Wenn es an der Haustür klingelt, schreckt Kathrin Rudolph immer zusammen. Gleich werden ihr möglicherweise wieder Verständnislosigkeit, Wut oder gar Drohungen entgegenschlagen - von völlig Fremden. Wie Rudolph sind diese Menschen Opfer von Betrug geworden. "Ich dachte, so etwas könnte mir nie passieren", sagt sie und warnt vor einem Fehler, der sie bis heute verfolgt.

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Mit der Suche nach einer Spielkonsole vor eineinhalb Jahren hat alles begonnen. Kathrin Rudolph aus der Nähe von München wollte ihrem Sohn seinen grössten Weihnachtswunsch erfüllen, doch im regulären Handel war die Playstation 5 restlos ausverkauft. Also machte sie sich auf eBay und anderen Portalen auf die Suche und stiess über "Facebook Marketplace", der Kleinanzeigen-Funktion von Facebook, auf einige reizvolle Angebote.

"Natürlich war mir klar, dass überall Betrüger unterwegs sind. Darum war ich besonders wachsam – dachte ich zumindest", schildert sie im Gespräch mit unserer Redaktion. Überweisung, bevor die Ware geliefert wird etwa? Das verlangten mehrere Inserenten, Rudolph war das aber zu riskant.

Einer bot an, ihr die Playstation auch ohne Vorkasse zu liefern. Allerdings unter einer Bedingung: Sie sollte Fotos ihres Personalausweises und ein Video schicken, in dem sie mit dem Dokument in der Hand ihre Identität bestätigt. "Für mich war nachvollziehbar, dass er eine Sicherheit wollte. Solange ich noch nicht zahlen muss, kann nichts passieren, dachte ich. Also schickte ich ihm die Identitätsbeweise per WhatsApp", erzählt die 47-Jährige. Ein Fehler, der zum Albtraum werden sollte für sie und ihre Familie.

Bis zu fünfmal pro Woche klingeln Fremde an der Tür

"Ich hörte erst mal nichts mehr von dem angeblichen Anbieter. Die Playstation bekam ich inzwischen woanders und hatte das Ganze ehrlich gesagt bald wieder vergessen." Wochen später sollte sich das ändern: "Da stand jemand vor unserer Haustür und erklärte, er sei wegen der Playstation da. Er habe mir Geld überwiesen und wolle sie nun abholen." Als er sagte, ja sogar ihren Ausweis als Sicherheit erhalten zu haben, wurde Rudolph klar, dass sie beide Opfer von Betrug geworden waren – sie von Identitätsdiebstahl und er von Fake-Anbietern auf "Facebook Marketplace". Umgehend ging sie mit ihm gemeinsam zur örtlichen Polizeidienststelle und erstattete Anzeige.

Es sollte aber erst der Anfang gewesen sein. Bis zu fünfmal pro Woche klingeln bis heute Fremde bei den Rudolphs, manche werden wütend. Für die Produkte - meist Handys, Spielkonsolen, Thermomixe und Smart TVs – nehmen sie teils lange Fahrten auf sich, aus ganz Deutschland, der Schweiz, einer kürzlich sogar aus Tschechien. "Neulich wollte jemand Bauholz abholen - im Wert von 10.000 Euro", berichtet Rudolph.

Beispiel für Fake-Anzeige: Sogar ein Haus wurde in Rudolphs Namen schon angeboten. © Facebook

Polizei warnt: Das sind Folgen, wenn Betrüger Ausweise ergaunern

Was war überhaupt passiert? Immer wieder erstellen Betrüger, die Rudolphs Identität ergaunert oder für ein paar Euro im Darknet gekauft haben, Fake-Profile in ihrem Namen und versehen sie mit Fotos, die sie im Netz finden. Dabei spielen sie mit ihrem zweiten und dritten Vornamen, sodass auch Fake-Inserate etwa einer Tatjana oder Melanie Rudolph im Netz auftauchen. Von den Opfern verlangen sie in der Korrespondenz – die sie schnell und geschickt zu WhatsApp verlagern - Vorkasse und schicken den Interessenten als vermeintliche Sicherheit Rudolphs Ausweis-Video.

  • Warnung vor Identitätsdiebstahl: Wie häufig Facebook-Nutzer Opfer dieser Masche werden, ist statistisch nicht erfasst. Doch die Auswirkungen von Identitätsdiebstahl sind verheerend, warnt die Polizei: "Stellen Sie niemals Ihre Dokumente zur Verfügung – egal ob Ausweise oder beispielsweise Fahrzeugscheine bei einem Autoverkauf", sagt Harald Schmidt, Geschäftsführer und Kriminaldirektor der Polizeilichen Kriminalprävention des Bundes und der Länder. Seien solche Papiere erst einmal in Umlauf, lasse sich der Fehler nicht mehr rückgängig machen. Auch die Polizei kann dann erst mal nicht mehr tun, als die einzelnen Fälle zu dokumentieren.
  • Identitätsdiebstahl kann aber auch noch andere Folgen haben: Kriminelle eröffnen damit Konten, über die sie Geld etwa nach sogenannten Schockanrufen oder dem Messenger-Betrug weiterleiten. Das Geld fliesst dann sofort weiter ins Ausland. Schmidt: "Dort endet die Zuständigkeit der deutschen Polizei. Für weitere Ermittlungen muss erst die zuständige Staatsanwaltschaft eine Prüfung anregen. Kurz gesagt: Es wird sehr kompliziert und die Chance immer geringer, dass das Opfer sein Geld je wiedersieht."

Anzeigen, Beschimpfungen, Drohungen: "Es macht Angst"

Daher sollte man Identitätsdiebstahl dringend sofort bei der Polizei anzeigen, betont Schmidt im Gespräch mit unserer Redaktion: "Nur so können wir überhaupt ermitteln und Fälle zusammenführen. Ausserdem haben Sie damit dokumentiert, dass Sie nicht der Betrüger, sondern selbst Opfer sind." In Rudolphs Fall hat sich das schon vielfach bewährt, denn trotz ihrer Erklärungen erstatten immer wieder Betrugsopfer Anzeige gegen sie: "Da geht einem jedes Mal wieder der Puls hoch, wenn man Post von der Staatsanwaltschaft im Briefkasten findet", beschreibt sie.

Auch kam es schon zu unangenehmen Szenen auf ihrem Grundstück. Wenn ihr die Beschimpfungen zu bedrohlich werden, macht sie die Tür zu. Ihre beiden Kinder dürfen schon lange nicht mehr aufmachen. "Manchmal sind die auch längst im Bett, wenn wieder jemand nach 23 Uhr klingelt", seufzt Rudolph.

Sie hofft, dass es zumindest nicht zu weiteren Eskalationen kommt wie in einem aktuellen Fall: "Ein Mann aus Sachsen will einfach nicht verstehen, dass nicht ich die Betrügerin bin. Er droht mir im Internet, postet meinen Ausweis und meine Adresse in den sozialen Medien und lässt uns keine Ruhe. All das ist nicht nur belastend - es macht Angst".

Ende des Albtraums, wenn der Ausweis abläuft?

Ihr Ausweis ist noch Jahre gültig. Und selbst wenn er abgelaufen ist, könnten Betrüger ihn weiter verwenden: "Wer ein Schnäppchen im Internet machen will, überprüft ja leider nicht unbedingt die Daten auf solchen digitalen Dokumenten", befürchtet sie. Ein Ende scheint also nicht in Sicht.

Einzig Facebook könnte durch rigoroses Löschen von Fake-Konten oder mit einer Beschränkung beim Anlegen neuer Accounts Einhalt gebieten. Auf zweifache Anfrage unserer Redaktion antwortet eine Sprecherin von Meta, dem Mutterkonzern von Facebook: Jeden Tag würden "Millionen von Versuchen, gefälschte Konten zu erstellen" blockiert. Facebooks Erkennungstechnologie reagiere etwa auf verdächtige E-Mail-Adressen und andere Signale, die zuvor mit bereits entfernten gefälschten Konten in Verbindung gebracht wurden, oder blockiere IP-Adressen, etwa wenn Konten in grossen Mengen von einem Standort aus erstellt werden.

Rudolph kann das allerdings nicht vor Missbrauch ihrer Daten bewahren. IP-Adressen zu ändern, ist etwa kein Hexenwerk. Auch Facebook räumt ein, dass die Abwehrmechanismen überwindbar sind: "Diese Konten weisen in der Regel zunächst keine Anzeichen dafür auf, dass sie gefälscht oder böswillig sind", so die Erklärung.

Anzeigen gemeldet: So reagiert Facebook

Worüber sich Rudolph besonders ärgert: "Wir melden Facebook jede einzelne Anzeige, die wir finden. Meinen Mann und mich kostet das etwa eine Stunde am Tag. Lange konnten wir aber nicht mehr erreichen als die Rückmeldung von Meta: Man habe geprüft, aber keinen Verstoss feststellen können."

Sie und ihr Mann kämpften weiter, machten etwa über LinkedIn auf ihren Albtraum aufmerksam und nutzten sogar persönliche Kontakte zu einer Mitarbeiterin bei Meta, um Löschungen der Fake-Konten zu erreichen. "Schliesslich wurde Facebook tatsächlich kurzfristig aktiv und entfernte eine Reihe von Konten. Damit war die Sache für Meta allerdings auch erledigt – für uns aber nicht. Es war ein Tropfen auf den heissen Stein", klagt Rudolph. "Die Betrüger erstellen laufend neue Konten und Fake-Inserate. Jeden Tag aufs Neue".

Was Betrugsopfer und Polizei vergeblich von Facebook fordern

Niedrige Hürden für Betrüger auf Facebook: Kriminaldirektor Schmidt sieht das als grosses Problem. "Aus polizeilicher Sicht wäre es wünschenswert, dass beim Eröffnen von Accounts immer eine ordnungsgemässe Verifizierung notwendig ist, das ist ganz klar", sagt er. Doch eine Verifizierung von ID-Dokumenten und Abgleich mittels Gesichtserkennung, wie es die Polizei fordert, verlangt Facebook nicht. Warum darauf verzichtet wird, obwohl es den Betrügern ihre Machenschaften erleichtert, liess Meta auf Anfrage unserer Redaktion unbeantwortet.

Die Rudolphs müssen also weiter mit anderen Betrugsopfern vor der Haustür und ihrer Machtlosigkeit weiterleben. "Das ist ein schlimmes Gefühl", sagt Kathrin Rudolph. Ein paarmal sei es vorgekommen, dass zwei Wochen lang niemand an der Tür klingelte. "Dann dachten wir schon: Es ist vorbei." Wieder aber tauchten dann neue Betrugsopfer auf und schnell war klar: Die Hoffnung auf ein Ende wird sich so bald wohl nicht erfüllen.

Verwendete Quellen:

  • Interview mit Kathrin Rudolph
  • Interview mit Harald Schmidt, Geschäftsführer und Kriminaldirektor der Polizeilichen Kriminalprävention des Bundes und der Länder
  • Schriftliches Statement von Meta zu Fake-Accounts auf Anfrage unserer Redaktion
Offenlegung: Der Ehemann des Betrugsopfers Kathrin Rudolph war bis Mai 2006 in der Redaktion tätig.
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