Mausefalle, Fernglas, Tüllrock oder sogar ein nagelneues Smartphone: Viele Menschen wunderten sich in den letzten Wochen über Pakete mit Waren, die sie nicht bestellt haben. Die Absender: unbekannte Amazon-Händler. Die Kunden dürfen die Artikel zwar behalten, aber die unverlangte Post hat einen Beigeschmack, wie Mimikama, der Verein zur Aufklärung von Internetmissbrauch, erklärt.
Eine Münchnerin staunte nicht schlecht, als sie ein Paket öffnete, das an ihren 13-jährigen Sohn adressiert war: Darin waren zwei Tüllröcke. Ein Absender stand nicht auf dem Paket, es war lediglich ersichtlich, dass es über Amazon verschickt wurde.
Die Frau hatte noch nie zuvor etwas bei Amazon bestellt. Ähnlich erging es in den vergangenen Wochen offenbar diversen Menschen, wie die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen meldete.
Amazon-Pakete: Häufig Billigartikel wie Handy-Hüllen
In den Päckchen befanden sich häufig Billigartikel wie Handy-Hüllen oder Kabel, aber auch Sexspielzeug, Überwachungskameras und einmal sogar ein neues Smartphone.
Die Pakete kommen nicht von Amazon selbst, sondern von unbekannten Marketplace-Händlern - eine Rechnung gibt es nicht. Was haben diese Verkäufer aber davon, wenn sie Wildfremde mit Waren beschenken?
Darüber gibt es bislang nur Mutmassungen, wie Andre Wolf von Mimikama, dem Verein zur Aufklärung von Internetmissbrauch, erklärt. Er analysiert die Theorien zur Motivation der Händler.
These 1: Bewertungen sammeln
Die Marketplace-Verkäufer könnten mit ihrem Vorgehen versuchen, möglichst viele gute Bewertungen zu sammeln. Sie erstellen dann ein neues Amazon-Kundenkonto mit dem Namen eines Unbeteiligten, aber mit ihrer eigenen E-Mailadresse. Sobald das Paket zugestellt wurde, können sie sich selbst eine gute Bewertung als authentifizierter Käufer geben.
Andre Wolf erinnert das an eine Masche von betrügerischen Powersellern vor einigen Jahren bei Ebay. Diese hätten sich mit dem Verkauf von tausenden Billigartikeln auf der Plattform eine gute Reputation verschafft.
Anschliessend hätten sie ihr Sortiment auf hochpreisige Hightech-Artikel umgestellt, diese aber nie geliefert, erklärt Wolf. "Die Kunden blieben auf ihren Kosten sitzen, der Aufbau der vielen guten Bewertungen diente lediglich als Vorspiel."
Auf den ersten Blick sieht der Amazon-Fall ähnlich aus. Neu ist aber der unverlangte Versand von Waren. Ausserdem: "Dem Versand von Billigwaren stehen die teureren Produkte wie Smartphones gegenüber." Die Verluste wären für die Händler also viel zu hoch, wenn es ihnen nur darum ginge, Bewertungen zu bekommen.
These 2: Manipulation des Amazon-Algorithmus
Ähnliches gilt nach Ansicht des Mimikama-Experten für eine zweite These zum unverlangten Versand von Waren: Demnach könnten die Händler versuchen, das Verkaufsranking von Amazon zu manipulieren.
Wenn sie viele Artikel verkaufen, rutscht ihr Artikel darin nach oben und wird potenziellen Käufern mit grösserer Wahrscheinlichkeit angezeigt. Das Vorgehen sei "bei Billigstartikeln aus Fernost plausibel, nicht jedoch, wenn die Artikel einen höheren Wert haben", sagt Wolf.
These 3: Leerung der Lager
Es gibt noch eine weitere Theorie für das Vorgehen der Händler: Die unbekannten Händler könnten ihre bei Amazon angemieteten Lager leeren wollen. Das würde sich laut Wolf lohnen, wenn der Versand innerhalb Deutschlands und der Warenwert zusammengerechnet immer noch weniger kosten würden als ein teures Verschicken unverkaufter Ware nach Fernost.
Trotzdem ist auch diese Annahme nur eine Vermutung, sagt Wolf. Zumal auch hier der Versand teurerer Artikel nur bedingt Sinn ergäbe.
Amazon geht gegen die Händler vor
Unabhängig von der Motivation dieser Händler verfolgt Amazon nach eigenen Angaben die schwarzen Schafe. Das Unternehmen gehe jedem Hinweis von Kunden nach, "die unaufgefordert ein Paket erhalten haben, da dies gegen unsere Richtlinien verstösst." Solche Verkäufer "werden gesperrt, die Zahlungen werden zurückgehalten und wir leiten entsprechende rechtliche Schritte ein", erklärt ein Sprecher im Gespräch mit unserer Redaktion.
Zurückgeben müssen die Kunden die unverlangt zugeschickten Artikel nicht, stellt die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen klar. Mimikama-Experte Wolf rät dazu, Amazon zu informieren, wenn ein solches Päckchen eintrudelt. Der Konzern habe so die Chance, die entsprechenden Händler ausfindig zu machen, auch mit Hilfe der eigenen Adressdaten.
Aber woher haben die Verkäufer die Daten überhaupt? Amazon erklärt dazu: "Verkäufer haben in diesem Zusammenhang weder Namen noch Adressen von Amazon erhalten."
Nach Angaben von Mimikama können die Daten aus verschiedenen legalen oder illegalen Quellen stammen. Firmen fragen solche Informationen beispielsweise bei Online-Gewinnspielen ab, Internetnutzer geben sie dort freiwillig preis. Diese Daten können dann weiterverkauft werden.
Gefälschte digitale Identitäten
Es ist aber auch möglich, dass Kriminelle Namen und Adressen bei Angriffen auf Datenbanken beispielsweise von Online-Diensten erbeuten. Solche Listen stehen frei verfügbar im Darknet, jeder kann sie nutzen und missbrauchen.
Auch wenn sich die Empfänger der Pakete über ein unverhofftes Geschenk freuen können, hat die Zusendung also einen faden Beigeschmack. Wolf sagt: "Unbekannte Dritte haben missbräuchlich eine digitale Identität mit den Daten der Warenempfänger erstellt."
Es gebe demnach mindestens einen Account, der aus dem eigenen Namen und der Adresse besteht, den aber Fremde nutzen. Damit ist auch klar, dass die eigene Adresse in einer Online-Datenbank zu finden ist.
Verhindern kann man das im Nachhinein nicht mehr. Generell ist es aber zum Schutz der eigenen Daten wichtig, verstärkt darauf zu achten, welche Informationen man wo hinterlässt. Um es Datendieben schwer zu machen, an sensible Informationen zu gelangen, sollten Internetnutzer ausserdem bei allen Online-Diensten sichere Passwörter verwenden - und für jede Plattform ein eigenes.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Andre Wolf, Kommunikationsexperte und Pressesprecher bei Mimikama, Verein zur Aufklärung von Internetmissbrauch
- Statement Unternehmenssprecher Amazon Deutschland
- Pressemeldung der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen: Amazons Paketmysterium (11.2.2019)
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