinigte Königreich in der EU verbleiben würde. Sie hat nun bereits seit sechs Monaten den irischen Pass. Sie nutzt ihn für alle Reisen, ausser wenn sie ins Vereinigte Königreich reist: "Das ist meine kleine Rebellion."
Jetzt, da sie einen EU-Pass hat, macht sie sich um sich selbst keine grossen Sorgen mehr. Sehr wohl aber um andere Auslandsbriten. Sie fürchtet, dass diese als Faustpfand verwendet werden. "Die Briten im Ausland scheinen auf der Prioritätenliste nicht weit oben zu stehen. Es gibt keinen Plan!"
Schweizer Status in Ordnung bringen
Die Kampagnengruppe "British in Europe" hat eine No Deal-Checkliste veröffentlicht, mit Massnahmen, die Briten in EU-Ländern im Fall eines harten Brexits ihrer Meinung nach ergreifen müssen. Weil die EU-Vorschriften im Rahmen der Personenfreizügigkeit bisher auch zwischen Grossbritannien und der Schweiz galten, könnte diese Checkliste auch für Briten in der Schweiz nützlich sein.
Die Gruppe schreibt, es sei eine gute Idee, sich persönlich auf den harten Brexit vorzubereiten. Sie listet zehn Punkte auf, zum Beispiel "Stellen Sie sicher, dass sie rechtmässig im Gastland wohnen" oder "Füllen Sie Ihren Medikamentenvorrat vor dem 29. März 2019 auf". Die britische Regierung empfiehlt ihren Bürgern in der Eidgenossenschaft ebenfalls: "Stellen Sie sicher, dass Sie korrekt als Einwohner der Schweiz registriert sind".
Die britische Botschaft in Bern bleibt unterdessen zuversichtlich, dass in den bilateralen Gesprächen zwischen dem Vereinigten Königreicht und der Schweiz eine für beide Seiten vorteilhafte Lösung gefunden werden kann. "Unser gemeinsamer Leitsatz ist es, den britischen Bürgern in der Schweiz sowie den Schweizer Bürgern in Grossbritannien zu ermöglichen, ihr Leben wie bisher fortzuführen."
Die derzeit gültigen Vereinbarungen seien bis zum Ende der Übergangszeit Ende 2020 anwendbar.
Theresa Mays Post-Brexit-Vision beinhaltet eine Einwanderungspolitik, die den EU-Bürgern keine Vorzugsbehandlung mehr gewähren würde, mit dem Ziel, die Migration von gering qualifizierten Arbeitskräften zu reduzieren.
Im Rahmen des EU-Abkommens gewährten sich die Schweiz und Grossbritannien bisher gegenseitig Personenfreizügigkeit. Wird die Schweiz britischen Bürgern offenen Zugang zum Arbeitsmarkt bieten, wenn das Vereinigte Königreich es umgekehrt nicht bietet? © swissinfo.ch
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