Frankfurt/Traunstein - 12,9 Millionen. Noch nie haben mehr Menschen in Deutschland an der Börse investiert als im vergangenen Jahr. Das zeigen Zahlen des Deutschen Aktieninstituts. Damit besass fast jeder fünfte Bundesbürger ab 14 Jahren Aktien, ETF- oder Fondsanteile. Und was ist mit dem Rest der Bevölkerung? Bietet sich ihnen in diesem Jahr ein guter Zeitpunkt für den Einstieg?

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"Spannende Frage", sagt Markus Weis, Deutschlandchef von SPDR ETFs beim Vermögensverwalter State Street Global Advisors. Nach einem sehr herausfordernden Jahr 2022 mit deutlichen Kursverlusten bei Aktien und Anleihen, könne man heute sagen: "Ein Teil dieser grossen Risiken, die zu den Kursverlusten geführt haben, haben sich abgeschwächt."

Den andauernden Krieg in der Ukraine habe der Markt eingepreist, sagt René Maushammer, Portfoliomanager beim Traunsteiner Vermögensverwalter Top Vermögen. Und die Notenbanken hätten mit ihren Zinssteigerungen die hohen Inflationszahlen gedrückt und die Kapitalmärkte beruhigt, sagt Markus Weis.

Vorhersagen gleichen einem Blick in die Glaskugel

So sind zumindest die ersten beiden Wochen des neuen Jahres über alle Aktienkategorien hinweg deutlich positiv gewesen. Dasselbe gilt laut Weis auch für Anleihen. Auf Grundlage dessen aber einen Ausblick für das Gesamtjahr zu wagen, sei unseriös. "Aktien- und Anleihemärkte sind volatil", sagt Weis. "Wir wissen nicht, welche Überraschungen es geben wird." Jetzt zu behaupten, es gäbe 2023 kein Minus, weil 2022 deutlich im negativen Bereich abgeschlossen hat, sei fahrlässig.

Anlegerinnen und Anleger sollten sich vielmehr bewusst sein, dass es immer zu kurzfristigen Schwankungen an den Kapitalmärkten kommen kann. Deswegen sei ein langfristiger Anlagehorizont grundsätzlich wichtig - im Idealfall zehn Jahre und mehr, so Weis. "Dann interessieren mich diese kurzfristigen Schwankungen nicht."

Für Anlegerinnen und Anleger mit diesem langen Atem lohne sich ein Einstieg an der Börse immer, sagt Nicolas Pilz, Geschäftsführer bei der Societas Vermögensverwaltung. "Den besten Zeitpunkt zur Anlage findet statistisch gesehen leider keiner", sagt er. "Daher sollten Anleger langfristig besser investiert sein, als am Investitionsseitenrand zu stehen und auf den idealen Zeitpunkt zu warten."

Breite Streuung und langer Anlagehorizont sind weiter Trumpf

Zwei Dinge sollten Börsen-Neulinge dabei allerdings beachten: Erstens sollten sie ihre Anlage möglichst breit diversifizieren. Heisst: Nicht auf einzelne Titel, Branchen oder Länder setzen. Denn: "Je breiter das Investment ist, desto weniger schwankungsanfällig ist es", so Weis. Die einfachsten Optionen, die sich dafür bieten, sind aktiv oder passiv gemanagte Fonds. Beides gibt es mit weltweiter Streuung. Passiv gemanagte Fonds wie ETF haben in der Regel aber einen deutlichen Kostenvorteil.

Zweitens sollten Neueinsteiger nicht sofort mit ihrem ganzen zur Verfügung stehenden Sparkapital einsteigen, rät Nicolas Pilz. Besser sei es Weis zufolge zudem, das Kapital nach und nach einzusetzen. Zum Beispiel mit Hilfe eines festgelegten Sparplans. Die unterschiedlichen Einstiegszeitpunkte böten die Chance, zu einem späteren Zeitpunkt womöglich von gefallenen Kursen zu profitieren.

"Bei der Wahl der passenden Wertpapier-Arten sollte man sich grundsätzlich weniger von kurzfristigen Gewinnchancen leiten lassen, sondern vielmehr vom angestrebten langfristigen Chance-Risiko-Profil", sagt René Maushammer. Risikoaffine Anleger haben in der Regel einen grösseren Anteil Aktien und Fonds in ihrem Portfolio als vorsichtigere Anleger.

Für letztere bietet es sich in diesem Jahr zum Beispiel an, festverzinsliche Wertpapiere in den Blick zu nehmen. Das könnten etwa europäische Staatsanleihen sein, die inzwischen wieder Renditen von fast vier Prozent bieten, sagt Markus Weis.

Auch 2023 gibt es an den Börsen nichts geschenkt

Eine Börsenregel gilt natürlich weiter: Nicht in Anlagen investieren, die sie nicht verstehen, sagt Maushammer. "Und lassen Sie die Finger von "Strategien" oder Wertpapieren, die Ihnen hohe Gewinne ohne Risiko versprechen." Denn geschenkt gibt es an den Börsen auch 2023 nichts, sagt Nicolas Pilz. Doch leider seien immer noch viele Betrugsmaschen zu beobachten, bei denen Anleger schlussendlich nur die Garantie hätten, ihr gesamtes Investment zu verlieren.

Nicolas Pilz empfiehlt ausserdem, auch weiterhin einen grossen Bogen um Kryptowährungen zu machen. "Das Jahr 2022 hat eindrucksvoll gezeigt, dass es an vielen Stellen immer noch ausschliesslich um Betrug geht und extrem viel Vermögen veruntreut und gleichsam vernichtet worden ist." Der Kryptomarkt sei für die meisten Anleger völlig undurchsichtig und damit quasi nicht investierbar.

An der wohl überlegten, breit gestreuten und langfristigen Wertpapieranlage führt Pilz zufolge aber auch 2023 kein Weg vorbei. "Die Alternativen zur Anlage in Wertpapiere sind schlicht nicht besonders gross und Sparkonten sorgen de facto für einen Kaufkraftverlust." Denn aufgrund der noch immer hohen Inflation könnten Tages- und Festgeldkonten auch auf lange Sicht noch keine positiven Realrenditen abliefern.  © dpa

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