(sal) - Mit 50 anderen Bewerbern beim fünfminütigen Besichtigungstermin: In vielen deutschen Städten ist die Wohnungssuche inzwischen eine Tortur. Die Mieten steigen, der Wohnraum wird immer knapper. Wer da nicht mitmachen will, muss jedoch nicht gleich Häuser besetzen: Verschiedene Projekte versuchen, Wohnungen zu sinnvollen Preisen anzubieten – und sind erfolgreich.
Als Alexander Meier* 2008 seine Wohnung in der Münchner Innenstadt bezog, war er zufrieden: Altbau, 42 Quadratmeter, 620 Euro warm. Nun, vier Jahre später, zieht er nach Stuttgart. Sein Nachmieter muss künftig deutlich mehr zahlen: 860 Euro warm. In München explodieren die Preise und die Bevölkerungszahl, aber viel zu wenige Wohnungen werden nachgebaut. In- und ausländische Investoren reissen sich die wenigen neuen Projekte unter den Nagel, denn Immobilien gelten in der Krise als relativ sicher.
Auch in Berlin ist nichts, wie es einmal war. Riesige, kernsanierte Altbauwohnungen für 400 Euro warm? Das war einmal. Wohnungssuchende hetzen von Besichtigung zu Besichtigung. So wie Max Fischer*. Zwölf Wohnungen hat sich der 30-Jährige mit seiner Freundin an einem Wochenende angesehen – und keine davon bekommen. Nach einer weiteren Wohnungsbesichtigung hätte er eine Dreizimmerwohnung in Kreuzberg haben können. Für 700 Euro Kaltmiete, so stand es jedenfalls im Angebot im Internet. Im Mietvertrag wollte der Vermieter dann plötzlich 400 Euro mehr, Fischer verzichtete auf die Wohnung.
Hohe Mieten sind kein neues Problem
Die horrenden Preise und die Wohnungsknappheit in deutschen Grossstädten machen viele Menschen wütend. Jüngst gab es mehrere Demonstrationen gegen den Mietwahnsinn, und das Thema ist Dauergast in den Medien. Doch das Problem ist nicht neu. Seit Jahren gibt es deshalb Genossenschaften und Organisationen, die sich für günstigere Mietpreise einsetzen und sich gegen skrupellose Immobilienfirmen wehren. Eines dieser Projekte ist das Mietshäuser Syndikat. Die in Freiburg sitzende Beteiligungsgenossenschaft unterstützt und vernetzt selbstverwaltete Hausprojekte. Ziel der einzelnen Gruppen ist es, als GmbHs Mietshäuser aufzukaufen und zu fairen Preisen vermieten.
Der Clou des Mietshäuser Syndikats: Etablierte Mitglieder unterstützen neue Vorhaben mit ihren Überschüssen – so haben auch Menschen mit weniger Geld die Chance, ein eigenes Hausprojekt zu starten. Auch das Syndikat selbst unterstützt die GmbHs mit rund 12.000 Euro. 68 solcher Häuser gibt es schon, 22 sind in Planung.
Das Münchner Wohnprojekt Ligsalz8 etwa beherbergt fünf Wohnungen. Zehn Euro pro Quadratmeter müssen die Mieter zahlen. Dazu gibt es im Erdgeschoss einen Veranstaltungsraum und ein kleines Kino. Sonntags gibt es Brunch, und dienstags wird im Chor gesungen – das Miteinander wird hier wie in vielen anderen Wohnprojekten grossgeschrieben.
Auf Selbstorganisation setzt auch die Münchner Wohnbaugenossenschaft Wagnis. Doch anders als die Projekte des Mietshäuser Syndikats werden keine Häuser aufgekauft, sondern gleich selbst gebaut. Ausserdem sind hier nicht eigenständige GmbHs Mitglied, sondern Individuen, die ihr Geld zusammenlegen. Die Mitglieder – und somit Finanzierer und Eigentümer – haben ein lebenslanges Wohnrecht in den Neubauten und müssen eine Nutzungsgebühr statt einer Miete zahlen.
Wer mitmachen will, muss zunächst einen Pflichtanteil von 1.000 Euro an die Genossenschaft zahlen. Je nach Wohnungsgrösse und Einkommen geht dann die Rechnerei los: Pro Quadratmeter muss das Mitglied zwischen 310 und 950 Euro an Eigenkapital aufbringen und in die Genossenschaft einzahlen. Für einen Tiefgaragenstellplatz kommen noch 8.000 Euro hinzu.
Genossenschaftswohnungen sind begehrt
Als Nutzungsgebühr sind dann monatlich 5,50 bis 12,50 Euro pro Quadratmeter zu zahlen, zuzüglich Nebenkosten. Eine fünfköpfige Familie ohne Auto könnte somit eine 100-Quadratmeter-Wohnung ab 730 Euro warm im Monat bekommen – nachdem sie zuvor mindestens 35.000 Euro an Eigenkapital investiert hat. Das Modell läuft in München sehr gut: Von den 236 Wohnungen ist derzeit nur eine frei. Auch bei Wagnis spielt das soziale Leben eine grosse Rolle. Es gibt Gemeinschaftsgärten, ein Café und Musik- und Theatergruppen. In einer Nachbarschaftsbörse finden die Bewohner Hilfe oder können ihre Fähigkeiten an andere weitergeben.
Wer weniger Eigenkapital hat oder sich nicht an eine Gemeinschaft binden möchte, kann sich auch bei einer Postbau-, Eisenbahner- oder einer anderen Genossenschaft umsehen. Denn anders als die Namen suggerieren, kann sich dort jeder um eine Wohnung bewerben. Interessenten müssen dafür Mitglied in der jeweiligen Genossenschaft werden und einen bestimmten Betrag einzahlen. Doch die Wohnungen sind begehrt: Viele Genossenschaften nehmen derzeit keine Bewerbungen mehr an.
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