Berlin/Düsseldorf - Kommunen und Länder rechnen wegen der Ausweitung des Wohngelds mit monatelangen Verzögerungen bei der Auszahlung. Als Grund wurde Personalmangel in den zuständigen Behörden genannt.
Die Unterstützung werde viele Menschen nicht zeitnah erreichen, warnte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy. "Das ist eine Bauchlandung mit Ansage." Eine Sprecherin von Bundesbauministerin
"Schon heute dauert die Bearbeitung eines Wohngeldantrags drei bis sechs Monate", sagte Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, der "Bild" (Samstag). "Das wird sich deutlich ausweiten."
Kommunen rechnen mit bis zu fünfmal so hohen Antragszahlen
Der "Welt am Sonntag" sagte Landsberg, bei der Umsetzung des Gesetzes drohe "ein Kollaps" des Wohngeldsystems bis weit in das kommende Jahr hinein. Eine auch nur annähernd ausreichende Ausstattung der Wohngeldstellen mit qualifiziertem Fachpersonal sei bis Januar nicht erreichbar. Einzelne Kommunen rechnen zum jetzigen Stand mit zweieinhalb- bis fünfmal so hohen Antragszahlen wie bisher, wie eine Umfrage der Zeitung unter den zehn grössten deutschen Städten ergab.
Der Bundesrat hatte der Wohngeldreform am Freitag zugestimmt. Demnach könnten im nächsten Jahr zusätzlich zu den bisher 600.000 Haushalten bundesweit bis zu 1,4 Millionen weitere Anspruch auf einen staatlichen Zuschuss zur Miete bekommen. Wohngeld können Haushalte beantragen, die zwar keine Sozialleistungen beziehen, trotzdem aber wenig Geld haben. Bereits am Freitag im Bundesrat hatten Ländervertreter deutlich gemacht, die Auszahlung werde dauern.
Nordrhein-Westfalens Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Die Bundesregierung hatte von Anfang an das Ziel, die Wohngeldreform mit aller Macht durchzuboxen. Dabei wird sie sich selbst ein blaues Auge holen." Es fehle an Personal für die Bearbeitung der Anträge, und neue Mitarbeiter könnten auch erst ab Mitte Dezember geschult werden.
Mit Bewilligungen erst ab April 2023 zu rechnen
"Wir gehen davon aus, dass Wohngeldanträge nach neuem Recht erst ab April 2023 und dann rückwirkend bewilligt werden können", sagte die NRW-Ministerin. Schon jetzt sei ein Ansturm auf die Wohngeldstellen zu bemerken. Für mögliche Abschlagszahlungen habe kaum ein Land Vorkehrungen getroffen. Ausserdem brächten sie Doppelarbeit für die Verwaltungen.
Auch Dedy, der auch Geschäftsführer des Städtetages NRW ist, prognostizierte wochen- oder monatelange Verzögerungen. Der Bund habe sich geweigert, Vereinfachungen im Gesetz wie zum Beispiel Pauschalen einzuführen, die eine zügigere Auszahlung ermöglicht hätten, sagte er der dpa. Jetzt komme es darauf an, die EDV-Vorgaben vom Land so schnell wie möglich zu bekommen.
Bayerns Bauminister Christian Bernreiter (CSU) sagte am Samstag: "Bei dieser grossen Reform wäre es unerlässlich gewesen, dass der Bund auf die Praxis hört und die Voraussetzungen dafür schafft, dass das Wohngeld schnell an die Berechtigten ausgezahlt werden kann." Eine Antragsbearbeitung und Auszahlung bei einer Verdreifachung der Empfängerhaushalte sei nicht mit dem bestehenden Personal zu stemmen. "Auch neues Personal muss erst gefunden und dann mehrere Monate in die komplexe Materie des Wohngeldrechts eingearbeitet werden. Auch die EDV-Programme müssen erst an die Neuerungen angepasst werden."
Vorläufige Zahlungen möglich
Die Sprecherin von Bundesministerin Geywitz sagte, das sogenannte Wohngeld-Plus-Gesetz sehe unter anderem die Möglichkeit vorläufiger Zahlungen vor. Ausserdem könne der Bewilligungszeitraum bei gleichbleibenden Verhältnissen auf 24 Monate verlängert werden.
Bis Ende Juni 2023 werde zudem die Verpflichtung der Jobcenter ausgesetzt, Menschen umgehend an die Wohngeldbehörde zu verweisen, die zuvor Hartz IV oder Sozialhilfe bezogen haben. Damit soll ein Antrags- oder Bearbeitungsstau vermieden werden, so dass zügig über Anträge sogenannter Wechsler entschieden werden soll.
Ziel sei es, die Verwaltungsvereinfachungen bis Mitte Dezember abzuschliessen, so dass sie zu Beginn Januar final seien, so die Sprecherin. Mit den Verwaltungsvereinfachungen werde den Ländern die Möglichkeit an die Hand gegeben, flexibler auf die steigenden Antragszahlen und entsprechende Geschäftslagen reagieren zu können.
Der Chef des Normenkontrollrats - einem Beratergremium der Bundesregierung - geht von grösseren Problemen bei der Auszahlung der unterschiedlichen Entlastungsmassnahmen aus. "Jeder wird irgendwann sein Geld bekommen, aber es wird Zeit kosten und es werden Fehler passieren", sagte Lutz Goebel der "Welt am Sonntag". Es räche sich nun, dass man die Digitalisierung der Verwaltung "schlicht versemmelt" habe © dpa
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