Mit einem Schönheitsfilter können wir in Sekundenschnelle unser Aussehen verändern. Das ist unterhaltsam – und TikTok, Snapchat und Instagram profitieren davon, wenn die Nutzerinnen und Nutzer mehr Zeit auf den Plattformen verbringen. Doch was macht es mit uns, wenn wir uns selbst im makellosen Filter sehen?
Kathrin Karsay ist Kommunikationswissenschaftlerin und Assistenzprofessorin an der belgischen Universität KU Leuven. Im Interview spricht sie über den umstrittenen Bold-Glamour-Filter, die Kardashians und wieso Schönheitsfilter nicht nur für junge Menschen gefährlich werden können.
Frau Karsay, was fasziniert uns an Schönheitsfiltern in sozialen Medien?
Diese Beschäftigung mit dem Selbst ist nicht unbedingt neu – man denke an Narziss in der Mythologie oder das Selbstporträt in der Kunst. Das Interesse am eigenen Bild hat etwas mit der eigenen Identität zu tun, und mit der Erkenntnis, dass man sich selbst nur in einer Spiegelung wahrnimmt. Die Filter dienen dem Spiel mit unserer Identität. Es hat etwas Lustvolles, Unterhaltsames, die eigene Augen- oder Haarfarbe zu ändern.
Das hört sich erst einmal nicht schlecht an. Was kann das in uns auslösen?
Grundsätzlich ist wichtig, zwischen kurzfristigen und langfristigen Wirkungen zu unterscheiden. An einem schlechten Tag oder bei Stress im Alltag kann die Beschäftigung mit Filtern ablenkend wirken, vielleicht auch die Stimmung aufheitern und einen kurzfristigen positiven Effekt haben.
Und die langfristigen Folgen?
Viele dieser Filter entsprechen unrealistischen Schönheitsidealen, die auf natürlichem Wege nicht zu erreichen sind. Schönheitschirurgen erzählen mittlerweile, dass Menschen mit bearbeiteten Bildern von Influencern zu ihnen kommen.
Aus wissenschaftlicher Sicht wissen wir, dass diese Ideale verinnerlicht werden. Ob bewusst oder unbewusst: Idealisierte Mediendarstellungen setzen Standards, die nie erreicht werden können. Vergleicht man sein eigenes Aussehen mit diesem Ideal, beispielsweise beim Blick in den Spiegel, bemerkt man eine Diskrepanz – also einen Unterschied zwischen dem verinnerlichten Ideal und dem Selbst. Und diese Diskrepanz kann zu Körperunzufriedenheit und Körperscham führen. Das ist nachteilig für das Wohlbefinden und die mentale Gesundheit, vor allem von Frauen.
"Auch Männer spüren den Schönheitsdruck in sozialen Medien"
Was sagt es über unsere Gesellschaft aus, dass es vor allem der weibliche Körper ist, der auf Social Media so dargestellt wird, als müsste er verändert werden?
Ich denke, das spiegelt gesellschaftliche Verhältnisse sehr gut wider. Aber auch Männer spüren den Schönheitsdruck in sozialen Medien. Das Ideal ist hier ein muskulöser Körper. Dieses Ziel ist – rein theoretisch – durch intensives und konsequentes Training erreichbar, wobei natürlich nicht jeder Körper für einen Sixpack gemacht ist. Bei den Körperidealen für Frauen ist es perfider. Erstens sind sie viel präsenter. Ich kenne zum Beispiel kein ‚Germany’s Next Topmodel‘ für Männer.
Zweitens gehen die Ideale weit über Fitness hinaus und verändern sich ständig. Von superschlank über Curvy Models mit flachem Bauch bis hin zu „Buccal Fat Removal“ [Schönheitstrend, bei dem im Gesicht Fett abgesaugt wird, Anm. d. R.]. Diese Ideale lassen sich nicht ‚nur‘ durch eine andere Ernährung oder regelmässigen Sport erreichen – sie bleiben unerreichbar. Das macht die Körperideale für Frauen besonders problematisch und gefährlich.
Social Media und Filter sind besonders bei jüngeren Menschen sehr beliebt …
Jugendliche sind besonders anfällig für die Verinnerlichung unrealistischer Körperideale. Das Aussehen ist für sie auf vielen Ebenen wichtig: Der eigene Körper verändert sich in der Pubertät und das allein führt schon zu sehr viel Unsicherheit. Diese Unsicherheiten in Bezug auf den eigenen Körper könnten durch die Verwendung solcher Filter noch weiter verstärkt werden.
Wie sollten Eltern damit umgehen, wenn ihre Kinder diese Inhalte sehen oder selbst solche Filter nutzen?
Es ist wichtig, mit den Kindern über Schönheitsideale zu sprechen und gemeinsam kritisch zu hinterfragen. Ich würde solche Filter nicht per se verbieten – das macht es nur interessanter. In der Psychologie spricht man vom „Forbidden-Fruit-Effekt“. Gleichzeitig sollte man auch andere Interessen des Kindes fördern.
"Wir sind mehr als unser Aussehen, das sich eh unser Leben lang verändert"
Wie ist denn insgesamt die Forschungslage zu den idealisierenden Filtern?
Aus Studien wissen wir: Wer sich viel mit schönheitsbezogenen Inhalten auseinandersetzt, ist eher mit dem eigenen Aussehen unzufrieden und definiert sich eher über das Äussere. Es gibt auch erste Daten zu Instagram. Hier zeigt sich, dass junge Frauen, die häufig Filter verwenden oder ihre Bilder bearbeiten, eher dazu geneigt sind, sich einer Schönheitsoperation unterziehen zu wollen.
Wie sollte man mit diesen Filtern umgehen und wie kann man Social Media bewusster nutzen?
Ich würde dazu raten, sich wenig mit idealisierenden Filtern zu beschäftigen und kritisch zu reflektieren: Wie realistisch sind eigentlich die Videos und Selfies von anderen Personen? Das Wissen darüber, dass andere Filter verwenden, hilft aber unserer Körperselbstbild nicht unbedingt viel. Deshalb würde ich einen Schritt weiter gehen und im eigenen Social-Media-Feed ausmisten.
Wie kann das aussehen?
Fragen Sie sich: Vergleiche ich mich übermässig, wenn ich diesen Inhalt sehe? Wie fühle ich mich dabei? Wen sehe ich da? Sind das nur weisse, schlanke, junge, porenlose Frauen? Oder gibt es auch ein breiteres Bild, breitere Identitäten – Menschen, die sich zum Beispiel über ihre Elternschaft, ihre Karriere oder andere Themen identifizieren ausser über Äusserlichkeiten? Es gibt so vieles, was unsere Identität bildet. Wir sind mehr als unser Aussehen, das sich sowieso unser ganzes Leben verändert.
Viele Influencerinnen ernten ja bereits Kritik dafür, dass sie sich nur mit Filtern oder auf bearbeiteten Bildern zeigen …
Bilder, die der Normvorstellung von Schönheit entsprechen oder auch besonders sexy sind, bekommen mehr Likes und werden eher in den Feeds gepusht. Würden Influencer ihr gewöhnliches Leben zeigen, wären viele nicht interessiert. Zwar gibt es einen Trend zu mehr Authentizität, aber auch da ist die Kritik, dass sogenannte authentische Bilder gezielt und zu kommerziellen Zwecken gepostet werden.
"Auch die Kardashians sind in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der Mädchen von klein auf lernen, dass ihr Aussehen kommentiert, bewertet und kritisiert wird"
Die Kardashians und Jenners sind die wohl bekanntesten Influencerinnen. Ihre Posts sind meist stark bearbeitet. Es gibt viele Vergleiche, wie sie „in echt“ aussehen. Ist es aber umgekehrt nicht auch ihr gutes Recht, sich und ihre Körper so zu zeigen, wie sie das wollen?
Klar, es ist die eigene Verantwortung, was man mit seinem Körper macht und wie man diesen zeigt. Andererseits, wenn man sich auf einer öffentlichen Plattform präsentiert, wird man auch Teil einer öffentlichen Wahrnehmung. Viel wichtiger erscheint in dieser Debatte das grosse Ganze zu sehen: Auch die Kardashians sind in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der Mädchen von klein auf lernen, dass ihr Aussehen kommentiert, bewertet und kritisiert wird. Es ist daher nur folgerichtig, dass Frauen häufig viel Zeit und Geld in ihr Aussehen investieren. Hier gilt es, ein Umdenken zu erwirken.
Denken Sie, dass ein Influencer auch ein Vorbild sein muss?
Ja, ganz klar. Ich denke, mit einer öffentlichen Plattform kommt auch eine öffentliche Verantwortung. Ich finde, das ist wie in einem Medienhaus. Als Journalist oder Journalistin muss man auch gewisse Standards einhalten. Warum sollte das nicht auch für Influencer der Fall sein?
Das Bewusstsein gibt es allerdings noch sehr wenig. Influencer beeinflussen ja im wahrsten Sinne unser Konsum- und Kaufverhalten. Wer dann sagt, dass er oder sie keine Verantwortung hat, macht es sich zu einfach.
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