Immer mehr in Frankreich lebende Stellensuchende schreiben sich bei Arbeitsvermittlungszentren in der Schweiz ein. Das ermöglicht ihnen, zu gleichen Bedingungen wie Schweizer Bürger auf Stellenanzeigen zuzugreifen und so den "Inländervorrang light" zu umgehen.

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Carole* tritt an Ort. Seit nunmehr acht Monaten ist die Einwohnerin von Bellegarde im französischen Departement Ain arbeitslos. Doch trotz vieler Versuche hat sie immer noch keine Arbeit in ihrer Region gefunden. Um nach neuen Möglichkeiten zu suchen, hat sich die lebhafte Frau in ihren Fünfzigern beim Stellenvermittlungsbüro in Genf registrieren lassen.

"Auf französischer Seite ist es sehr schwer, eine Stelle zu finden", sagt die Buchhaltungsexpertin. "Ich habe mehr als zehn Jahre lang in der Schweiz gearbeitet. Ich habe immer Arbeitslosenbeiträge bezahlt und hatte keine Arbeitsunterbrüche. Ich finde es deshalb normal, dass die Schweizer Arbeitsvermittlung mir bei der Stellensuche hilft."

Um sich in der Schweiz als arbeitslos zu melden, ging die französische Grenzgängerin auf das Arbeitsamt des Kantons Genf, wo ihr letzter Arbeitgeber ansässig war. Beim Empfang erhielt sie eine Reihe Formulare, die sie auszufüllen hatte, und die Bedingungen für die Registrierung: eine Anmeldebescheinigung bei "Pôle Emploi" (Arbeitsvermittlungsstelle) in Frankreich sowie das Entlassungsschreiben ihres letzten Chefs.

Dass arbeitslose französische Grenzgängerinnen und Grenzgänger die Betreuung von Schweizer Dienststellen in Anspruch nehmen dürfen, ist nicht neu: Die europäische Verordnung zur Koordinierung der Sozialversicherung ermöglicht dies seit 2012, aber nur "auf ergänzender Basis".

Mit anderen Worten: Arbeitssuchende mit Wohnsitz in Frankreich müssen sich bei "Pôle Emploi" registrieren lassen, also in jenem Land, wo sie ihre Leistungen erhalten. Wenn sie aber vorher in der Schweiz gearbeitet haben, können sie sich auch an die Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) wenden.

Wenige Anmeldungen

Bislang war diese rechtliche Möglichkeit praktisch unbekannt. Laut Zahlen des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) lag die Anzahl der bei einem RAV eingeschriebenen Grenzgängerinnen und Grenzgänger im Schnitt bei 87 Personen 2016 und 83 Personen 2017.

Doch seit im Juli der "Inländervorrang light" in Kraft gesetzt wurde, sah sich das "Groupement transfrontalier européen" (GTE) dazu veranlasst, diese Massnahme zu fördern und mit unterstützenden Schreiben Druck auf die Behörden auszuüben.

In der September-Ausgabe ihres Magazins ermutigt die Organisation, die sich für die Rechte von Grenzgängern einsetzt, dass sich Arbeitslose bei den RAV melden sollen, um ihre Rechte wahrzunehmen.

So erhielten sie gleichzeitig wie Schweizer Arbeitslose einen Zugang zu Stellenangeboten, während sie laut der im Juli in Kraft gesetzten Regelung fünf Tage warten müssten, um die Angebote auf Portalen wie jobup.ch oder in Fenstern von Zeitarbeitsfirmen zu sehen.

Haben sie sich einmal registrieren lassen, werden diese Personen von einem Berater oder einer Beraterin persönlich betreut, sie werden über Stellenangebote aus ihrer Branche informiert, und ihr Profil wird an Personalvermittler weiterempfohlen. Bisher haben sich allerdings erst wenige dafür entscheiden.

Behördliche Unbeholfenheit

In Genf zählt Laurent Paoliello, Stellvertretender Generalsekretär des Genfer Departements für Arbeit und Gesundheit, momentan 17 Personen, die beim kantonalen Arbeitsamt eingetragen sind, sowie drei Dossiers, die noch bearbeitet werden.

Die Komplexität des Prozesses entmutige einige arbeitssuchende Grenzgängerinnen und Grenzgänger: "Wir beobachten keine Welle. Aber alle unsere Dienste sind informiert und bereit, sie zu empfangen, zu gleichen Bedingungen wie für Inländer."

Erst diesen Sommer hatten sich die Schweizer Gewerkschaften beklagt, dass einigen Grenzgängerinnen und Grenzgängern in Arbeitsvermittlungszentren aus falschen Gründen die Registrierung verweigert worden sei.

Deshalb bittet das GTE die Arbeitslosen nun, ihre Erfahrungen auszutauschen, seien sie gut oder schlecht. GTE-Sprecherin Laurence Coudière schätzt, dass sich in diesem Jahr rund tausend Grenzgängerinnen und Grenzgänger bei Schweizer RAV registrieren werden.

Für sie ist aber noch lange nicht alles geregelt: "Eine Person zum Beispiel, die im Kanton Genf gearbeitet hat, sich aber im Kanton Waadt registrieren lassen will, kann dies nicht tun. Zudem werden sie teilweise nach ihrem Ausweis G gefragt, der aber im Normalfall im Moment der Entlassung an das Unternehmen zurückgegeben werden muss..."

Doch die Unbeholfenheit der Behörden sollte arbeitslose Grenzgängerinnen und Grenzgänger nicht davon abhalten, sich in grösserer Zahl bei den RAV zu melden.

Ab 2020 könnten sie sogar Entschädigungen erhalten, falls das Europäische Parlament wie erwartet die neue Richtlinie annimmt, gemäss der das Beschäftigungsland und nicht das Wohnsitzland die Arbeitslosen bezahlen soll. Die Schweiz sollte diese Direktive dann umsetzen. Aber die Debatten darüber haben eben erst begonnen.

*Name geändert
Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub

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