Der Journalist Matthias Fornoff will im ZDF "Russlands Geheimnisse" präsentieren. Doch zunächst kommt die Sendung einer politischen Aufklärungsstunde über das System Putin gleich. Dann kann man tatsächlich Neues lernen.

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ZDF-Journalist Matthias Fornoff reist pünktlich zur Fussball-WM durch das Gastgeberland Russland. "Ein ganz anderes und oft verblüffendes Bild" des grössten Flächenstaats der Erde verspricht er, dem Zuschauer zu zeigen. Zunächst allerdings gibt es eine gesellschaftskritische Bestandsaufnahme, die wenig Überraschendes bereithält.

Zum Beispiel besucht der Journalist Gleb Kranjik. Der patriotische Vertreter einer Künstlervereinigung vertreibt einen Ring mit dem Konterfei von Präsident Wladimir Putin, was Fornoff "staatlich geförderte Propaganda" nennt.

Dann wird die junge Russin Maria Katasonova interviewt, die als Mitglied der "Nationalen Befreiungsbewegung" in einem Video zur Vernichtung der Feinde Russlands aufruft.

Sie meint ausserdem, die ganze Ukraine gehöre zu Russland. Fornoff klärt auf, dass diese Ansicht unter Russen Mainstream ist. Das zeige, wie unterschiedlich "der Westen und Russland auf die Welt blicken". Klingt ein wenig nach: guter Westen, böse Russen.

Dann präsentiert Fornoff die Systemkritikerin Mascha Aljochina von der Punkband Pussy Riot. Aljochina verbrachte zwei Jahre in Lagerhaft. Sie ist der Ansicht, dass die Hauptaufgabe des russischen Systems die "Unterdrückung der Freiheit" und Präsident Putin ein "Eindringling" ist. Auch zwei sogenannte Roofer, die die höchsten Gebäude des Landes erklimmen, äussern sich über Putin reserviert bis kritisch.

"Von den Knien aufgestanden"

Die politische Aufklärungsstunde ist damit vorbei. Fornoff lässt den moralischen Zeigefinger sinken und agierte fortan mehr als Beobachter, weniger als Kommentator.

Er schafft es dann prompt zu verblüffen, etwa mit einem Beitrag aus Suprjagino nahe der weissrussischen Grenze.

Dort hüten russische Cowboys gewaltige Rinderherden. Konzernchef Viktor Linnik importierte einst Black Angus Rinder aus den USA – und nordamerikanische Cowboys gleich mit.

Heute machen die Russen den Job alleine. Das grosse Ziel: Russland will in der Fleischproduktion Weltspitze und von Importen unabhängig werden. "Russland ist von den Knien aufgestanden", sagt Linnik über die einst brach liegende Wirtschaft des Landes.

In dieser finden sich in Spitzenpositionen übrigens dreimal mehr Frauen als in Deutschland. Eine von ihnen ist Olga Slutsker, Inhaberin von World Class Fitness. "Ich glaube auch nicht, dass es für eine Frau schwerer ist", sagt die selbstbewusste Russin über ihren Aufstieg.

Doch Russland hat auch eine dunkle Seite für Frauen. 14.000 von ihnen sterben jährlich durch häusliche Gewalt. Meist ist Alkohol im Spiel. Eine Tattoo-Künstlerin hilft Frauen kostenlos, Narben und Entstellungen zu überdecken. Russland – ein widersprüchliches Land.

Christlich-muslimisches Miteinander

Dann reist Fornoff nach Kasan, in die Provinz Tatarstan, die Hochburg der russischen Muslime. Dort geht es ausgesprochen tolerant zu. Jede zweite Ehe wird zwischen Christen und Muslimen geschlossen. "Wir leben alle in einem Haus", sagt der Mufti. Ein Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche freut sich über den hohen Zulauf Nicht-Gläubiger zu den Muslimen, weil damit mehr Menschen zu Gott fänden.

Was viele TV-Zuschauer womöglich nicht wussten: Russland ist ein multireligiöser Vielvölkerstaat. Und so gelingt es der ZDF-Doku dann doch noch, dem Klischee vom nationalistischen, intoleranten Russen etwas entgegenzusetzen.

Auch das Schlussfazit des Autors ist ausgewogener als viele Sequenzen seines Beitrags. Die ungebrochen hohen Zustimmungswerte für Wladimir Putin lägen unter anderem darin begründet, dass es vielen Menschen heute wirtschaftlich besser geht als vor der Ära Putin, erklärt Fornoff. "Das sollte man im Westen nicht vergessen. Bei aller berechtigter Kritik."

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