- Die Macht von Amazon wächst von Jahr zu Jahr, insbesondere in Coronazeiten hat der Onlineriese profitiert.
- Eine ZDF-Dokumentation vergleicht den Onlinehändler mit dem Einzelhandel - und enthüllt die Vorteile des stationären Handels.
Vorweihnachtszeit ist Shoppingzeit, doch immer mehr Menschen erledigen ihre Einkäufe nur noch online. Die Corona-Pandemie verstärkt diese Entwicklung zusätzlich, sodass inzwischen die ersten Innenstädte einen Preisverfall bei den Ladenmieten erleben.
So sind die Ladenmieten in der Münchner Innenstadt bis zu 11,1 Prozent gesunken, wie der Gewerbemarktbericht Herbst 2020 der Maklervereinigung IVD Süd in der vergangenen Woche bekanntgab. "Fünf Monate haben jetzt eine Beschleunigung von fünf Jahren vorgegeben", erklärte Stefan Genth, Geschäftsführer des Handelverbands Deutschland die Auswirkungen von Corona.
Es sei zu befürchten, dass in den kommenden Jahren bis zu 50.000 Einzelhandels-Standorte verloren gehen, so Genth.
Doch warum kaufen immer mehr Menschen nur noch online ein und was sind dort die Vorteile gegenüber einem Kauf in einem klassischen Ladengeschäft? Dieser Frage hat sich die "ZDF"-Dokumentation "Amazon gegen Einzelhandel" gewidmet.
Die Macher vergleichen darin Einkäufe beim Online-Giganten Amazon mit den Einkäufen im stationären Einzelhandel. Dabei wurde in den Kategorien Preis, Einkaufsqualität, Nachhaltigkeit und Fairness getestet.
Amazon oder der Einzelhandel – wer ist günstiger?
Der Preis ist für viele Menschen das wichtigste Argument, um online einzukaufen. Doch spart man hier wirklich?
Stichprobenartig werden in der ZDF-Doku über sechs Monate die Preise von 20 Produkten beobachtet. Das Ergebnis: Oftmals ist Amazon der günstigste Anbieter, allerdings ist der Unterschied häufig nur gering. So ist der Testwarenkorb durchschnittlich um acht Prozent günstiger als in den Ladengeschäften von zwölf ausgewählten Städten.
Bemerkenswert ist, dass Elektrogeräte durchschnittlich nur drei Prozent günstiger sind als im stationären Einzelhandel. Es gibt sogar einzelne Produkte, die beim Onlinehändler teurer sind: So ist ein Sportschuh aus dem Testwarenkorb online verglichen mit dem Durchschnittswert in den Läden stolze 19 Prozent teurer.
Bei Amazon spielt aber auch der Zeitpunkt des Kaufs eine wichtige Rolle, da der Preis sich binnen Sekunden ändern kann. Im Testzeitraum änderte sich der Preis eines Kaffeeautomaten innerhalb eines Tages um fast 220 Euro.
Daher lässt sich vor allem sagen, dass es online wichtig ist, wann ein Produkt gekauft wird. Vor allem bei grösseren Anschaffungen lohnt es sich, den Preis über mehrere Tage hinweg zu beobachten - so lässt sich bares Geld sparen.
Wie hoch ist die Einkaufsqualität bei Amazon und im Einzelhandel?
Allein die Artikelanzahl macht deutlich, wie gross der Unterschied zwischen Onlinekaufhaus und Einzelhandel ist. Hat ein grosses Kaufhaus etwa 200.000 Artikel in seinem Sortiment, gibt es beim Onlineriesen über 720 Millionen Artikel zu kaufen.
Neben der enormen Auswahl werden vor allem Zeitersparnis und Bequemlichkeit von Kunden als Hauptgründe für den Amazon-Einkauf genannt - aber stimmt das?
Die ZDF-Doku untersuchte das in einem Experiment: Von 20 Personen kauft die eine Hälfte im lokalen Einzelhandel ein, die andere Hälfte ausschliesslich bei Amazon.
Klarer Vorteile des stationären Handels ist, dass die Produkte vor dem Kauf haptisch begutachtet werden können und es auf Wunsch eine Beratung gibt. Online müssen Bilder und Bewertungen anderer Käufer für die Kaufentscheidung ausreichen.
Boris Wita, Anwalt für Verbrauchsrecht, warnt, dass bis zu 50-Prozent der Onlinebewertungen gefakt sein können. Produktbewertungen hätten sich inzwischen zu einem eigenen Geschäftsmodell entwickelt.
Dies zeigt auch das ZDF-Experiment: Während bei den Einzelhandelseinkäufern alle ein komplett neues Outfit gefunden haben, ist dies bei Amazon nur einer Käuferin gelungen.
Auch die Zeitersparnis beträgt in diesem Teil des Experiments nur eine Stunde zugunsten des Onlinehandels - ohne den zeitlichen Aufwand einer möglichen Retoure. Denn schneller und komfortabler ist der Onlineeinkauf nur, wenn keine Ware zurückgesendet wird.
Amazon oder der Einzelhandel – wer ist umweltfreundlicher?
Eine Studie der Otto Group und des Paketdienstes Hermes hat diese Frage bereits untersucht. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass der Onlinehandel umweltfreundlicher ist - trotz der hohen Anzahl an Retouren.
Doch der Politikwissenschaftler Doktor Klaus Jacob widerspricht im Rahmen der ZDF-Dokumentation: "Es hängt sehr vom Verhalten der Konsument*innen ab. Ob sie zu Fuss oder mit dem Rad ins Ladengeschäft gehen oder eine weitere Strecke dafür fahren."
Menschen, die sehr stadtnah wohnen, können durch ÖPNV, Fahrrad oder zu Fuss umweltbewusst stationär einkaufen. In ländlichen Regionen ist dagegen der Onlinehandel nachhaltiger, weil die Wege weiter sind.
Jedoch werden die Verpackungen in der genannten Studie nicht berücksichtigt. Für den Onlinehandel werden immer mehr Papier und Plastik benötigt, wodurch der Pro-Kopf-Verbrauch in Deutschland wächst.
In der ZDF-Doku ist der Müllberg bei den Amazon-Einkäufen etwa drei Mal grösser als nach der Shoppingtour im Einzelhandel.
Hinzu kommt, dass es für das Onlinekaufhaus manchmal günstiger ist, die Retouren zu vernichten, statt sie wieder in den Verkauf zu geben. Sprich: Je weniger Retouren, desto besser für die Umwelt.
Abschliessend kommt die Dokumentation zu dem Ergebnis, dass sowohl Einzelhandel als auch Amazon hinsichtlich Nachhaltigkeit noch Luft nach oben haben.
Amazon oder der Einzelhandel – wer geht fairer mit seinen Mitarbeitern um?
Der Onlinehändler sieht sich als Logistikkonzern, nicht als Händler und bindet sich daher an die Tarifverträge der Logistikbranche, wodurch grosse Lohnunterschiede zwischen Amazon und Einzelhandel entstehen. Während ein ungelernter Amazon-Arbeiter mit etwa 11,30 Euro die Stunde einsteigt, liegt der Tariflohn im Einzelhandel bei etwa 14,39 Euro pro Stunde.
Jörg Lauenroth-Mago von der Gewerkschaft ver.di erklärt aber, dass sich Amazon nicht überall in Europa als Logistikunternehmen bezeichnet. "In Italien sagen sie, wir sind Einzelhändler", so der Gewerkschafter. Dort seien die Tarifverträge für den Einzelhandel schlechter als die in der Logistik.
Auf Nachfrage weisst der Onlinehändler die Vorwürfe der Gewerkschaft jedoch zurück und erklärte, man sei "auch ohne Tarifvertrag ein fairer Arbeitgeber".
Kritik gibt es auch am System "Amazon Flex", bei dem Fahrer mit ihren privaten Pkw die Auslieferung unterstützen, dabei aber nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden. "Amazon trägt überhaupt keine Verantwortung und kein Risiko, das System ist hochgradig parasitär", sagt Lauenroth-Mago. Kunden, die beim Onlinehändler bestellen, sollten sich der schwierigen Sozialbedingungen der Mitarbeiter bewusst sein.
Abschliessend bleibt festzuhalten, dass beide Möglichkeiten des Einkaufens - online und im stationären Handel - Vor- und auch Nachteile haben. Der Einzelhandel wird wohl weiter unter der Marktmacht von Amazon leiden müssen, auch wenn ein Einkauf im lokalen Geschäft die Lebensqualität in der eigenen Umgebung langfristig mehr steigern würde, als ein Amazon-Einkauf - und das nicht einmal zwingend zum höheren Preis.
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